SWANS "TO BE KIND": KATHARSIS DELUXE
In Deutschland ist der Schwan mittlerweile zum Kitsch-Symbol verkommen. Dank Märchenkönig Ludwig II. und gut geöltem Post-Kini-Marketing gibt es den Wasservogel hierzulande wahlweise als Anspitzer, Serviettenring oder Marzipan-Figurine. Auch so mancher US-Bürger dürfte sich beim Betrachten des weißfedrigen Mythen-Trägers an seinen letzten Disneyland-Besuch erinnern; schließlich konnte Cinderellas zuckriges Neuschwanstein-Schlösschen einst im stilechten Vogel-Kahn umrundet werden. Dieses fragwürdige Szenario hatte vermutlich auch Michael Gira im Kopf, als er seiner Band Anfang der 80er Jahre den schönen Namen "Swans" verpasste. So manch einem stillen Poeten dürfte vor Schreck die Perücke verrutscht sein, als statt lyrischem Wagner-Sound deftiger Post-Punk-Krawall vom Band ertönte: Das (Wort-)Spiel mit den Hörer-Erwartungen ist bei Schwanen-Chef Gira Programm.
So überrascht es wenig, dass der aktuelle Longplayer der Männer-Kombo mit "To Be Kind" als Anleitung zum Freundlichsein betitelt ist und das trotzig-kreischende Konterfei eines blondgelockten Zwieback-Bübchens auf dem Cover prangt. Statt niedlichem Kinder-Reigen folgt bald darauf das böse Erwachen: Denn mit seinem starren Blick, den weit aufgerissen Augen und wirr loderndem Haarkranz erinnert der Kopf stark an das Haupt der Medusa, die traditionell mit ähnlich verzerrtem Gesichtsausdruck dargestellt wird. Ein düsterer Vorbote des apokalyptisch grollenden Klang-Gewitters, das sich da in zweistündigem Höllen-Bombast entfaltet und dem Hörer wie ein wütender Donnerschlag durch Mark und Bein fährt.
Dass Michael Gira und seine Swans im tonalen Tiefgang die Abgründe des menschlichen Daseins erkunden, kommt nicht von ungefähr: Drogen, Hoffnungslosigkeit, Gewalt - das sind die grausamen Protagonisten, von denen die Vita des Sängers seit frühester Kindheit bestimmt wird. Mit zwölf Jahren rutscht Gira in die Abhängigkeit; die Flucht aus dem Elternhaus in einem Vorort von Los Angeles, wo er unter der strengen Obhut seines alleinerziehenden Vater lebt, gelingt spät. Auch in der Schule kann der Underdog nicht punkten, verpasst den Abschluss - und wandert statt dessen ins Gefängnis, wo er zu einer mehrjährigen Haftstrafe mit anschließender Zwangsarbeit verdonnert wird. Das alles noch vor seinem 21. Geburtstag.
Wer hätte damals gedacht, dass dieser verlorene Junge bald den Doom-Metal begründen und als einer der einflussreichsten Musiker in die Rock-Annalen eingehen würde?
1979 siedelt Gira nach New York um. Es ist die Zeit des San Francisco-Punk und der No-Wave-Bewegung, die Kunstszene brodelt - und der junge Musiker schöpft neuen Mut. Drei Jahre später formieren sich die Swans als düstere Post-Punk-Kombo und arbeiten sich an ihrem Genre ab - bis Gira auch hier die Grenzen zu spüren bekommt und er erneut die Flucht nach vorne antritt. Die Schwäne experimentieren zunächst mit Klassik-Elementen, durchlaufen scheppernd den Industrial-Sound und spielen sich dröhend an Noise-Rock heran. Dazu kommt ein extremes Live-Konzept: Swans lieben es laut und feucht; Lüftung und Klima-Anlage? Fehlanzeige. Statt braven Tönen aus der Konserve serviert Gira seinem Publikum höchsten Schalldruck-Genuss. Nicht ohne Folgen: Das intensive Ritual ist harter Tobak; reihenweise kippen die Fans aus den Latschen und müssen, alternativer Boygroup sei Dank, ohnmächtig aus den Hallen getragen werden. Nur der Chef-Schwan bleibt standhaft. Für Michael Gira sind die überhitzten Konzerte Therapie; das Rampenlicht dringt tief in die Wunden der Vergangenheit, zieht Frust, Wut und Verzweiflung aus seiner Seele. Ein mental-physischer Reinigungsprozess; Katharsis Deluxe. Am Ende springt der Funke über; Swans mausern sich zu erklärten Lieblingen der Musikpresse. Dennoch bleibt der ganz große Erfolg am Ende aus - und die Schwäne tauchen ab.
