7/25: DRANGSAL, JULIAN KNOTH, PHILEAS FOGG, KONTRAST, FRONT - NEU- UND WIEDERENTDECKT
Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025
Es klingt dramatisch: "Im Zuge eines Zusammenbruchs hat Max Gruber den Soloartist Drangsal gekillt und die Band Drangsal gegründet", lautet der Pressetext. Zusammenbruch? Hat einer der klügste Köpfe deutscher Popmusik einen Burnout? Immerhin ist der Mann mit seinem Alias seit zehn Jahren ziemlich erfolgreich unterwegs. Doch nach dem 2021er Werk "Exit Strategy" wuchs in ihm die Frage, wie mit Drangsal weiter verfahren werden sollte. Seine anderen Projekte, darunter die Veröffentlichung seines ersten Buches "Doch", ließen erahnen, dass er Abstand von seinem alter ego benötigte. Schließlich folgte die Erkenntnis, dass das Soloprojekt nur noch im Plural existieren konnte. Lukas Korn und Marvin Holley waren in diesem Fall die Retter. Sie haben Grubers Blick geöffnet und vor allem geweitet. Das Ergebnis ist auf dem neuesten Werk mit dem kompakten Titel "Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen". Manchmal hört man noch den Solo-Artisten heraus - wie bei der Vorabauskopplung "Bergab", die aber gegen Ende die neu gewonnene kompositorische Freiheit andeutet: Verzerrte Streicher und ein postrockiges Ambiente ziehen das Stück weg vom sicheren Drangsal-Weg hin zu verschlungenen Pfaden. Was in diesem Vorboten anklang, wird nun auf "Aus keiner meiner Brücken..." genüsslich ausgekostet. Ein bisschen Synthie hier, etwas Pop da, auch mal in "Ich hab von der Musik geträumt" einfach nur den Klängen huldigen - mit eben huldigenden Klängen. Klingt so selbstverständlich und ist es doch nicht. Ebenso wie das ganz zauberhafte "Mein Mo(nu)ment", bei dem Gruber zusammen mit Sophia Blenda ein dynamisches Doppel geben (was auch an Grubers klassischer Gesangsausbildung liegen mag). Drangsal ist zu Grabe getragen und - entgegen des Albumtitels - schöner und strahlender zurückgekommen.
Von Drangsal zu Julian Knoth ist es nur eine kurze Verbindung. Denn jener hat zusammen mit Max Gruber nach der einstweiligen Stilllegung von Drangsal das Projekt Die Benjamins gegründet (mit der legendären Hans-A-Plast Frontfrau Annette Benjamin). Knoth, vor allem durch Die Nerven bekannt, bringt auf "Unsichtbares Meer" seine trübsten Gedanken zu Papier. Der Mann selbst erklärte, dass "Unsichtbares Meer" aus der größten Depression heraus entstand - zunächst. Startpunkt war während der Corona-Pandemie, die vor allem mental an Julian nagte. "Der Regen" und "Kein Lied", spärlich instrumentiert und mit seiner brüchigen Stimme im Vordergrund, lassen dieses Gefühl großer Hoffnungslosigkeit und bedrückender Isolation authentisch aufleben. Es bleibt aber nicht bei dieser fatalistischen Haltung. "Hinterhof der Welt" mit seinen schnalzenden Bässen, rumpelnden Drums und einem final eingespielten Saxophon deutet den inneren Furor an, der sich bei Julian Knoth breitmacht. Aufgeben ist eben keine Option, es geht immer weiter. So wie bei "Ohne Namen", bei dem der Protagonist ein Haus aus Treibholz an irgendeinem Fluss in irgendeinem Land am anderen Ende der Welt bauen möchte. Marimbas und stoische Mitternachtsriffs begleiten neutral die eskapistischen Gedanken des lyrischen Ichs. Schließlich kehrt auch der Humor beim Musiker zurück. "Morgen fängt der Ernst des Lebens an" klingt in seiner redundanten Wiederholung des Titels wie eine Verballhornung, die der Musiker mit Selbstironie paart ("In meinem Herzen brennt immer Licht, nur sehen kann ich's nicht"). Schließlich kehrt die Hoffnung in "Nie wieder allein" zurück. Auch wenn der Song und Julians zweifelnder Gesang klarmachen, dass diese Hoffnung ein Verfallsdatum besitzt, scheint für den Moment alles gut.
