MAPS "VICISSITUDE": SCHEUES REH IM DÜSTER-WALD - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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MAPS "VICISSITUDE": SCHEUES REH IM DÜSTER-WALD

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Weder Zeitschriften-Artikel noch großflächige Werbe-Aktionen führten den Autor dieses Artikels zum britischen Electro-Projekt Maps. Allein das Plattencover von "Vicissitude" machte neugierig auf mehr und regte zum Hören an. Eine tief stehende Sonne, gülden strahlend, in schwarzblauer Umgebung. Geht sie auf? Oder unter? Stehen wir hier an der Schwelle zu einem neuen Tag, oder neigt sich der Abend gerade dem Ende zu? Fast scheint es so, als blicke jemand aus einer dunklen Höhle heraus in das gleißende Licht. Wie ein scheues Reh wagt er sich vorsichtig und unsicher aus der Dunkelheit, um andächtig das Naturschauspiel zu betrachten. "Vicissitude" kann man mit Wandelbarkeit oder Unbeständigkeit übersetzen – das Artwork fängt diese Idee, unter der das gesamte Album steht, perfekt ein.

Unser Leben wird von seltsamen Veränderungs-Mechanismen dominiert. Beziehungen, die jahrzehntelang gefestigt wurden, brechen von einem auf den anderen Tag auseinander. Vermeintlich sichere Arbeitsstellen verlieren durch unvorhergesehene Ereignisse ihre Immunität. Und persönliche Schicksale lassen einen zuvor mit beiden Beinen im Leben stehenden Menschen immer mehr in Isolation und Depression driften. Wie bei James Chapman, dem Kopf und Herz des Maps-Projekts. Mit seinem dritten Album "Vicissitude" arbeitet der Musiker seine jüngste Vergangenheit auf, die von starker Niedergeschlagenheit dominiert wurde. Egal wie düster es auch um den Musiker aus Northampton gewesen sein mochte: Stets fand er das Licht wieder - und die Musik leitete ihn dorthin.

Nachdem Maps seine ersten beiden Werke "We Can Create" und "Turning The Mind" mit einer Mélange aus schwebender Elektronik und erdigen Gitarrenparts füllte, erklingen diese Saiten-Instrumente auf "Vicissitude" nur mehr selten. Lediglich auf "Left Behind" ist Chapmans Liebe zum Shoegaze deutlich hörbar - insbesondere gegen Ende des Tracks, wenn turmhohe Sound-Gewölbe langsam ineinander gleiten und den sanften Riffs mehr Platz geben. Auf  "Vicissitude"  dominieren schlafwandlerisch schöne Sequencer-Melodie-Bögen, die (ganz im Sinne des "Wandels") mit dem ersten Song recht zögerlich beginnen, um am Ende in majestätischer Schönheit zu sterben.

Schon der Opener "A.M.A." offenbart all die Qualitäten des Mannes, der seine Musik im heimischen Schlafzimmer komponiert. In einem simplen Off-Beat und dem leise vor sich hin fiependen Synthesizer zeigt sich die scheue, introvertierte Seele; in schummrige Töne getaucht, sich umblickend, Konturen wahrnehmend. Zunächst macht das Stück keine Anstalten, Spannung aufzubauen: Schön plätschern die Töne aus den Keyboards; Chapmans Stimme, hell und leicht verfremdet, wirkt wie ein menschgewordener Sprachcomputer. Alles geht seinen Gang, ehe der Refrain zur Sehnsuchts-Hymne ansetzt: "I've been staring into the sun, but it don't feel right". Die innere Zerrissenheit ist spürbar, wird aber von einer explosionsartigen Melodie und dem grundfesten Basslauf einfach weggefegt. "A.M.A." transportiert die Melancholie in ein positives Gefühl.

Ähnlich, wenngleich weitaus dramatischer, tritt dieser Licht-Schatten-Wechsel bei "Isignificant Other" auf. Wieder gibt ein programmiertes Schlagzeug den Ton vor; das Stück baut sich mühsam, Strophe für Strophe, auf - um dann urplötzlich zu enden. Einen Refrain gibt es nicht. Übrig bleiben langgezogene, improvisiert gespielte Synthesizer-Töne. Wie ein aus der Bahn geworfener Satellit driftet das Lied durch den luftleeren Raum. In jenem Moment, da man glaubt, es könne nichts mehr geschehen, passiert das Wunder: Eine mark- und beinerschütternde Melodie baut sich, monolithengleich, aus diesem Vakuum auf und wächst zu ungeahnter Macht heran. Was vorher war, bedeutet nun nichts mehr, wird von Opulenz und Bombast überlagert: "It's so insignificant to me", trägt Chapman sein Mantra im zweiten Teil des Songs vor, während die Melodie wie ein Ton gewordener Sturm um den Hörer fegt. Man möchte sich davontragen lassen – egal, wohin.

Das Übereinander-Schichten diverser Synthie-Spuren erhebt der Musiker mit "Vicissitude" zur Kunstform. Das minimale "Nicholas" wirkt wie die Fingerübung zum Sujet, während nur zwei Worte rätselhaft beieinanderstehen und ständig wiederholt werden: "Nicholas, violence". Der Sinn mag sich nicht erschließen; der rudimentäre Text verliert durch immer breiter gespielte und verwaschen gehaltene Akkorde ohnehin seine Bedeutung. Am Ende dienen die Wort-Fragmente nur mehr der klanglichen Untermalung der Komposition.

Die Quint-Essenz von "Vicissitude" steckt in Chapmans wundervollen Schluss-Stück, "Adjusted To The Darkness". Hier singt der Maps-Mann von sich, von seinem Leben in Dunkelheit. Ein in Bequemlichkeit vor sich hin dümpelndes Dasein, das durch das plötzliche Erscheinen eines Gegenübers jäh gestört wird. Dieser Jemand will ihn bewegen, aus der Isolation reissen. "The light it ain't comfortable", beklagt sich Chapman, weiß aber auch: "Now I'm here with you". Die innere Unruhe des Protagonisten wird durch die immer dichteren Klangteppiche gespiegelt. Am Ende klingt das Ganze dann doch wie eine Erlösung: Chapman hat sich aus der Höhle getraut; blickt nun auf das Licht. Mit jedem leisen Schlag, den die Bass-Drum am Ende macht, tastet sich der Musiker in sein neues Leben – Schritt für Schritt, mit ungewissem Ausgang.

Wenn Kritiker der elektronischen Musik vorwerfen, sie sei kühl und emotionslos, haben sie von "Vicissitude" wahrscheinlich noch nichts gehört. Schließlich liefert Chapman mit seinem Werk den endgültigen Beweis dafür, dass es am Ende völlig egal ist, ob die Töne nun mechanischer oder elektronischer Natur sind. Am Anfang steht der Mensch, in dessen Fantasie die Melodien ihren Ursprung nehmen. Und wenn dieser, wie im Fall von James Chapman, seine Songs voller Wahrhaftigkeit und mit aller Konsequenz komponiert; sie dem Hörer zum Geschenk macht - dann kann man, Elektronik hin oder her, nur dankbar sein. "Vicissitude" erzählt, voller Wehmut, vom Alleinsein; macht jedoch auch Hoffnung, ist voller Liebe und Wärme. Wie die Sonne, die im ewigen Auf-und-Ab des Lebens immer wieder als Hoffnungsstrahl am Himmel erscheint.

|| TEXT: DANIEL DRESSLER // DATUM: 11.05.2014||



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