15/21: BĘÃTFÓØT, BUCK GOOTER, FAUST PROJECT, ADNA, CHRISTIAN FIESEL - VON ABGEFAHREN BIS RUNTERGEFAHREN
Die Sonderzeichen feiern eine Party, und der Autor dieser Zeilen schwitzt bereits beim Suchen der Tastenkombinationen, um BĘÃTFÓØT richtig zu schreiben. Doch für noch stärkere Transpiration sorgt das selbstbetitelte Debüt dieses verrückten Haufens aus Israel. Wie von Sinnen vermischen sie Acid-Rave, Punk, HipHop und New Beat. Doch was heißt hier vermischen? Sie nehmen einfach alles auf einmal, werfen es auf den Boden und sehen, was passiert. Zumindest kommt es einem so vor, als würde alles völlig kreuz und quer durch die Kompositionen laufen. Hier ein Sample, da ein Rap, auf einmal ein Break...und am Ende kommt mit "Exit Through The Guilt Shop" eine astreine Gospel-Nummer aus den Lautsprecherboxen. BĘÃTFÓØT haben sich die künstlerisch ungestüme Zeit der frühen und mittleren 1990er rausgepickt und sie zum Credo ihrer eigenen Songs gemacht. "Alles ist besser, wenn es schneller ist", lautet ihr Motto. Und dieses setzen sie ohen Rücksicht auf Verluste musikalisch um. Dabei erreichen ihre Stücke kaum die Fünf-Minuten-Grenze. Manche Versatzstücke sind bereits nach wenigen Sekunden zu Ende erzählt. Ein eigentlich sehr passender Soundtrack für den momentanen Zeitgeist, der nach dem ersten Schrecken der Pandemie wieder an Fahrt aufnimmt und das Verhalten der Menschen ins andere Extrem schlagen lässt. Der Lockdown ist vorbei, jetzt ist Party angesagt! BĘÃTFÓØT liefern die Musik, die gemacht sei, "um zukünftige Bühnen in der post-pandemischen Welt zu entzünden und zu verderben", wie es Udi Naor sagt. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Ob aber Billy Brett wirkllich zum Feiern zumute ist, sei erst einmal dahingestellt. Denn sein langjähriger musikalischer Partner Terry Turtle, mit dem er Mitte der 00er Jahre Buck Gooter ins Leben gerufen und seitdem gemeinsam zu einer verlässlichen Göße im amerikanischen Undergrund gemacht hat, ist während der letzten Aufnahmen zu "Head In A Bird Cage" an Krebs gestorben. Auf ihrer Bandcamp-Seite erklärt Billy in mitfühlenden und bewegenden Worten, wie Terry noch während seines letzten Krankenhausaufenthalts versucht hat, am Album mitzuwirken. Die sonore Zweitstimme für den Refrain zum Opener "Nailed To A Cross" sang Turtle quasi mit letzter Kraft. "Head In A Bird Cage" bezieht sich auf die Nackenstütze, die Turtle tragen musste, weil der Tumor an der Wirbelsäule sich ausgebreitet und diese langsam zerstört hat. Die unsäglichen Schmerzen mag man sich nicht ausmalen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Album nicht nur wie ein Testament des Gitarristen, sondern ist gleichzeitig eine tiefe Verbeugung von Brett an seinen "partner in crime", dessen schmerzender Verlust in jeder Note hörbar zu sein scheint. Natürlich besitzt das Album mit seinen teilweise nicht mal zwei Minuten langen Industrial-Miniaturen, die solchen Heroen wie Nine Inch Nails und ONO nacheifert, ohne sie zu kopieren, auch aus sich heraus eine zersetzende Stahlkraft. Vor dem Hintergrund dieser tragischen Geschichte (und der Pandemie on top) ist "Head In A Bird Cage" ein einziges "memento mori" aus scheppernden Beats, verstörenden Samples und Gitarrensprengseln, die Terry Turtle woanders hoffentlich auch noch spielen kann.
