13/18: KLAMMER, LAFOTE, ALPHA STRATEGY, KÆLAN MIKLA, LINDA EM, BLACKIEBLUEBIRD - LAST BUT NOT LEAST TEIL II
Zugegen: Das schon sehr reife Jahr 2018 war an der musikalischen Oberfläche unerträglich. Es mussten also einige Schichten abgetragen werden, um an die klanglichen Juwelen zu gelangen. Manche birgten auch einige Überraschungen.
So kommt den Musikern der britischen Formation Klammer eine besondere Rolle zu. Zentrale Schaltzelle dieses Quartetts ist Steve Whitfield. Dieser hat sich hauptsächlich dadurch ausgezeichnet, Alben unter anderem von The Cure und The Mission zu produzieren. Beide Namen stehen für einen melodiegetränkten Gothic-Pop-Rock, der Weltschmerz für alle zugänglich machen wollte. Seit einiger Zeit verfolgt er zusammen mit Sänger Poss, Mike Addy am Bass und Drummer Rob Longley seine eigene Vorstellung, wie Post-Punk im 21. Jahrhundert zu klingen hat. "You Have Been Processed" ist Klammers dritter Langspieler und setzt auf Nachhaltigkeit beim Hörer. Stücke wie "Modern God" oder "Spiral Girl" sind wie ein wilder Tanz nah am Abgrund. Ein bisschen Killing Joke mag man da hören, in "Baddest Blocks" flackert auch die punk-poppige Attitüde von The Undertones und The Damned auf. Wenn man "You Have Been Processed" überhaupt kitisieren kann, dann höchstens dafür, dass ihre Songs nach allen Regeln der Kunst entstanden und manchmal etwas sehr abgeklärt wirken. Aber darf man überhaupt jemanden dafür anprangern, dass er sein Handwerk perfekt beherrscht? Klammer sind im besten Sinne britisch: Sie haben die Stimmung ihres Landes in den Endsiebzigern des letzten Jahrhunderts inhaliert, den damaligen Zeitgeist genauestens studiert und fangen jetzt, da England dank "Brexit" abermals im Generationenkonflikt steht, eine neue, ästhetisierte Endzeitstimmung aufzubauen. Mit Erfolg.
Auch hierzulande geht es unter der Oberfläche wenig schmusig zu. Der neue deutsche Post-Punk verhandelt das bundesdeutsche Kollektiv-Gefühl, das irgendwo zwischen nationalen Schreihälsen, digital induzierten Wertewandel und überpolitisch korrekten Gutmenschentum anfängt, zu diffundieren. Bands wie Karies, Die Nerven und Isolation Berlin stehen an vorderster Front. Auch Lafote wurden bereits bei ihrer Bandgründung vor vier Jahren mit Vorschusslorbeeren überhäuft. Das hielt Jakob Groothoff (Gesang/Gitarre), Malte Zimmermann (Schlagzeug) und Stefan Kühl (Bass) aber nicht davon ab, ganze vier Jahre zu warten, bis sie mit "Fin" ihr erstes Album auf den Markt bringen. Und dieses zeigt sich gleich unmissverständlich weltabgewandt. "Ich habe keine Kraft mehr" leitet Jakob in bester Sterne-Manier "Alles liegt in Scherben" ein. Man muss kein promovierter Germanist oder gar philosophisch beschlagen sein, um zu erkennen: Hier schafft sich jemand ab - und findet sich dabei nicht gerade ungeil. "Fin", zu deutsch: Ende, ist pure Zersetzung in elf trockenen Post-Punk-Gemälden, bei denen die Gitarren schön schrammeln und das Schlagzeug hektisch dazwischenfunkt. "Ich gebe auf", "Jeden Tag werde ich mehr unsichtbar", "Der Riss geht auch durch dich hindurch", "Etwas fehlt"...Lafote wirken von der Gegenwart heillos überfordert und beginnen mit der Selbstauflösung. Selbst eine balladesk intonierte Nummer wie "Spaghettieis" ist lediglich ein Post-Punk-Wolf im Schafspelz. Und das abschließende "Wir könnten sagen es ist gut so" beginnt ruhig-kratzig und endet in der Gewissheit, dass überhaupt nichts gut ist. Nur Lafote mit ihrem megastarken "Fin".
