EIN GESPENST GEHT UM IN DEUTSCHLAND: KÜNSTLER ÄUSSERN SICH ZUR BUNDESTAGSWAHL 2017 - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

Direkt zum Seiteninhalt

EIN GESPENST GEHT UM IN DEUTSCHLAND: KÜNSTLER ÄUSSERN SICH ZUR BUNDESTAGSWAHL 2017

Kling & Klang > KOMMENTIERT

Normalerweise darf der geneigte Leser sich hier über schöne Künste und alternative Musik informieren. Politische Themen sind UNTER.TONs Sache nicht. Doch der erstmalige Einzug einer dezidiert rechtspopulistischen Partei in den Bundestag lässt auch dieses Online-Magazin nicht kalt. In einem großen Aufruf haben wir Musiker und Labelbetreiber darum gebeten, uns ihre Meinung zu schicken.

"Nehmen wir doch einfach die Natur als Vorbild: Nur die enorme Vielfalt, die ihr innewohnt, ermöglichte erst die Entwicklung unseres Seins. Denn Unterschiede erschaffen Leben, Gleichschaltung bewirkt den Tod - so einfach ist das. Dasselbe Prinzip gilt natürlich auch für Gesellschaften: Monokultur und Gleichschaltung führt zum Untergang dessen, was den Menschen im Kern ausmacht, nämlich Individualität. Ehrlich gesagt macht mich die Tatsache schon ein wenig traurig, dass es scheinbar einen beachtlichen Anteil von Personen gibt, die die Sinnhaftigkeit des Vielfaltprinzips nicht imstande sind zu verstehen. Der Personengruppe, die nur aus Protest staatliche Vertreter von Monokultur gewählt haben, ist offenbar nicht bewußt, dass diese Art der Einflussnahme schlicht und einfach gefährlich ist. Wie schnell Gesetze geändert werden können, sodass die Demokratie ausgehebelt wird, sieht man nicht nur an unserer Geschichte, sondern auch aktuell an einigen osteuropäischen Ländern. Bei all dem macht mir eines Hoffnung: Das oben genannte Prinzip der Vielfalt der Natur bewirkt von ganz alleine eine Varianz in der Entwicklung von Persönlichkeiten - dies bedeutet auch, dass es immer Menschen geben wird, die (trotz Gehirnwäsche) mit einem hinterfragenden Verstand oder Mut zur Rebellion ausgestattet sind. So gesehen sorgt die Natur durch ihre Lebensprinzipien einfach selbst für gesellschaftliche Vielfalt, was mit ein Grund dafür ist, dass Diktaturen immer nur temporär existieren können. Nichts desto trotz ist es wichtig, aktiv für die Erhaltung von Demokratie zu kämpfen." Ewian Christensen, Musiker



"Es ist gerade einmal ein paar Wochen her, dass wir in England auf dem 'Infest Festival' gespielt haben. Dort hingen Plakate mit der Aufschrift 'Infest bleibt europäisch!' Plakate, deren Anblick ein durchaus beklemmendes Gefühl hinterließen, welches wir aber, im Gegensatz zu unseren englischen Freunden, aus der Sicht des eher einflusslosen Beobachters bequem wieder ausblenden konnten. Dieses Privileg wurde uns mit der letzten Bundestagswahl genommen. Mit ihr haben wir deutlich spürbar ein großes Stück Leichtigkeit in unserem Leben verloren. Wir besitzen nicht mehr die Freiheit, alles und jeden das denken und tun zu lassen, wonach gerade der Sinn steht. Aus der Hoffnung, dass sich bei uns Populisten, Tatsachenverdreher, Hass und Fremdenfeindlichkeit nicht durchsetzen werden, ist eine Aufgabe geworden! Eine schwere, denn für die Welt, in der wir leben, gibt es keine gut klingenden und einfachen Lösungen, sonst wären der Brexit, und sämtliche Ideen der Herren Erdogan, Orbán oder Trump Erfolgsmodelle. Es liegt an uns, die demokratischen Parteien und deren von der Mehrheit der Deutschen gewählten Vertreter zu unterstützen. Wir müssen den Menschen, die sich durch Algorithmen im Internet vernebeln lassen, zuhören, sie aufklären und sie aus ihren Filterblasen herausholen. Dieses freie und demokratische Land gehört uns und keiner Partei." NOYCE™


"Es gibt eine Partei, die versucht, aus den Ängsten und Sorgen vieler Bürger Kapital zu schlagen. Ängste und Sorgen lassen sich nicht durch Beschuldigungen eliminieren. Es geht also nicht darum, die Bürger zu beschuldigen, welche die AfD gewählt haben. Es geht darum, die Partei zu entlarven, welche die Sorgen und Ängste der Menschen missbraucht. Es geht darum, vorzuleben, dass Vielfalt und Liebe die Antwort ist. Nicht Schuldzuweisungen und Hass. Wenn das gelingt, hat die Partei keine Chance. Steh auf, geh raus und mach was!" Christoph Engelsberger, Musiker





"Natürlich ist die AfD eine schlimme Nazipartei, aber wir müssen aufhören, einen Großteil der Wählerinnen und Wähler als dumme und unreflektierte Nazis abzutun. Wir müssen anfangen, die Sorgen und Ängste dieser Menschen ernst zu nehmen. Offenheit heißt, sich die Ursachen der Probleme bewusst zu werden. Und Toleranz heißt, Menschen, welche unter diesen Problemen leiden, nicht auszugrenzen, zu beschimpfen und noch mehr fertig zu machen. Das sorgt für Extremismus und nichts anderes. Und diesen können wir alle, jeder in dieser Gesellschaft, nur mit integrativen Verhalten verhindern. Indem wir anfangen, dass es uns nicht mehr scheißegal ist, wie es unseren Nachbarn geht. Indem die Menschen mal wieder beginnen, Ehrenämter zu übernehmen und sich gesellschaftlich zu engagieren. Wer jedoch nur in seinem Elfenbeinturm hockt und altklug daherredet, muss sich nicht wundern, dass die Menschen sich immer mehr voneinander abkapseln und Neonazis ein allzu leichtes Spiel haben." Axel Meßinger, Gründer und Organisator von AtSea Compilations





Viele Anfragen wurden abgelehnt, weil die Künstler ihre Meinung bereits über ihre eigenen Kanäle verbreitet haben oder sich in der Öffentlichkeit nicht zu politischen Themen äußern möchten. Dennoch danken wir auch denen, die uns im privaten Schriftverkehr ihre Gefühle zum Ausdruck gebracht haben und einige mutmachende Denkanstöße lieferten.


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 02.10.2017 | KONTAKT | WEITER: UND WENN DAS HERZ AUCH BRICHT >

FOTOS © NATALY ZIBERT (EWIAN CHRISTENSEN), SIMONE HORN (NOYCE™), RAOUL LANDT (CHRISTOPH ENGELSBERGER), AXEL MEßINGER

Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.


                                                         © ||UNTER.TON|MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR| IM NETZ SEIT 02/04/2014.||

Zurück zum Seiteninhalt