Überhaupt werden wir erst viele Jahre später, wenn die Pandemie dann hoffentlich Geschichte ist, nicht nur über unser Handeln nachdenken, sondern auch die Kunsterzeugnisse dieser Zeit anders beleuchten und interpretieren. Schließlich fühlt sich ein Song, den man im Lockdown geschrieben hat, komplett anders an. Das belgische Faust Project dagegen war bereits mit ihrem Vorgängeralbum, das am Vorabend von Corona entstand, geradezu cassandrisch in seinem Titel: "The Future Comes On Sleeping Pills". Tatsächlich ist durch die Lockdowns so etwas wie eine weltweite Lethargie eingetreten, ein seltsam somnambuler Schwebezustand. Diesen nutzte Mastermind Emmanuel Gillard nun, um neue Stücke zu schreiben. Vier sind es geworden, die auf der EP "Naissance", zu deutsch: Geburt, zu hören sind. Und auch dieser Titel ist durchaus sinnbehaftet. Das Faust Project erfindet sich mit diesem Output neu. Reduziert auf Bass und Synthesizer, ohne die sonst so lamentierenden Post-Punk-Gitarren, und komplett in französisch eingesungen, repräsentiert der Tonträger Gillards neue Innerlichkeit. Darüber hinaus konzentrieren sich Stücke wie "Dans l'os" und "Trop tard pour y voir claire" auf schlanke Songkonstruktionen, die besonders bei letztgenanntem Song einen Hauch von Experimentierfreude aufweisen und entfernt an die eindringlichen Stücke von Suicide erinnern. Ein Viertel der Einnahmen spendet Gillard an die Ehler-Danlos-Society, die zur gleichnamigen unheilbaren Krankheit, bei der Menschen unter überdehnbarer Haus leiden, forscht.
Da ist nur die Stimme von Adna Kadic, die als Adna so eindringlich ihr bereits viertes Album "Black Water" eröffnet. "Kad Procvatu Behari" ist ein Stück, das die gebürtige Bosnierin, die in Schweden aufgewachsen ist und mittlerweile in Berlin lebt, in ihrer Muttersprache mit einer tiefen Inbrunst singt. Nicht nur, dass sie damit gleich die komplette Aufmerksamkeit auf sich und die nachfolgenden Stücke zieht; in ihren ruhigen Dark-Pop-Perlen breitet sich eine tiefe Sehnsucht aus - nämlich jene nach Identität. Es scheint so, als suche sie in ihren kunstvoll arrangierten Stücken, die zwischen watteweichen Texturen ("November") und introvertierter Instrumentierung ("Darkness Born In Youth") pendeln, nach der Möglichkeit eines glücklichen Lebens, auch wenn die musikalische Staffelei nur dunkle Farben parat hält. Die einzigen Farbtupfer hält Adna selbst mit ihrer leicht heiseren Stimme bereit. Diese kann wie der Welt entrückt klingen, geht aber besonders dann in Mark und Bein, wenn sie sie tiefer ansetzt. Dann wirken die Songs noch eindringlicher, noch privater. Wie bei "Color", einer klavierbasierte Nummer, dessen Intimität sich auch dadurch auszeichnet, dass man in der Aufnahme das Betätigen der Pedale hört. Adna Kadic wirft sich in die Emotionen, die besonders mit dem Abschlusssong "This, Now, Here" für Gänsehaut und feuchte Augen von der ersten bis zur letzten Note sorgt. "Black Water" ist ein intimes Album und ein ganz großer Wurf geworden, dessen Intensität auch noch lange nachhallt, während die letzten Töne schon lange verklungen sind. Wahrhaftige Kunst auf höchstem Niveau.
