18/21: PARTIKUL, ERRORR, JELKA, SJÖBLOM, PALAIS IDEAL, MICHAEL MATTERS - WUNDERBARES VOR DER WEIHNACHTSZEIT
Viel DIY weht einem um die Nase beim Durchhören von "Related Memories" der belgischen Band Partikul. Es handelt sich dabei um ihr Debut, das sie auf einem kleinen Label veröffentlicht haben. Das Duo besteht aus Aly und Stef. Erstgenannte ist für die wabernden Klänge aus den Synthesizern zuständig, während der andere seiner Gitarre markerschütternde Töne entlockt. Die minimale, düstere Ästhetik ihrer Stücke lehnt sich deutlich an das an, was Anfang der 80er Jahre hip gewesen ist: Unterkühltes Auftreten und stoischer Habitus. Doch Partikul setzt in der Kombination aus steriler Elektronik und organischem Gitarrensound zwei grundverschiedene Klangwelten in Konkurrenz. Gepaart mit dem abwechselnd männlichen und weiblichen Gesang wird "Related Memories" zu einer Dark-Wave-Scheibe erster Güte, die man aber auch, würde man es nicht genauer wissen, als ein Produkt aus der goldenen Ära der ersten Gothic-Welle zuordnen könnte. Ein bisschen schwingt nämlich auch die Grandezza eines John Foxx mit (man höre sich einfach mal "My Heart Beats"). Bisherige Rezensionen anderer Musikmagazine verorten "Related Memories" denn auch in die Nähe von Tuxedomoon oder Boy Harsher, womit man sicherlich nicht falsch liegt. Doch ist dies nur eine ziemlich unzureichende Beschreibung. Stücke wie das eindringliche "Curse", das schneidend-psychedelische "Fucking Hero" oder die Ambibalenz zwischen melodiösem Gitarrenspiel und krachigem Beatprogramming bei "Apart" belegen, dass Partikul bereits eine ganz eigene Vorstellung davon haben, wie traurige Tanzmucke zu klingen hat.
Es geht ja nichts über eine gesunde Portion Selbstbewusstsein. Seinen ersten Song aber gleich "Smash Hit" zu titulieren, grenzt fast schon an Hybris. Doch die Intention von Errorr, so der Name dieses Projekts, hinter dem sich der schwedische, in Berlin beheimatete Musiker Leonard Kaage verbirgt, ist sicherlich nicht die, auf seiner EP "Servant" einen auf soundtechnisch dicke Hose zu machen. Wobei sich Kaage durchaus rühmen kann, unter anderem mit Bands wie The Brian Jonestown Massacre zusammengearbeitet zu haben. Plakativer ist da eher der Song "Fuzzy", der das musikalische Grundgerüst dieser Debüt EP treffend beschreibt: Errorr steht für eine Verschmelzung aus Post-Punk mit Shoegaze. Freunde einer meterhohen "Wall Of Sound" werden hier ihre dunkle Freude daran haben. Kaage lässt die Gitarren ordentlich dröhnen und derart in Hall verpacken, dass man bisweilen meint, ein ganzer Chor von elektrifizierten Saiteninstrumenten wurde zusammengetrommelt, um diesen Klang zu generieren. Kaages eher weiche Stimme geht in diesem ganzen Klangzauber aber nicht unter, sondern setzt sich wie ein Schattenkönig über die ganze Szenerie und bleibt immer präsent. Der Mastermind selbst, so verrät es die Presseinfo, holt sich die Inspiration von den "großartigen Rockbands der frühen 90er Jahre". Das merkt man Stücken wie "Repeater" deutlich an, die tatsächlich den freien Zeitgeist einer Welt am Ende von zwei konkurrierenden Systemen nochmal einfängt. Errorr haben mit "Servant" ein bockstarkes erstes Lebenszeichen von sich gegeben, im Frühjahr 2022 ist dann das Album geplant. Spannung liegt schon jetzt in der Luft.
Auch Jelka zeigen sich mit "Hold Sand" erstmals dem Publikum. Doch Mastermind Volker Buchgraber hat bereits schon einige musikalische Sporen verdient, und zwar als Frontmann der Indie-Folk-Gruppe Dust Covered Carpet, die sich aber bereits 2016 aufgelöst haben. Die Liebe zur Elektronik, die bereits dort überdeutlich herauszuhören war, wird in seinen Solostücken nun noch ein bisschen intensiver ausgespielt. Auf der Suche nach dem Besonderen gelingt Jelka der Sprung in einen ganz eigenen kaleidoskopischen Klangkosmos, dem zwar nicht immer leicht zu folgen ist, der aber vor Fantasie und Phantastereien nur so sprüht, dass der geneigte Hörer einfach nicht weghören kann. "Hold Sand" ist eine von dramatischer Erhabenheit durchzogene, intime Innenschau. Volker singt über seine Abschiede und Neuanfänge und über Unglaubliches, wie in "Brandstifter": Der Mann beschreibt darin, wie sein Haus mehrmals Opfer eines Brandanschlags wurde. Textlich verschanzt sich der Song allerdings hinter einer Wand aus Andeutungen und Metaphern, die das Gefühl von Ohnmacht und scheinbarer Sicherheit beschreiben. All das verpackt er in einem fast schon jubilierenden Art-Pop-Song, dass der Rezpientin oder dem Rezipienten die schauerliche Geschichte nicht unbedingt sofort auffällt. Aber das ist eben einer der großen Stärken Buchgrabers: Der Österreicher bleibt gerne undurchsichtig - genau wie seine Musik, die sich in keinem Moment der Audienz anbiedert, sondern aktives Mithören einfordert.
