JANUS "TERROR": DAS GESAMTKUNSTWERK ALS KRAFTAKT
Erfolgreiche Seemannslieder sind meistens von einer sirupartigen Romantik überzogen. Man erinnere sich nur an "Aloha Heja He" von Achim Reichel, bei dem selbst die Gonokokken und die "Matrosen am Mast", sprich: Filzläuse, fröhlich mitschunkeln. Oder das gesamte Oeuvre von Santiano, welches jede Landratte dazu verleitet, eine Kapitänsmütze aufzusetzen und mit einer kleinen Nussschale das Meer zu bereisen.
Diese die Seefahrt glorifizierenden Shanty-Imitationen haben durchaus ihre Berchtigung. Ja, sie sind musikalisch sogar einwandfrei. Vom generierten Postkartenidyll muss man sich allerdings bei Janus ganz schnell verabschieden, wenn man ihr neuestes Werk "Terror" anhört. Denn hier geht es auch um eine Schifffahrt, die allerdings in Tod und Verderben endet - was bei dieser Band, die sich jeher für die dunkelsten Geschichten der Menschheit interessierte, nicht weiter verwundert.
Dieses Mal handelt es sich um den britischen Polarforscher Sir John Franklin, der in den 1840er Jahren zu einer Expedition aufbrach, um die Nordwestpassage, einem Seeweg, der nördlich von Amerika den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, komplett zu durchqueren. Das Unterfangen scheiterte, die beiden Schiffe "HMS Erebus" und "HMS Terror" blieben im ewigen Eis stecken, die gesamte Mannschaft, einschließlich Franklin, mussten ihren Forscherdrang mit dem Leben bezahlen. Erst rund 170 Jahre später, 2014 und 2016, konnten die Wracks geborgen werden.
Viele Mythen und Legenden ranken sich bis heute um diese "Überfahrt in den Tod", die Medien schlachteten seinerzeit diese Tragödie aus, um hohe Auflagenzahlen zu erreichen. Die öffentliche Anteilnahme blieb auch dadurch bestehen, weil Franklins Frau Jane ihr komplettes Vermögen in Suchaktionen gesteckt hat, die ihren Mann wiederbringen sollten.
Kurz und gut: Das Schicksal dieser Männer, die nach Überlieferungen in ihrer Not sogar zu Kannibalen geworden sind, um zu überleben, befeuert die Phantasie vieler Menschen, so zum Beispiel Dan Simmons, der 2007 dieses Ereignis in seinem Horror-Roman "Terror" verarbeitet (welcher später die Basis für die erste Staffel der gleichnamigen Amazon-Serie bildete). Nun haben sich auch RIG und Toby dieses Ereignisses angenommen.
Bereits ihr erstes Album "Vater" (1998) macht deutlich, dass dieses hochkreative Zweiergespann keine weitere Neue-Deutsche-Härte-Combo sein wollten, auch wenn Feuilletonisten sie mit aller Gewalt in diese Schublade quetschten. Janus lieben rockige Töne mindestens genauso sehr wie Hörspiel und Klassik. Und schließlich exisiteren Genregrenzen nur in der Theorie, die allbekanntlich grau ist.
So bricht "Terror" mit allen Erwartungen, die auch die Band an sich gestellt hat. Denn dieses Stück sollte eigentlich ein Song für das geplante Album "All die Geister" sein. Doch diesen Geist, den sie gerufen haben, ließ sie nicht mehr los, ergriff förmlich Besitz von ihnen. Der Song ist zu einem knapp 32-minütigen Monolith herangewachsen, in der sich das Duo in überbordender Detailverliebtheit nach allen Regeln der Kunst austoben durfte.
Umrahmt von einer hörspielartigen Sequenz, in der Schauspielerin Antje von Ahe als Jane Franklin auftritt und in einem Traum den Tod ihres geliebten Mannes erahnt, bahnt sich dieses Monstrum von einem Lied seinen Weg wie weiland die "Terror" durch das Packeis. Um die größenwahnsinnigen Ausmaße zu veranschaulichen: Mitglieder des MDR-Rundfunkorchesters sowie die brandenburgische Staatskapelle unter der Leitung von Bernd Ruf, Helen Jahn an der singenden Säge und die bereits erwähnte Antje von Ahe haben an "Terror" mitgewirkt. Macht in der Summe exakt 100 Künstlerinnen und Künstler.
Sie alle haben dazu beigetragen, dass diese "Doom-Metal-Oper in D-Moll" (RIG) je nach Situation seine Atmosphäre verändert. "Terror" wird zu einem tönernen Psychogramm, das zwischen Angst, Widerstand, Verzweiflung, Raserei und Delirium die letzten Tage der gesamten Crew so lebendig beschreibt, dass der Hörer das Gefühl hat, Teil von ihr zu sein. Das liegt nicht zuletzt auch an RIG, der hier so singt, als ginge es wirklich um sein Leben. Jeder Moment wird durch seine punktgenaue Phrasierung intensiviert.
"Terror" ist ein Kraftakt auf wirklich allen Ebenen, denn in der limitierten, haptischen Version begleitet das Stück eine 80-seitige Graphic Novel im Querformat und Hardcover-Einband. Dass die Wahl für die Gestaltung dieses Buches auf Helena Masellis gefallen ist, entpuppt sich als wahrer Glücksfall. Denn sie liefert kongeniale Zeichnungen ab, die das gesungene Wort um eine Dimension erweitert und so eine räumlich-anschauliche Tiefe verleiht.
Mehr als zwei Jahre haben Janus an diesem Gesamtkunstwerk wagnerianischen Ausmaßes gearbeitet. Das Ergebnis ist aber so überwältigend, dass "Terror" ohne Zweifel zum heißestes Anwärter auf das Album des Jahres gezählt werden darf, ja muss.
Übrigens haben die beiden Geniewahnsinnigen bereits verlauten lassen, dass das Album "All die Geister" kurzerhand in einen losen Lieder-Zyklus umgewandelt worden ist. Grund: Die meisten Songs haben bereits die Zehn-Minuten-Marke überschritten, sodass auch sie als autarke Veröffentlichungen erscheinen werden. Und wenn dies dann in ähnlich bombastischer Form passiert wie bei "Terror", wird Janus auf Jahre hinaus das Maß aller Dinge sein.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 26.03.21 | KONTAKT | WEITER: LEDFOOT VS. VOYNA>
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