12/25: DER PLAN, SCHORE, INCA BABIES, THE GHOST AND THE MACHINE, THE FAMILY GRAVE - VON SKURRIL BIS SUBTIL - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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12/25: DER PLAN, SCHORE, INCA BABIES, THE GHOST AND THE MACHINE, THE FAMILY GRAVE - VON SKURRIL BIS SUBTIL

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025
Als die Neue Deutsche Welle noch gar nicht so hieß und eine lokal florierende Jugendbewegung in Anlehnung an die britische Punk- und Wave-Szene mit avantgardistischen und expliziten Songs war, tat sich Der Plan schnell als treibende Kraft hervor. Moritz R., Der Pyrolator und Frank Fenstermacher bogen sich die deutsche Sprache zurecht und unterlegten sie mit zunächst naiv-kindlichen, später immer ausgefeilteren, aber nach wie vor avantgardistisch anmutenden Klängen. Mit "Da vorne steht 'ne Ampel" schafften sie als eine der ersten NDW-Bands überhaupt den Sprung in die Charts. Zusätzlich hat Moritz mit Ata Tak das vielleicht einflussreichste Label dieser Bewegung geschaffen und mit seinen expressionistischen Werken andere Kollegen beeinflusst (Sowohl Kulissen und Single-Artwork von Andreas Doraus Schlager "Fred vom Jupiter" stammen von ihm). Mit dem Ende der Neuen Deutschen Welle geriet auch der Plan mehr oder weniger aufs Abstellgleis, obgleich das Trio noch weiter Alben veröffentlichte. Aber die Explosionskraft ihrer ersten Werke "Geri Reig" und "Normalette Surprise" konnte nicht reproduziert werden. Außerdem widmeten sich die Mitglieder anderer Projekte, weswegen sich die Bande langsam aber stetig auflösten. Seit einiger Zeit hat die Formation wieder zusammengefunden und eine charmante Idee realisiert: "Take It Easy" ist die Neuvertonung alter Stücke, darunter "Gefährliche Clowns", "Alte Pizza" und "Die Peitsche des Lebens". Aus den elektronischen Nummern sind jazzige Cocktail-Party-Nummern entstanden. Doch Der Plan wäre nicht Der Plan, wenn sie in diese Stücke nicht auch ein paar kleine Fallstricke verbaut hätten. Die cheesy Sounds werden mit einigen elektronischen Effekten unterfüttert, sodass auch in den Easy-Listening-Stücken der Wahnsinn früherer Kompositionen durchschimmert. Wie bei Helge Schneider haben auch Der Plan es schon immer verstanden, musikalisches Wissen mit konsequent antikommerzieller Haltung zu vermengen. Deswegen ist "Take It Easy" ein altersgerechtes, aber nicht altersmildes Album geworden. Einmal Avantgardist, immer Avantgardist.

Ein Hauch von genialem Dilletantismus schwingt auch in den elektropunkigen Stücken von Schore alias Christopher Tworuschka und seinem ersten Album "Augen geradeaus" mit. Dabei steht der Mann in seinen Stücken stets auf der Schnittstelle zwischen Auf- und Zusammenbruch. Bereits beim Opener "Der Traum" vollführt der Musiker unter fiebrigen Trommeln einen nervlichen Breakdown ("ich lauf auf Restfunktion"), um auf dem darauf aufbauenden "Vom Leben" die unsägliche Oberflächlichkeit vieler Influencer, deren Unwichtigkeit zum medialen Happening aufgeblasen werden, unter brodelnder Elektronik offenzulegen. Schore setzt mit seinem Album zum verbalen und musikalischen Rundumschlag aus. Neben introspektive Betrachtungen (Schore nutzt dafür dasimmer noch hochmoderne Poem "Der Volkston" des zu Unrecht vergessenen expressionistischen Schrifftstellers Alfred Lichtenstein) und beängstigende Zukunftsvisionen einer Welt nach den Kipppunkten ("Der Sommer"),  finden sich mit "Spotify" und "Krabbeneimer" auch zwei Stücke, die Schores Leben als Musiker ein Stück weit beleuchtet. Wessen Geistes Kind Schore aber wirklich ist, wird in "Straßen" deutlich. Der rumpelige Elektrotrack ist gleichzeitig ein antifaschistischer Schlachtruf, ein Kampfansage gegen die rechtsextremen Kräfte, denen man nicht mehr nur mit guten Worten und Verständnis begegnen kann. Tworuschka vermeidet es, als geschliffener Sänger zu agieren. Seine Songs sind unmittelbare Gefühlsausbrüche, die er in dringlichem Duktus vorträgt. Nur vereinzelt, vor allem bei dem vielleicht schönsten Song "Die Anderen", wird das stimmliche Talent des Mannes deutlich. In der Regel gehen von Schore ungefilterte, wütende und kurz gehaltene Nummern aus - wie "Bewegung", einem EBM-Brocken, der kurz und heftig über einen hinwegfegt. Unter dem Strich ist "Augen geradeaus" ein vielschichtiges Werk, in das sich auch die Existenzängste der Gegenwart derart manifestieren wie bei kaum einer anderen Veröffentlichung in dieser Zeit.