2010 das Comeback. In neuer Besetzung zwar, aber stets getragen von Giras juvenilem Geist, der mit 60 noch immer vom Leben gebeutelt ist. Fast manisch wirft sich der Sänger in sein "To Be Kind"-Epos, reizt die Spannung der oft größenwahnsinnig getakteten Songs (wie das 34-minütige "Bring The Sun") bis zur letzten Sekunde aus. Als Hohepriester des Rock entwirft der Dämonen-Flüsterer eine unheilvolle Musik-Kulisse; schreit, singt, wispert - und lockt die Götter aus der Unterwelt empor. Jammernde Streicher, grummelnde Klavierlinien und jaulende Gitarren füllen die Szenerie, stets angeführt von einem Schlagzeug, das wie ein grausamer Sklaventreiber seine Peitsche unerbittlich schwingt und die Instrumente mit letztem Atem voran treibt, selbst wenn diese unter der Noten-Last zusammenbrechen. Klar, dass klassische Strophe-Refrain-Strukturen hier nicht mehr greifen: Swans-Songs pierschen sich leise an die Gehörgänge heran - und zelebrieren dort, orgiastisch gärend, ihren Hexensabbat. Mutierte Blues-Elemente, dunkelschillernder Rock und nahezu undefinierbare Geräusche ergeben den tödlichen Mix, explodieren, tosen, verbrennen - und steigen, wie Phoenix aus der Asche, mit schrillem Pfeifen zu gigantischen Klangmauern empor. Radiotauglich ist dieser Schwanengesang nicht.
Dass die Songs auf “To Be Kind” mitunter als Schwarze Messe erscheinen, liegt neben dem Höllen-Sound auch am Gesungenen. Der Schwan als Seelen-Begleiter in die Anderswelt? Diese christliche Symbolik greift auch bei Giras Swans, deren Texte mit religiösen Sinnbildern durchzogen sind. Nur die Erlösung bleibt am Ende aus. Glaube als Betäubung? Bei den Düster-Schwänen die traurige Regel. Schließlich ist der Mensch am Ende immer auf sich selbst zurückgeworfen; Michael Gira kredenzt Opium fürs Volk. Wie bei “Some Things We Do”, einem krachfreien Quickie, auf dem die Musik überraschender Weise vom Swans-typischen Lärmfaktor befreit wurde. In geschmeidigen fünf Minuten bringt Gira die Irrungen und Wirrungen der menschlichen Existenz auf den Punkt: Wir lieben, denken, sehen, kopulieren - und suchen. Kontemplation und existenzialistischer Überdruss zugleich. Die monoton gehaltenen Aufzählungen lesen sich wie das fatalistische Credo der Schwanen-Kunst: Wir sind eben so, wir können es nicht anders - das ist unser Leben. Und wenn Michael Gira am Ende von “She Loves Us” zu einer “Fuck”-Tirade ansetzt, während ein Männerchor zu ächzendem Gitarrenspiel sein “Hallelujah”-Mantra ins Mikro brummt, ist das die ultimative Umkehrung aller positiven Eigenschaften, die im Allgemeinen mit der christlichen Heilsgeschichte verbunden werden.
Entfernt fühlt man sich bei solchen Klängen an die Zügellosigkeit von The Birthday Party erinnert. Allerdings reichten die früheren Bandkollegen von Nick Cave nicht ansatzweise an die Swans-Radikalität heran. “To Be Kind” schnellt wie eine Abrissbirne in die bröckelnden Mauern des Rock; trostlose Trümmer und verbrannte Erde sind alles, was am Ende übrig bleibt. Keine leichte Kost, aber wer gemeinsam mit den Swans das intensive Klang-Erlebnis sucht und gern mal furchtlos in die Abgründe der menschlichen Seele taucht, wird am Ende reich belohnt.
|| TEXT: BISSINGER/DRESSLER // DATUM: 09.05.2014||
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BILDQUELLE © MUTE/GOODTOGO // FOTOS © MATIAS CORRAL (SWANS); SIBASTIAN SIGHELL (M. GIRA)
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