Währenddessen erreichen uns aus Toronto nicht weniger heftige Klänge. Bei "The Gurgler", dem dritten Album von Alpha Strategy, knarzt, quietscht und heult es an allen Ecken und Enden. Allerdings wirkt alles recht aufgeräumt und - bei aller Experimentierfreude - auch gut nachvollziehbar. Das liegt nicht zuletzt am Mitwirken von Steve Albini und Bob Weston, die das Album aufgenommen und final abgemischt haben. Ihre Expertise in Sachen anspruchsvoller Alternativ-Rock unterstützen das Projekt von Frontmann Rory Hinchey, den man stimmlich am ehesten noch mit dem jungen Nick Cave während seiner expressiven, drogenschwangeren Zeit bei The Birthday Party vergleichen kann, kongenial. Hinchey verzichtet bei seinen Songs auf Refrain oder sonstige gängige Songgerüste. Unter schleppenden Rhythmen (die bei "To The Woods That I Know" fast so klingen, als würde der Drummer mit letzter Kraft seine Stöcke heben) offenbart er seine surrealen Erzählungen, die sich bereits in den Titeln manifestieren: "I Smell Like A Wet Tent", "Pissed Out The Fire" oder "Give Me The Mouth" lassen in Darbietung und Inhalt ein wenig am Geisteszustand des Sängers zweifeln. Andererseits ist man auch wie gefesselt von seiner Intonation, der sich immer wieder vom Spiel seiner Mitstreiter abkoppelt und zu Höhenflügen ansetzt, während der Rest der Band sich ordentlich präsentiert und den Noise-Rock mit Post-Punk-Einflüssen nicht zu überprononciert spielen, damit das narrative Moment von "The Gurgler" immer zur Geltung kommt. Dieses Album ist bemerkenswert in seiner künstlerischen Radikalität.
Stilistisch zwar vollkommen anders, aber nicht minder kompromisslos zeigt sich das isländische Damen-Trio Kælan Mikla bereits im Sommer mit ihrem zweiten Album "Mànadans", das einen ätherischen Cold-Wave mit isländischen Texten zu einem fast schon okkulten Hexentanz verwoben hat. Doch anstatt sich erst einmal über die vielen Gratulanten, darunter so prominente Kollegen wie The-Cure-Sänger Robert Smith, zu freuen und das Album live zu performen, kommt mit "Nótt Eftir Nótt" der nächste Paukenschlag. Und das ist beängstigend! Denn nach nicht einmal einem halben Jahr veröffentlichen die drei Damen ein Album, das sich deutlich von "Mànadans" unterscheidet - aber auch im veränderten Stil mit absoluter Souveränität auftritt. "Nótt Eftir Nótt" wirbelt das instrumentelle Inventar ordentlich durch, lässt die beim Vorgänger noch melodieführenden Gitarren in den Hintergrund rutschen. Ersetzt werden diese nun durch elektronisch erzeugte Klänge, die das Album noch transzendentaler und etwas distanzierter wirken lassen. Bereits "Gandreið" baut mächtige Synthieflächen auf, das anschließende "Nornalagið" zeigt sich unumwunden tänzerfreundlich, "Hvernig kemst ég upp" macht in Sachen Diskothekenfreundlichkeit ebenfalls keine Gefangenen, erhält durch die vorgerückte Bassfigur aber erdigere Nuancen. Spätestens bei dem rumpeligen "Skuggadans" dürfte jedem klar sein, dass Kælan Mikla sich neu definieren und einem cluborientierten Publikum öffnen, ohne dabei ihre Spielfreude und Eigenartigkeit zu verlieren. "Nótt Eftir Nótt" ist der letzte Beweis, dass das isländische Trio im Begriff ist, eine feste Größe in der Wave-Szene zu sein. Wenn sie es nicht schon längst ist.