Ähnlich wie die oben besprochenen Der Plan haben sich auch die Inca Babies auf ihrem neuesten Werk "Reincarnation" auf die Neuinterpretation ihrer Songs aus der Frühphase konzentriert. Denn die Band um Sänger Harry Stafford begann in den frühen 1980ern als renommierte Post-Punk-Band, die nach dem Split 1988 die kompletten 90er verpasst haben und Mitte der 00er Jahre - pünktlich zum Wiederaufleben des Post-Punk-Genres - ihren Betrieb wieder aufnahmen (trotz des plötzlichen Todes von Gründungsmitglied Bill Marten zu Beginn der Reunion). Seitdem haben sich die Inca Babies neue Fans erspielt und sich auch den Gegebenheiten eines veränderten Musimarktes angepasst. Da viele Songs auf "Reincarnation" nicht nur im Original nicht mehr erhältlich sind, sondern ohnehin eine Frischzellenkur verpasst bekommen sollten, haben sich die Bandmitglieder die Stücke so aufzunehmen, als wären sie Teil ihres neuen Outputs. Darunter finden sich funkelnde Juwelen wie den "Cowboy Song", der als B-Seite der Single "The Judge" von 1984 sicherlich schon der Vergessenheit anheim gefallen ist, ebenso wie "Jerico" das auf der "Big Jugular" EP, die bereits vor "The Judge" im selben Jahr erschien. Der juvenile Tenor der Stücke ist immer noch erkennbar, wird aber durch einen reiferen Sound abgelöst, bei dem die Musiker glänzen können. Teilweise bluesig, aber mit einer deutlichen Punk-Attitüde versehen, sind Inca Babies richtig gut gealtert - denn ein reiner, ungestümer Punk-Sound würde der Band ebenso wenig stehen wie ein gezwungen erwachsen klingender Rock. So wandeln Inca Babies weiterhin auf den Spuren eines Nick Cave, bleiben jedoch weiterhin immer noch sich selbst treu. "Reincarnation" indes wird nicht nur die langjährigen treuen Fans begeistern, sondern auch die neu dazugewonnenen, denen es nun möglich ist, den Back Katalog der Band zumindest ausschnittsweise und in moderner Form kennen zu lernen - um sich danach idealerweise auf die Suche im Netz nach den Originalen zu machen. Denn diese verdienen auch eine "Reinkarnation" durch Wiederentdeckung.

