4/23: DAVID SYLVIAN, TWICE A MAN, ESCAPE WITH ROMEO, KONTRAST, AUTOMATIC - ALTE HASEN UND JUNGE HÜPFER - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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4/23: DAVID SYLVIAN, TWICE A MAN, ESCAPE WITH ROMEO, KONTRAST, AUTOMATIC - ALTE HASEN UND JUNGE HÜPFER

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2023
Als Japan 1979 ihr drittes Album "Quiet Life" veröffentlichten, erschufen sie die Blaupause für das, was nur wenige Jahre später als New Romantic Einzug in die Charts halten sollte. Auf ihrem Höhepunkt 1982 trennte sich die Band, und Sänger David Sylvian, dessen Bariton stets der Welt entrückt klingt, begab sich auf Solopfade und realisierte Projekte mit befreundeten Musikern. Im Laufe der Zeit sagte sich der Mann immer mehr vom Popbusiness los. Seine Songs, teilweise nur Instrumentale, wurden für die Allgemeinheit zu undurchdringlich. Die treue Fangemeinde jedoch schwärmt für Sylvians Timbre und dessen musikalisch ungebändigte Leidenschaft. "Sleepwalkers", das bereits 2010 veröffentlicht wurde, ist die Zusammenstellung verschiedener Kollaborationen, die er zwischen den Alben "Blemish" (2003) und "Manafon" (2009) aufgenommen hat. Sie zeigen, mit wieviel Mut, aber auch Neugier der mittlerweile 65-jährige Musiker die unendlichen Klangweiten bereist. Ob Neoklassik ("Five Lines"), eleganter Jazz-Pop ("The Day The Earth Stole Heaven") oder avantgardistische Experimentalelektronik ("Transit"): Sylvian bändigt die teilweise monströsen Klangkonstrukte mit seiner immer noch an Grandezza unüberbietbare Stimme, die in den Jahren etwas nach unten gerutscht ist, aber nicht weniger charismatisch wirkt. Es ist kein leichtes, sich den Kleinoden dieses Mannes, der sich herzlich wenig um Eingängigkeit und Gefälligkeit kümmert, hinzugeben. Es bedarf schon eines aufgeschlossenen Geistes, um Zugang zum sylvian'schen Kosmos zu erhalten. Wenn man das aber geschafft hat, lässt einen die Intensität seiner Stücke so schnell nicht mehr los.

Sie sind zu Unrecht ein Szene-One-Hit-Wonder. Twice A Man aus Schweden sind stark mit ihrem Clubhit "Decay" verbunden, welches auf dem 1982er Album "Music For Girls" erschienen ist, einem Werk, das bis heute zu den schönsten überhaupt gehört. Danach konnten die beiden Musiker Dan Söderqvist und Karl Gasleben keine wirklichen Hits mehr landen. Trotzdem, oder vielleicht sogar gerade deswegen, hat sich Twice A Man im Laufe der Zeit immer wieder musikalisch gehäutet, wie das umfassende Kompendium "Songs Of Future Memories (1982-2022)" eindrucksvoll belegt. Bewegte sich das Duo in ihren Anfängen noch stark in New Romantic Gefilden, wurden im Laufe der Jahre die Sounds zunehmend ausladender und auch anspruchsvoller. Dass die beiden Musiker mit fortschreitender Professionalität auch Theatermusiken geschrieben haben, ist anhand solcher Stücke wie "Driftwood" oder "Crane Dance" gut nachzuvollziehen. Hier wandeln Twice A Man auf verstiegenen Wegen und klingen in "Somebody Sang Your Name" sogar zeimlich abgespaced. Je weiter die Karriere von Twice A Man voranschritt, umso freier und experimenteller wurden sie. Die Tatsache aber, dass Dan und Karl immer noch Musik machen, zeigt, dass sie wohl einiges richtig gemacht haben. Sie waren übrigens auch eine der ersten Bands, die sich dem Thema Umweltzerstörung in ihren Texten widmeten. Auf drei CDs nun lassen sich vier Jahrzehnte wunderbare und außergewöhnliche Musik, die selbst in der so genannten Szene nur den Connaisseuren vorbehalten schien, ergründen und die Band noch mal neu entdecken. Denn ihre Songs sind und bleiben zeitlose Juwelen.

