14/23: ALPHA STRATEGY, ELECTROLYTES, THE UNDERGROUND YOUTH, METZGERBUTCHER, LENA & LINUS - IN DIE VOLLEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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14/23: ALPHA STRATEGY, ELECTROLYTES, THE UNDERGROUND YOUTH, METZGERBUTCHER, LENA & LINUS - IN DIE VOLLEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2023
Schon einmal haben uns Alpha Strategy mit ihren musikalischen Ergüssen behelligt, und wir waren sehr froh darüber. Schließlich hält die tschechische Truppe die Fackel experimenteller wie expressionistischer Rockmusik weiter am lodern. Die aktuelle EP "Staple My Hand To Yours" knüpft weitestgehend an die Erfolgsformel ihres letzten Albums "The Gurgler" von 2018 an. Die Gitarren laufen gepflegt Amok, ein Schlagzeug rumpelt sich durch die Kompositionen und Frontmann Rory Hinchey ist stimmlich irgendwo zwischen Nick Cave, Blixa Bargeld und einem angeschossenen Tier einzuordnen. Für Aufnahme, Mischung und finales Mastering haben sich Alpha Strategy ein weiteres Mal auf die fachmännische Kenntnis von Steve Albini und Bob Weston verlassen. Diese schaffen es ein weiteres Mal, dem vordergründig unaufgeräumten und wie aus dem Moment heraus entstandenen Sound Kontur zu verleihen, sodass "Staple My Hand To Yours" bei aller Wildheit auch nachvollziehbar aus den Boxen stolpert. Schon "Mr. Wobbles" punktet mit einem hypnotisch-archaischen Schlagzeugintro, während "Steel Hair" wie direkt aus dem Orkus klingt. Dissonanter Notensprung anstatt harmonischer Wohlklang, Hinchey als Antagonist seiner eigenen Musik pfeift auf Rhythmik. Wer nach Strophe und Refrains sucht, wird schnell ernüchtert sein. Alpha Strategy klingt wie ein eruptiver Gedankenausstoß, der sich in keine Form pressen lassen kann und will. "Staple My Hands To Yours" fegt wie bereits frühere Veröffentlichungen sämtliche Gepflogenheiten tradierter Rockmusik beiseite und schafft dadurch Freiräume, sowohl für sich selbst, als auch für das Genre an sich.

Die Datenlage ist äußerst dünn bei den Electrolytes. Da ist Sanni, Bassistin und Sängerin, Martin Matthes, Saitenmeister und ebenfalls Sänger, Max Jäger an den Maschinen und Felix Karpf am Schlagzeug (und auch am Mikro). Dass das Gespann aus Dresden stammt, mag vielleicht auch das Albumcover erklären: Ob da die Spreewaldgurke Pate stand? Aber alle Theorie ist grau und das Mutmaßen über Nebensächlichkeiten nicht zielführend. Man muss "Ultralyte", das erste Album dieser Formation, einfach hören. Betonung liegt auf "muss". Es käme einer Todsünde gleich, das Album nicht wenigstens zu überfliegen. Denn der befreit eignespielte Mix aus elektronischem Rock und psychedelischen Fuzzdoom lebt von einer süchtelnden Gier nach eingängigen Sounds, ohne aber den Experimentalcharakter zu vernachlässigen. So beginnt das Album mit einem schönen Motorik-Beat in "No Ones Gun", ehe der Mittelteil ein sphärisches Jimi-Hendrix-Moment einwebt, quasi ein "Hey Joe" in elektronisch, um sich nachher dem gepflegten Krach wieder hinzugeben. Auch "Into The Blue" und "Servant" profitieren von starken Gitarrenriffs und einem ungekünstelten New-Wave-Moment. Besonders Sannis Stimme, die zwischen rotzig und trotzig pendelt und bei aller Intimität ihres Organs doch distanziert wirkt, bringt nicht nur Energie, sondern auch eine fast schon naiv zu nennende Freude und Frische in die Songs. "Ultralyte" erinnnert an die Nachpunkzeit, als die stilistische Freiheit so groß wie nie war. Diese Spielfreude bewahren sich Electrolytes durchgehend, denn selbst das enigmatische, fast rein elektronische "Lanyrinth" zeigt am Ende nochmal, wozu die Dresdner im Stande sind. Von Electrolytes haben wir nun das erste Mal gehört, aber sicher nicht das letzte Mal.