Von einer solchen breiten Zustimmung kann Linda EM momentan nur träumen. Zugegebenermaßen war der Redaktion diese Frau ebenfalls kein Begriff. Dann hört man sich die vier Nummern starke EP "London Irish" an und fragt sich ernsthaft, wie so eine wunderbare Stimme bislang unter dem Radar (auch von großen Labels) geflogen ist. "Wild Fire" eröffnet die EP mit einer lasziven Mischung aus Americana und Mitternachts-Jazz. Im vokalen Zusammenspiel mit Gavin Glass, der "London Irish" auch produziert hat, bewegen sie sich zwischen den schummrigen "Murder Ballads" von Nick Cave & The Bad Seeds und den unnachahmlichen Psychedelic-Pop-Duetten von Lee Hazlewood und Nancy Sinatra. Linda EM ist eine klassische Singer/Songwriterin, die ihre Geschichten mit ihrem kraftvollen Organ, das die besten Eigenschaften von Stevie Nicks und Lana Del Rey vereinigt, variantenreich vorträgt. So könnte man sie in der getragenen Piano-Ballade "Two Hands" ganz divenhaft in Pelz und Zigarettenhalter vor sich stehen sehen, während bei "Little Lightmaker" ein hemdsärmeliges Cowgirl diese Country-Rock-Nummer zum Besten gibt - stets mit einer Prise weiblicher Selbstbestimmtheit. Mit dem abschließenden "White Horse" fühlt man sich ein weiteres Mal in den Wilden Westen zurückversetzt, wobei Linda EM einerseits verletzlich wirkt, aber unbeirrt und voller Stolz voranschreitet. Nach "London Irish" wünscht man sich schnell mehr von dieser Frau, dessen Stimme einen nicht mehr loslässt, hat man sie einmal vernommen.
Manchmal fügt das Schicksal zwei Menschen zusammen, die alleine vielleicht wenig bewirken, deren Synergien aber atemberaubend sein können. Man denke nur an die beiden ABBA-Männer Björn Ulvaeus und Benny Andersson, deren Popverständnis so ziemlich alles über Bord warf, was bis dahin angesagt war. Vielleicht nicht in diesen riesigen Dimensionen, aber nicht weniger magisch verhält es sich mit Heidi Lindahl und (((S)))-Mann Nils Lassen aka BlackieBlueBird. Heidis samtenes, leicht rauchiges Organ und Lassens verträumter Pop mit Western- und Americana-Einflüsse haben sich gesucht und gefunden. Das Ergebnis ist das wahrhaft berauschende Debüt "Ghost River". Eine ganz spezielle Magie geht von den vibrierenden Gitarren, sirenengleichen Chören und flirrenden Basslinien aus, sodass das Fehlen eines Schlagzeugs im ersten Moment gar nicht auffällt. Besonderes Hauptaugenmerk legen BlackieBlueBird dabei auf sublime Melodien in den Refrains, die vor allem bei "Blood Under The Bridge", "Flying Too Close To The Ground" und dem Titelsong ihre Wirkung nicht verfehlen. Vergleiche mit Hope Sandoval respektive Mazzy Star oder auch Hungry Lucy sind sicherlich nicht fehl am Platz, um die Grundstimmung von "Ghost River" kategorisch dingfest zu machen. Am Ende steht dieses strahlende Debüt jedoch für sich und macht sich als Soundtrack zur Vorweihnachtszeit prächtig - auch wenn kein Song davon handelt. Es ist lediglich diese entspannte und gleichzeitig auch etwas melancholische Atmosphäre, die so gut zum Jahresende passt.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.12.2018 | KONTAKT | WEITER: BAUHAUS "THE BELA SESSION">
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Webseiten:
www.klammer.co.uk
www.facebook.com/pg/lafotelafote
www.alphastrategy.net
kaelanmikla.bandcamp.com
www.lindaem.co.uk
fustydk.bandcamp.com
Covers © Under Dogz Records (Klammer), Misitunes (Lafote), Antena Krzyku (Alpha Strategy), Artoffact Records/Cargo Records (Kælan Mikla), Talking Elephants (Linda EM), afmusic/Altone Distributions (BlackieBlueBird)
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