Auch einen Blick zurück wirft Thomas Elbern mit seinem Projekt Escape With Romeo. Die Band gehörte in den 1990ern zum festen Bestandteil der Indieszene und hatte mit Stücken wie "Somebody" auch bei den Schwarzkitteln einen veritablen Club-Hit. 2019 hat die Band ihren endgültigen Rückzug aus dem Musikgeschäft verkündet. Doch die Corona-Umstände wollten es, dass sich der Musiker nicht nur in glückseliger Nostalgie befand, als er im Corona-Winter 2021 seine alten Bandfotos zu digitalisieren begann, sondern sich auch die Frage gestellt hat, wie wohl die Songs klingen würde, hätte man sie jetzt das erste Mal eingespielt. Das Ergebnis ist nun in "Based On A True Story" zu hören, einer zwei CD starken Werkschau der besonderen Art. Während auf der ersten Scheibe die Stücke neu aufgenommen worden sind, gibt es die alten Songs im Original-Zustand zu hören. Elberns Auswahl folgte dem Kriterium, welche Stücke auch heute noch funktionieren würden, und bei welchem er das Gefühl hatte noch mal neu hand anzulegen. Einige Songs finden sich auf beiden Seiten, beispielsweise "Everyone Against Everyone" und eben auch "Somebody". Dies diente wohl eher als Anschauungsmaterial für den Hörer, um den direkten Vergleich zu haben. Doch die Idee ist insgesamt sehr gut und besonders für den geneigten Fan auch eine spannende Sache, seine Lieblingssongs in einem anderen Gewand neu zu entdecken. Spoiler: Escape With Romeo ist bei den Neuversionen recht behutsam umgegangen und hat das Original stets im Blick gehabt. Zudem gibt es mit "Where Are You Now" und "When The Hammer Comes Down" zwei  unveröffentlichte Songs, welche den Kaufanreiz sicherlich steigern.

Den Autor dieser Zeilen verbindet eine besondere Beziehung zu Kontrast. Denn als dieser seine ersten Schritte als Schreiberling für ein Szenemagazin tat, wurde "Kontrastprogramm" seine erste zu besprechende Platte. Ein Glücksfall, denn Kontrast haben etwas in die Gruftie-Szene eingeführt, das es damals in der Form nicht gab und wonach sich der Autor gesehnt hat: Selbstironie. Bereits unter ihrem früheren Namen ISECS konnten sie ihren "Einheitsschritt" gewinnbringend den Schwarzkitteln uunterjubeln und sich mit einem Schmunzeln ansehen, wie die finster dreinblickenden Massen zu ihrer eigenen Oberflächlichkeit, die Kontrast in dem Stück kritisierten, schwoften. 2002 kam mit "Kontrastprogramm" das erste Album der Gruppe um Sänger Roberto Lindner auf den Markt und bestätigte ihren Ruf als selbsternannte "Scharfrichter des schwarzen Humors". Stücke wie "Tod...find' ich gut", "Todeskünstler" oder "Leben vor dem Tod" weideten genüsslich alle Stereotypen der Grufti-Szene aus und griffen auch damalige musikalische Trends auf, die sie schnell zu ihrem eigenen Sound ummodelten. Der Elektro-Pop strotzt ebenso vor beißendem Spott wie ihre Texte. Nachwievor ist "Kontrastprogramm" ein unikates Werk, das nun, 20 jahre später, nochmal neu aufgelegt um eine zweite CD erweitert worden ist. Neben dem remasterten Original gibt es jede Menge Neuabmischungen ihrer Songs (unter anderem von ihren Spezis Massiv In Mensch), aber auch die Original-Version des "Einheitsschritt" von 1996 und "The Missing Link" aus ihren frühesten Anfängen. Gesang und deutscher Akzent der englischen Lyrics sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber jeder hat mal klein angefangen. Und Kontrast sind über die Jahre (überlebens)groß geworden.

Nach all den fest im Musikbusiness verankerten Bands beleuchten wir abschließend mit Automatic ein junges Dreiergespann aus Los Angeles, das aber sich an die alten Meister deutlich anlehnt. Die drei Musikerinnen Izzy Glaudini (Synthesizer, Gesang), Lola Dompé (Schlagzeug, Gesang und Tochter von Bauhaus-Legende Kevin Haskins) und Halle Saxon (Bass) haben sich auf ihrem zweiten Album wortwörtlich dem "Excess" verschrieben -sowohl musikalisch als auch textlich. Doch Nihilismus und Eskapismus deutet das Trio als Folge eines aus den Fugen geratenen Lebens um. Musikalisch beleben sie den Geist des Post-Punk, den sie, wie Michael Prenner vom "Musik Express" treffend formulierte, "mit Kraut füttern". So erinnert "New Beginnings" nicht von ungefähr an Suicide und bei "Realms" klopfen gleich mehrere Altmeister an, namentlich John Foxx und Gary Numan. So euphorisch retro "Excess" auch sein mag, ist der Sound nur ein Vehikel, um die drängenden Probleme der heutigen Zeit zu verhandeln. "Excess" ist Kapitalismus- und Konsumkritik im Zeichen des Klimawandels. Immer wieder scheint es bei den Mädels durch, dass wir am Ende des Kapitalismus angelangt sind und wir endlich anfangen müsssen, nachhaltig zu leben. Das hätte man auch pädagogisch wertvoll mit Akustikgitarre im Liedermacherinnen-Stil vortragen können. Machen Automatic aber nicht, und das ist auch gut so. Denn mit den anachronistisschen Stücken, die auch jene Zeit beleuchteten, wo coole Sounds sehr schnell an die Mainstreamoberfläche gespült und dem Konsum überlassen wurde, greift die Band nicht uncharmant ihre Kritik auch auf musikalischer Ebene auf. Am Ende ist "Excess" ein gelungener Zweitling, der den Erfolg der drei Musikerinnen befeuern wird.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 17.02.23 | KONTAKT | WEITER: PIRX VS. WILDES>

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