Und es mutet ebenfalls wie eine Wiedergeburt an, wenn man "Sorrows" von The Ghost And The Machine hört. Die wohlig düsteren Gitarren, mal rockig, mal ruhig, dazu ein paar rumpelige Synthesizer und der körnig-raue Gesang: Sofort ist die Assoziation zu Mark Lanegan da. Dieser ist jedoch 2022 viel zu früh verstorben. Doch scheint es so, als leben seine Ideen und seine tief emotionalen Songs in The Ghost And The Machine weiter. Das ist bemerkenswert, denn hinter diesem Namen verbirgt sich Andreas Lechner, ein virtuoser Musiker aus Wien mit steirischen Wurzeln. Seine alpine Herkunft versteckt er ziemlich gut, denn "Sorrows" klingt von Anfang bis Ende wie ein Werk aus den Staaten. Lediglich "Midnight Plains" mit seiner hektischen Elektronik lässt Lechners Herkunft aufblitzen (wobei auch Lanegan unter anderem auf seinem Meisterwerk "Bubblegum" das Experiment den Musikmaschinen deutlich forcierte). In der Regel dominieren jedoch tiefergehende Betrachtungen über das Leben, das ein stetiger Strang aus Liebe und Kummer sowie Scheitern und Neuanfang ist und letzten Endes uns als Menschen definiert. Zudem schafft es der Mann, der auch am Burgtheater bereits reüssierte und Stummfilme vertont, in den angenehm-schaurigen Gefühlstrips auch poppige Momente zu schaffen. "Iron Sun" zieht musikalisch gesehen alle Register, wenn es darum geht, sich in die Gehörgänge des Publikums festzubeißen. Ebenso besitzt "Sick Child" eine ätherische Gitarrenmelodie, in die man sich schwer nicht verlieben kann. Natürlich sind die stärksten Momente auf dem Album jene, in denen Andreas seinen gesamten Soundfuhrpark runterfährt und damit der ungefilterten Emotion freien Lauf lässt. Das ist bei "Blue & Grey" bereits vorsichtig angedacht, wird beim entrückten "Ghost Romance" weiter ausgearbeitet und findet im finalen "Light Of Love" die ultimative Niedergeschlagenheit - dem positiven Titel zum Trotz. Ein Tom Waits hätte es nicht besser komponieren können. Sehr überzeugend - bitte noch lange mehr davon.

Womit wir bei The Family Grave gelandet wären, der uns bereits vor einem Jahr mit "The Family Grave Play Songs About Love" verzauberte. Jon, der kreative Geist hinter diesem Projekt, vereint folkige Klänge mit seiner stets von leichter Melancholie durchzogenen Stimme. An dieser Grundkonzeption hat sich auch beim Nachfolger "Old Songs For Kids" nichts geändert. Und doch finden sich auf diesem Longplayer einige großartige Überraschungen. "AC DC" ist der eine - und nein: Es ist keine Hommage an die australische Metalband, aber der Sound atmet den Wüsten-Rock der Staaten, wird aber von feinen Synthielinien und einer knarzigen Basssequenz überraschend gekreuzt. Schließlich stellt sich heraus, dass dies der bislang beste Song der Band ist - dicht gefolgt von "Daylight", das mit unterschwelligen Cuba-Klängen und einem feinen Trompetenspiel von Matt Ellis Devitt aufwartet. Bereits diese zwei Songs deuten darauf hin, dass The Family Grave den Folk-Kontext zwar weiter bedient, aber es sich nehmen lässt, über den Tellerrand hinauszublicken. So profitiert "Valentine's Day" ebenfalls von Matts pointiertem Spiel, während die Ballade mit sinistren Klängen und einem fast schon rituell klingenden Schlagzeug die Szenerie vorbereitet für eine tiefgreifende Beobachtung über die Sterblichkeit. Bei aller Traurigkeit singt Jon - fast schon einem Mantra gleich - von einer geradezu hippieesken Glückseligkeit, die wir erreichen können. "There's room for a whole lot fo love in this world." Wie recht er hat - und wie passgenau er für diese Betrachtung seine Musik einsetzt. Am Ende bittet er schließlich um einen Neustart: "Start Again" besitzt dabei eine Mehrdeutigkeit. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Beziehung in einer Sackgasse, die nur dadurch gerettet werden kann, indem man wieder von vorne anfängt. Doch lässt sich der Text auch als Appell an die Welt verstehen, in vielen Bereichen die Reset-Taste zu drücken, um wieder zusammenzukommen. "Old Songs For Kids" ist das bislang stärkste Werk des Projekts aus Bristol.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 25.11.25 | KONTAKT | WEITER: ASSEMBLAGE 23 VS. DOMINIK EULBERG>

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