Von The Underground Youth indes hat die Welt schon viel zu hören - und zu sehen - bekommen. Denn Craig Dyer aus Manchester, mittlerweile Wahlberliner, brachte sich mit seiner Musik ins Gespräch, als er diese mit Szenen aus verschiedenen Filmen von Jim Jarmusch oder Andy Warhol kombinierte und auf Youtube hochlud. Aus dem Ein-Mann-Projekt wurde ein Familienbetrieb (Craigs Frau Olya sitzt am Schlagzeug) und den ersten Videoclips folgten schon bald ganze Alben sowie ein Vertrag beim renommierten Label Fuzz Club. Mittlerweile sind The Underground Youth eine feste Größe in der Shoegaze und Post-Punk-Szene. "Nostalgia's Glass" ist dabei für bare Münze nehmen, denn die schwer schwebende Musik von Dyer und Konsorten erinnern nicht von ungefähr an die Tristesse von Joy Division, die sie mit meterdicken Soundwänden einkasteln - The Jesus And Mary Chain winken von fern. Doch manchmal lichtet sich der nebelgraue Schleier und ein diffuses Licht in Form des Stücks "I Thought I Understood" durchbricht die monochrome Szenerie und sorgt für so etwas wie Wohlgefühl. Es sind aber nur kurze Verschnaufpausen eines Albums, das die Tristesse unserer Existenz bis zum Äußersten auskostet. Selbst die angedeutete Erotik von "Frame Of Obsession" wirkt sonderbar teilnahmslos, und "Omsk Lullaby" erscheint der Welt seltsam entrückt. "Nostalgia's Glass" gehört zu den vielleicht besten Alben der Band, die sich mit einem wunderschönen "Epilogue", getragen von einem leicht verstimmten Klavier, verabschieden. "Breath it in, the melancholy" - wir haben einen tiefen Atemzug genommen und sind wie besoffen vom Weltschmerz.

Zugegebenermaßen hat es bei MetzgerButcher ein bisschen gedauert, bis ihre Langspielpremiere "Zwei vor Zwölf" richtig gezündet hat. Dafür brennt sich dieses Album ziemlich tief in die Gehör- und Gehirnwindungen. Denn das Brüderpaar Larry Butcher und Hans W. Metzger macht Musik von gestern für die Sorgen von morgen. Denn "Zwei vor Zwölf" könnte kein treffenderer Titel sein, um das zu beschreiben, in welchem vermeintlich finalen Zustand sich diese Welt befindet. Ihre teilweise hingekotzte Lyrik untermalen sie mit einem eher archaischen Klang aus Bass, Gitarre und einer Drummachine, was sie stilistisch natürlich eng mit den frühen NDW-Helden in Verbindung setzt. Für die extrem kritischen Texte eignet sich dieser schroffe und polternde Klang natürlich vortrefflich. Stücke wie "Scheißegal" bekommen genau die Portion "Leck mich"-Attitüde, die es braucht, um begeistern zu können. Das nicht mal einminütige "Halt Abstand" kann als persiflierter Abgesang auf die Corona-Maßnahmen, Stichworte: "Social Distancing", gedeutet werden, wobei die einzige Textzeile dieses Songs - "Halt Abstand, du Arsch!" - auch das gesellschaftliche Miteinander konterkariert. Schließlich merkt man es in allen Bereichen: Der Ton wird rauer. Die gepflegte Diskussionskultur macht langsam aber sicher die Grätsche, während diejenigen, welche am lautesten brüllen, erst einmal recht einfordern. Das haben MetzgerButcher erkannt. "Bescheid" ist demnach der zynische Blick auf die Menschheit, die sehenden Auges in ihr Verderben rennt. Viel Wut und viel Sarkasmus  verpackt in Songs unter drei Minuten. "Zwei vor Zwölf" ist der große Rundumschlag zwei unzfriedener Brüder und dadurch extrem authentisch.

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins klingt durch jede Note der beiden. Lena & Linus haben sich über Tim Tautorat, dem Manager der beiden, kennen gelernt. Er war der Meinung, dass sie gemeinsam Musik machen müssten. Wie recht er hatte! "Sekundenschlaf" ist eine weitere spannende EP des männlich-weiblichen Duos, das über entspannte Beats und selbstvergessenes Bearbeiten der Gitarre einen intimen Soundtrack der persönlichen Geschichten dieser beiden gestaltet haben. Dabei ist das aus Würzburg stammende Duo ein Produkt ihrer Zeit. Da wird in "Komisch" beispielsweise darüber berichtet, dass die Mutter des Verflossenen immer noch in der Whatsapp-Story auftaucht. Doch die Nostalgie wartet schon um die Ecke und wird in "Kino" zum überwältigenden Sentiment. Das kleine Stadtkino, wo sich die Eltern kennen und lieben lernten, wird bei Lena & Linus zum safe space ihrer adoleszenten Emotionen. "Sekundenschlaf" beleuchtet die turbulente Welt der Twentysomethings. Erste Liebe, ausgelassene Feierlichkeiten (die ja gerade für diese Generation dank Corona eine Geschichte für sich ist) und die Suche nach Orientierung bilden die Eckpfeiler, um die Lena & Linus einen musikalischen Kokon spinnen. Ihr leicht nuscheliger Duktus lässt die Songs wie Schlafzimmerproduktionen wirken: tiefenentspannt, aber nicht oberflächlich. In ihrer Dynamik erinnern die beiden an Glasperlenspiel. Doch wo die Deutsch-Pop-Heroen mit druckvollen Elektrobeats aufwarten, arbeiten Lena & Linus das intime Moment ihrer Gedanken durch eine Lagerfeueratmosphäre aus. Das ist bereits ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal dieses Zweiergespanns. Von der wunderbaren Harmonie ihrer Gesänge ganz zu schweigen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 05.09.23 | KONTAKT | WEITER: PIL "END OF WORLD">

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