SNOW TRAIL "ABANDONED CAPSULE" VS. MANTAROCHEN "IN THE BADGERS CAVE": JETZT SCHLÄGT'S ELF - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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SNOW TRAIL "ABANDONED CAPSULE" VS. MANTAROCHEN "IN THE BADGERS CAVE": JETZT SCHLÄGT'S ELF

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Normalerweise ziemt es sich nicht, den Pressetext zu Plattenveröffentlichungen eins zu eins zu veröffentlichen, schon weil viele dieser unreflektierten Lobpreisungen selten mit dem übereinstimmen, was man am Ende zu hören bekommt. Dennoch müssen wir die ersten Sätze des Beipackzettels wortgetreu widergeben, da er perfekt die Stimmung von "Abandoned Capsule", dem Erstling von Snow Trail, umschreibt. "Wenn du nach Jena willst, dann musst du erst einmal durch diese einschüchternde, massive Mauer von elfgeschossigen Plattenbauten in Jena-Lobeda. Und Snow Trail aus eben jener Stadt liefern den perfekten Soundtrack fürs nächtliche Schlafwandeln durch diese oder andere Betonwüsten." Schon allein das reicht aus, um ein mehr als nur vages Bild von der musikalischen Kraft dieser Band zu bekommen. Aber wir gehen der Sache natürlich näher auf den Grund.

Denn das Trio hat sich bei seinen Songs offensichtlich von den Altvätern und -müttern des Post-Punk bedient, aber ihre Mucke auf sehr solide, eigene Beine gestellt. So finden sich natürlich Reminiszenzen an die Proto-Melancholiker von Joy Division, aber auch ein paar Indie-Schönheiten wie "Global Village" zieren das erste Album, das nichts weniger will, als die Hoffnungslosigkeit in vollen Zügen auszukosten. Verhallte Gitarren, die im eben genannten Song den Surfer-Sound der 60er Sound nur anzitieren, dazu ein dröhnendes Schlagzeug und ein fiebriger Bass sind die Zutaten, die eine perfekte beklemmende Atmosphäre garantieren, in dem sich die vom Weltschmerz zerfressene Seele genüsslich drin suhlen kann.

"Abandoned Capsule" fängt mit seinen grummelig-punkigen Sounds und dem alerten englischen Gesang mit angenehm deutschen Akzent die Perspektivlosigkeit einer ganzen Generation ein, die zwischen Letzter Generation, pandemischen Nachwehen und politischem Eiertanz irgendwie versucht, klarzukommen und dabei ziemlich allein gelassen ist. Das kann wütend machen, und "Town Of Shadows" klingt gerade so, als sei es aus dieser Wut heraus entstanden. Die Saiteninstrumente sind angespannt, die Rhythmussektion peitscht in Richtung Besinnungslosigkeit seine Mitstreiter vor sich her. Nach zweieinhalb Minuten ist dieser tönerne Tsunami schon wieder vorbei, doch was er hinterlassen hat, ist eine seltsame Leere und Ausgelaugtheit. Katharsis ohne Affektreinigung, denn es bleibt weiterhin ausweglos.

"Abandoned Capsule" erfindet das Post-Punk-Rad beileibe nicht neu, hält es aber weiter am Laufen. Geradlinige, schnörkellose Songs, die vor allem von der unbändigen Energie der Mitglieder leben (wunderbar: der unvermittelte Rhythmuswechsel beim abschließenden "Teacups Placed In Sweet Disorder"), sind der Hauptgrund dafür, dass man Jena, der Stadt mit den vielen Plattenbauten, als ernstzunehmenden neuen hot spot in Sachen lärmender Rockmusik auf die Landkarte setzen sollte.

Mantarochen dagegen stammen aus Leipzig, der Hochburg für Schwermut schlechthin und dank des jährlichen Wave-Gotik-Treffens zu Pfingsten auch Nabel der Welt für die Niedergeschlagenen dieser Welt. Nun bedingt die Provenienz nicht gleich das ausgesuchte Genre, aber beim Dreiergespann, bestehend aus Sängerin Diana und ihren Kompagnons Sebi und Tom, scheinen diese wiederkehrenden Festivaltage nicht spurlos an der Festplatte vorbeigegangen zu sein. Mit ihren Songs könnte das Trio sicherlich die eine oder andere Bühne während des WGT rocken.

Allerdings ignorieren Mantarochen die momentanen Strömungen und auch die studiotechnischen Gepflogenheiten. Stattdessen klingen sie auf ihrer ersten EP "In The Badgers Cave" wie eine vergessene Tristesse-Combo aus den Anfangstagen des Cold Wave. Mantarochen würden, hätte es sie damals schon gegeben, sicherlich als Support für Bands wie Siouxsie & The Banshees oder ähnlichen aufgetreten sein. Schließlich lassen ihre sechs knapp gestrickten Songs (keines erreicht die Schallmauer von drei Minuten) den Punkgeist wieder auferleben.

Zudem bringt die körnige Aufnahmequalität (vor allem "Jaguar" klingt wie ein dumpfe Kelleraufnahme aus den späten 1970ern) eine zusätzliche Kälte in die ohnehin schon frostige Inszenierung auf "In The Badgers Cave" hinein. Während Basslinien organisch durch die Songs würmeln, die Rhythmusmaschine stoisch die Nummern nach vorne schiebt und verwaschene Gitarren sich ins Nirvana gniedeln, befindet sich Diana mit ihrer distanziert-teilnahmslosen Attitüde in bester Gesellschaft mit Anja Hüwe (X-Mal Deutschland) und Andrea Mothes (Nichts).

"In The Badgers Cave" ist dabei zu einem Experimentierfeld für die junge Gruppe geworden, die sich zwischen deutschen und englischen Texten noch nicht recht zu entscheiden weiß. Von außen betrachtet kann man aber konstaiteren, dass sie in beiden Sprachen überzeugen. Keine Floskeln, keine ungelenken Phrasen. "Im Sand" überzeugt in Atmosphäre und Aussage ebenso wie "Reflections" und "Grey". Ob es zukünftig weiter im deutsch-englischen Wechsel bleibt, oder man sich auf eine Sprache festlegen wird, ist also Samtjacke wie Lederhose. Sie können alles.

Die erste EP der Leipziger ist eine kleine Sensation geworden, weil er sich zwar deutlich retrograd bewegt, das aber mit einer solchen Überzeugung tut, dass man sich dieser Nostalgieshow einfach nicht entziehen kann. Und wenn man die Augen schließt, sieht man die Band, wie sie, künstlerisch gelangweilt, in "Formel Eins" eines ihrer Stücke zum Besten gibt, stilecht vor ausgefallener Kulisse und jeder Menge Bühnennebel. Die Lust auf einen Longplayer wächst indes ins Unermessliche. Harren wir also der Dinge und - nach Reich-Ranicki - "sehen betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen."

Eine Antwort haben uns Snow Trail und Mantarochen allerdings gegeben. Auf die Frage, wie es denn nun um die Szenelandschaft in Deutschland bestellt sei, haben sie mit ihren Veröffentlichungen klar gemacht, dass es immer noch genügend talentierte und großartige Musikerinnen und Musiker gibt. Und dank des Labels It's Eleven Records auch eine vielversprechende neue Anlaufstelle.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 21.05.24 | KONTAKT | WEITER: KIRA MCSPICE VS. ABBEY MASONBRINK>

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