Als die eine Gesangshälfte von The Exploding Boy hat Johan Sjöblom Eliot in der Schwarzen Szene einige Lorbeeren einheimsen können. Doch auch solo hat es der Schwede drauf. Sein musikalisches Talent stellte er bereits vor fünf Jahren unter Beweis. Das Debüt "6" geriet zu einem Konglomerat aus Dark-Wave mit hohem Pop-Faktor, einschmeichelnd ohne sich sich anzuwanzen. Ein durchaus funktionierendes System, das man deswegen auf dem aktuellen Album "Demons" nicht groß verändern brauchte. Wichtig ist nur, dass die Songs zünden. Und das tun sie immer wieder. Bereits "Telephone" und "Tape" wandern mit einer traumwandlerischen Sicherheit zwischen subkulturellen Licht- und Schattenspielen. Sjöblom hat dabei keine Berührungsängste mit anderen Genres oder macht sich einen großen Kopf darum, ob man der Fangemeinde vielleicht zuviel zumutet. Das führt dann auch zu solchen wunderbaren Stücken wie "Brand New Life", das auch ein bisschen den 90er-Brit-Pop zelebriert und eine Atmosphäre wie Oasis' "Wonderwall" besitzt. Genau diese Stilbrüche braucht es aber, um nicht vorhersehbar zu sein. Dies hat Sjöblom verinnerlicht und scheint bei den Kompositionen auf sein untrügliches Gespür für aussagekräftige Songs zu hören. Das bedeutet schlussendlich Nummern wie "Home" oder das herrlich ätherische "A Thousand Words", die der Mann auf seiner Habenseite verbuchen darf. "Demons" jedenfalls zählt zu den unangestrengtesten und gleichzeitig anschmiegsamen Alben in diesem Jahr.
"New wave & Post-Punk music for emotional engagement, intellectual stimulation, energetic dancing and nostalgic enjoyment!" Die Beschreibung der Musik von Palais Ideal ließt sich fast wie die Überschrift einer Doktorarbeit. Doch ihr zweites Album "Negative Space" ist alles andere als verkopft. Denn Richard van Kruysdijk und John Edwards lassen sich bei ihren Songs deutlich von ihren Emotionen leiten, aber auch von ihrer langjährigen Erfahrung im Musikzirkus. Unter anderem führte sie der Weg zu Kollaborationen mit Mitgliedern von Wire, Bauhaus, Swans oder Clan Of Xymox. Das geht natürlich nicht spurlos an der eigenen musikalischen Ausbildung vorbei. Dementsprechend klingt "Negative Space" auch wie die Quintessenz aus rund 30 Jahre schwarzromantischem Depri-Rock. Jedoch beziehen sich Palais Ideal deutlich auf den Gothic-Sound der frühen 80er, dafür sorgen alte Synthesizer und Gitarren, aus diesen der warme Sound gezogen wird. Das macht "Negative Space" vor allem für die ältere Gruftie-Fraktion interessant. Doch das Duo ist nicht auf einem reinen Nostalgie-Trip, sondern hat in Stücken wie "Results" und "Keeping The Faith" durchaus die Gegenwart fest im Blick. Abschließend steht aber das großartige Gefühl der beiden für die richtige Stimmung der Songs im Vordergrund. Und diese ist über jede Diskussion über die ästhetische Ausrichtung der Stücke erhaben. "Negative Space" bestätigt einmal mehr die außerordentlliche Schaffenskraft der Niederländer. Palais Ideal haben das Zeug zu etwa Großem.
Ganz offensichtlich nostalgisch angehaucht ist Michael Schrader. Der Mann liebt die blubbernden Sequenzen und furztrockenen Beats klassischer EBM-Truppen wie Deutsch Amerikanische Freundschaft oder Nitzer Ebb. Bereits sein erstes Projekt Tension Control frönt diesem Sound alter Elektroschule, was ihnen erwartbar viel Zuspruch in der Schwarzen Szene und Spitzenplatzierungen in den Deutschen Alternative Charts einbrachte. Nun ist Michael solo unterwegs, hat sich den wohlklingenden Namen Michael Matters zugeschustert und macht auf seinem selbstbetitelten Erstling...wieder Old-School-EBM. Doch dieses Mal verlagert er den Fokus auf einen hyperminimalen Ansatz. Die Stücke werden bis auf ein Grundgerüst aus Basslinien und Bass-Drums runtergebrochen, Michael flüstert bedrohlich über die Kompositionen. Da darf dann auch mal Rilkes bekanntes Poem "Der Panther" herhalten. Was auf den ersten Blick unvereinbar erscheint, macht am Ende doch Sinn. Denn die umherschleichenden, nervösen Melodien sind das musikalische Pendant für das manisch hinter Gittern hin- und herwandernde Raubtier, den der Dichter beschreibt. Ansonsten verlässt sich Michael Matters auf die Kraft assoziativ gehaltener Texte, die sich in "Die Ewigkeit malt einen Kreis" auch mal latent philosophisch geben. Dass der Hamburger Jung auch ein kleinen Schalk im Nacken hat, ist am Song "Fluchtwege" sehr gut auszumachen, welches eine automatische Sicherheitsansage in die brodelnden Bassläufe einbaut. Ein bisschen Spaß muss eben sein - auch bei den martialischen EBMlern.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 09.11.21 | KONTAKT | WEITER: THE JOKE JAY "AWAKEN">
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www.facebook.com/Partikulband
errorr.bandcamp.com
jelka.bandcamp.com
www.facebokk.com/sjoblomofficial
palaisideal.bandacamp.com
michaelmattes.bandcamp.com
Covers © Exit Does Not Exist Records (Partikul), Anomic Records (Errorr), Siluh Records (Jelka), Reptile Music/Al!ve (Sjöblom), Cold Transmission Music(Palais Ideal), Michael Matters
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