Emotionen vermitteln Musiker in der Regel über das gesungene Wort. Aber natürlich lässt sich auch nur via Töne ein ganzer Gefühlskosmos eröffnen. Bei Christian Fiesels neuestem Werk "Dead Men Waling" selbst hat der Musiker - es war fast nicht anders zu erwarten - die Pandemie als Inspirationsquelle genutzt. Sein Ansatz ist jedoch ein weitaus kritischerer. Er setzt sich mit den psychologischen Problemen der Menschen auseinander, die sich durch eineinhalb Jahre Corona, auferlegten Lockdowns sowie social distancing auszeichneten. Die Songs, opulent arrangiert und nicht kürzer als zehn Minuten, geben zwar diese Gedanken nicht unbedingt preis, aber sie besitzen etwas Unheimliches. Der Dark-Ambient-Sound mit Klassik-Kante (von weitem winkt auch noch die Berliner Schule) besitzt aber nicht etwa eine klaustrophobische Atmosphäre, sondern wirkt eher so surreal wie das Cover, das an Dalìs "Brennende Giraffe" angelehnt ist. Schließlich sind die vergangenen rund 18 Monate wie ein unwirklicher (Alb-)Traum an uns vorbeigegangen. Kein Wunder also, dass mit "Disconnected From The World" dann doch so etwas wie ein Unbehagen sich breit macht, ausgelöst durch die breiten, röhrenden Drones, die sich erst am Ende aufhellen, aber stets und wortwörtlich unbe-greifbar bleiben. Der Schlusspunkt dieser auditiven Reise in unser tiefstes Seelenleben kommt dem Gefühl absoluter Beklemmung schon recht nahe. Der Mensch, von der Welt abgetrennt, wird in seiner Existenz in Frage gestellt. Christian Fiesel hat dafür keine Worte gebraucht, sondern nur ein paar Synthieflächen. Großes Kopfkino.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 15.09.21 | KONTAKT | WEITER: YANN TIERSEN VS. YAN WAGNER>
Kurze Info in eigener Sache
Alle Texte werden Dir kostenfrei in einer leserfreundlichen Umgebung ohne blinkende Banner, alles blockierende Werbe-Popups oder gar unseriöse Speicherung Deiner persönlichen Daten zur Verfügung gestellt.Wenn Dir unsere Arbeit gefällt und Du etwas für dieses kurzweilige Lesevergnügen zurückgeben möchtest, kannst Du Folgendes tun:
Druck' diesen Artikel aus, reich' ihn weiter - oder verbreite den Link zum Text ganz modern über das weltweite Netz.
Alleine können wir wenig verändern; gemeinsam jedoch sehr viel.
Wir bedanken uns für jede Unterstützung!
Unabhängige Medien sind nicht nur denkbar,hansanmusic.com sondern auch möglich.
Deine UNTER.TON Redaktion
POP SHOPPING
"BEATFOOT" BEI AMAZON
"HEAD IN A BIRD CAGE" BEI AMAZON
"NAISSANCE" BEI AMAZON
"BLACK WATER" BEI AMAZON
Du möchtest eine dieser CDs (oder einen anderen Artikel Deiner Wahl) online bestellen? Über den oben stehenden Link kommst Du auf die Amazon.de-Seite - und wir erhalten über das Partner-Programm eine kleine Provision, mit der wir einen Bruchteil der laufenden Kosten für UNTER.TON decken können. Es kostet Dich keinen Cent extra - und ändert nichts an der Tatsache, dass wir ein unabhängiges Magazin sind, das für seine Inhalte und Meinungen keine finanziellen Zuwendungen von Dritten Personen bekommt. Mit Deiner aktiven Unterstützung leistest Du einen kleinen, aber dennoch feinen Beitrag zum Erhalt dieser Seite - ganz einfach und nebenbei - für den wir natürlich außerordentlich dankbar sind.
Webseiten:
beatfoot.bandcamp.com
www.buckgooter.com
faustproject.bandcamp.com
artistadna.bandcamp.com
www.facebook.com/christian.fiesel
Covers © Life And Death (BĘÃTFÓØT), Ramp Local/H'Art (Buck Gooter), Faust Project, Despotz Records/Rough Trade (Adna), Aural Films (Christian Fiesel)
ANDERE ARTIKEL AUF UNTER.TON
KURZ ANGESPIELT 14/21
KURZ ANGESPIELT 13/21
KURZ ANGESPIELT 12/21
KURZ ANGESPIELT 11/21
KURZ ANGESPIELT 10/21
KURZ ANGESPIELT 9/21
Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.
© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||