"EILISEN JÄLKEEN" (POSTPUNK SAMPLER): FINNLAND RAUSCHT
Wir werden wohl nie erfahren, worüber auf "Eilisen Jälkeen – Suomalaista Postpunkia 1981-1987" gesungen wird – ist aber auch nicht so wichtig. Wesentlich interessanter: Die Erkenntnis, dass Post-Punk auch in Finnland eine lange Tradition hat. Und dass Finnisch, nur mal so am Rande bemerkt, eine unglaublich attraktive Sprache ist.
Mitte der 1970er Jahre war Gothic Rock noch kein Thema, doch sein großer böser Bruder hatte den Olymp der Gitarrengötter in seinen Grundfesten erschüttert. Punk war anders; seine anarchischen Klänge raubten den Fürsten der Klampfen-Kunst ihr Monopol und machten das Saitenspiel demokratisch. Die Gitarre erschien plötzlich in neuem Licht: als hölzerne Waffe der Rebellion. Mit dem Post-Punk ließ das Trojanische Pferd die große Weltbühne hinter sich und kehrte in den britischen Untergrund zurück. Eine neue Generation von Musikern, allen voran Bauhaus, Joy Divison oder Siouxie & The Banshees, schnappte die Impulse auf und hauchte der Legende neues Leben ein. Bald kam die Anarcho-Welle wieder in Schwung und riss nach und nach den ganzen Kontinent mit. Denn jedes Land formte nun seine eigene Post-Punk-Bewegung aus.
In Deutschland ging der Schuss leider nach hinten los. Erste wütende Bemühungen scheiterten an der banalen "Ich will Spaß"-Parole und mutierten schlussendlich zur Farce. Nur für die unvermeidliche Hitparade holte man den Post-Punk in regelmässigen Abständen aus dem künstlichen Koma. Mit ihrer nihilistischen Attitüde geisterte die (Nicht-)Bewegung noch eine ganze Weile durch die knallbunten Kulissen von Dieter Thomas Heck, bis sie zuletzt auch hier niemand mehr sehen wollte.
Amerika, insbesondere New York, ging mit den neuen Impulsen weitaus subtiler um. In Anspielung an den parallel existierenden New Wave, entstand im Big Apple der No Wave. Musikalisch kaum vom Post-Punk zu unterscheiden, wurde er Teil eines singenden-klingenden Gesamtkunstwerks, das auch vor Performance-Elementen und avantgardistischen Kunstformen nicht zurückschreckte. Einer der schillerndsten Stars dieser New Yorker Szene war übrigens ein Deutscher: Klaus Sperber, besser bekannt als Klaus Nomi.
Doch was machten die Finnen aus den neuen Sounds? In sämtlichen Listen der Länder mit eigener Post-Punk-Tradition wird der Name Finnland ignoriert. Wikipedia erwähnt Finnland in einem Artikel zum Thema Gothic-Rock. Das ist zwar lobenswert, aber zu einfach gedacht. Denn die meisten finnischen Bands, die das Internet-Lexikon auflistet, sind nur bedingt dem Grufti-Genre zuzurechnen – ein Problem, mit dem Post-Punk allerdings von Beginn an zu kämpfen hatte.
Nur dem überaus liebevoll zusammengestellten Sampler "Eilisen Jälkeen" ist es zu verdanken, dass Finnland mittlerweile nicht völlig von der musikalischen Landkarte verschwunden ist. Denn gerade hier, wo die Seele der Nation durch die dunklen, schier endlosen Wintermonate geprägt ist, hat der stets pessimistische Post-Punk seine eigentliche Bestimmung gefunden. Das wird im Grunde schon auf dem Cover deutlich, das mit seiner ansprechenden Retro-Gruft-Ästhetik ein würdiges Vorspiel zum Klang-Genuss liefert.
Die 22 Songs der Kompilation beschwören die Atmosphäre einer leicht verkommenen Bunkerdisco, in der schwarz gewandete Gestalten im Todeskampf der dumpf flackernden Neonröhren die Tanzfläche im Einheitsschritt bespielen. Von Hoffnungslosigkeit und skandinavischer Kälte durchsetzt, fangen die Lieder den Zeitgeist einer Welt am Rande des Atomkrieges ein. Ein sehr schönes Beispiel liefern Belaboris ab. Die reine Mädchen-Band hat mit "Kuolleet Peilit" einen Pop-Song geschaffen, der sein eigenes Versprechen nicht mehr einlösen kann. Hier wirken die Melodien nur noch wie ein fernes Rauschen aus einer besseren Zeit.
Natürlich orientieren sich die Finnen dabei an jenen Bands, von denen die neue Gefühlsleere ursprünglich ausgerufen wurde. Der Einsatz von Drum-Computern, Saxofon, Bass und Gitarren wirkt seltsam vertraut, wird aber von der exotischen Klangfarbe der Suomi-Sprache verfremdet. Genau darin liegt der Reiz und die Spannung dieser Kompilation, die hierzulande durch Danse Macabre vertrieben wird und in dieser Form schon lange überfällig war.
|| AUTOR: BISSINGER/DRESSLER // DATUM: 12.04.2014 ||
BILDQUELLE: © DANSE MACABRE
Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurde das teils farbige Original-Cover unserem Layout für diesen Artikel angepasst.
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