Schon im April haben Phileas Fogg "ALLESMUSSSEINENDEFINDEN" veröffentlicht. Dass diese Platte erst jetzt besprochen wird, ist nur dem Umstand geschuldet, dass der Autor dieser Zeilen bis über beide Ohren in Arbeit steckte. Das schmälert aber nicht die Bedeutung dieses Werkes, das mit Sicherheit zu den schönsten dieses Jahres gezählt werden kann. Benannt nach dem gleichnamigen Protagonisten aus Jules Vernes "Reise um die Erde in 80 Tagen", haben die Baden-Württemberger ihr zweites Album gleich final anmutend betitelt. Auch dass die Gruppe als Albumcover eine geschwärzte Abbildung ihres Debütalbums "Kopf, unten" nutzen, lässt schlimmeres vermuten. Doch verfrachten wir diese Gedanken erst einmal in die zerebrale Rumpelkammer und widmen uns einfach dem Album, das zehn konzise angefertigte (Post-)Punk-Songs bereithält, die vor allem eines nicht sein wollen: melodramatisch. Eher propagiert "ALLESMUSSSEINENDEFINDEN" eine neue Sachlichkeit. In "Vorbei" wird ein vordergründig emotionsloser Blick zurück riskiert (Oasis' "Champagne Supernova" spielt dabei auch eine Rolle), während "Kometengift" unter Vocoder-Gesang und minimalelektronischer Müdigkeit die "German Angst" zu dechiffrieren versucht - und damit ein ziemlich detailliertes Bild der bundesdeutschen Befindlichkeit malt ("Deutschland stinkt nach altem Männerschweiß"). Die Intensität der Songs wird durch Andreas' enigmatischen Gesang noch verstärkt. Denn der Mann singt nicht: Er deklamiert, alarmiert, schreit und flüstert in einem. Wenn er seine von Vanitas-Motiven durchzogenen Texte vorträgt, legt er in seine mahnende Stimme all seine Trauer und Wut hinein. Gepaart mit einer grundehrlichen musikalischen Begleitung machen Phileas Fogg schnell deutlich, dass es nur die Idee und eine klare Haltung dahinter braucht, um Platten groß werden zu lassen.
Der "Einheitsschritt" machte sie groß. Vor rund 30 Jahren gelang Kontrast (damals hießen sie noch ISECS) ein schelmischer Blick auf die ach so authentische schwarze Szene. "Drei Schritte vor und drei zurück" war der humorvolle Abgesang auf die vordergründig trübseligen Vogelnestträger, die letzen Endes auch nicht mehr sind als modebewusste Nihilisten. Weil sie also oft nur mit diesem einen Hit in Verbindung gebracht werden, geht ihr gesamtes Oeuvre dabei ein bisschen unter. "Industrie-Romantik" (2004) beispielsweise oder auch das zuletzt erschienene "Unaufhaltsam" von 2019 sind zwei bockstarke Werke, in denen Roberto, Falko, Dirk und Sängerin Nebelgeist ihre Liebe für elektronische Klangerzeugung mit unkonventionellen Texten paaren. Was die Formation jedoch mit "Imperium Tyrannis" kreiert haben, stellt alles bisher geleistete in den Schatten. Dass das strenge Cover an jene von VNV Nation erinnern, ist sicherlich kein Zufall: Kontrast haben ihren Elektro-Pop angedunkelt und extrem clubtauglich gemacht. "Maschinenstadt" und "Die Zukunft" liefern den überzeugendsten Beweis für eine neuorientierte Klangästhetik: Vierviertelbeats und kaskadenartige Psy-Trance-Melodien wischen den latenten 80er-Touch früher Kompositionen locker weg und geben dem Future-Pop mächtig viel Platz. Mehr aber noch haben Roberto und Co. einen neuen künstlerischen Ansatz gewählt und ein Konzeptalbum geschaffen, eingebunden in ein Diptychon (der zweite Teil "Proteus" erscheint 2026). Beide Alben erzählen eine dystopische Story, in der ein Diktator seine Untertanen zu willfährigen Tanzmaschinen macht. Klingt abstrus? Nun ja, nicht umsonst hatten Kontrast den Beinamen "Scharfrichter des schwarzen Humors" inne. Dass es aber nicht mehr um das Ausweiden von Gruftie-Manierismen gehen kann, versteht sich von selbst. Kontrast gehen neue Wege, die nolens volens auch politisch gefärbt sind (der Text zu "D3r Diktator" trifft ziemlich genau den Nerv der Zeit). Vielleicht das beste, weil schlüssigste und eingängigste Album ihrer so langen Karriere.
Vielleicht sogar ein inkommensurables Meisterwerk hätte das Debüt von Front werden können. Ist es aber nicht geworden, weil damals nicht veröffentlicht. Damals bedeutet: um 1981 rum. Denn da begannen die vier Männer, klar vom englischen New Wave und der sich daraus auswachsenden germanischen Variation in Form der Neuen Deutschen Welle inspiriert, mit ihrer Idee von Musik zu hausieren. Nach einigen Kleinveröffentlichungen und Samplerbeiträgen zerfiel Front in ihre Einzelteile. Die meisten Mitglieder kamen unter anderem bei den NDW-Heroen Palais Schaumburg und Andreas Dorau unter. Nach dem Tod eines ihres Mitglieder anno 2022 war es übrigens Dorau himself, der die übrigen Frontler dazu animierte, das damals bereits aufgenommene Album nun endlich zu veröffentlichen. Mittels KI konnte ein wieder aufgetauchtes, altes Tonband restauriert werden, sodass das nüchtern betitelte "Album + EP/Singles Collection" alle Stücke ihrer kurzen gemeinsamen Zeit nun doch noch an den Mann und die Frau gebracht werden kann. Wie vorhin geschrieben: Es hätte ein Meisterwerk sein können. Doch jetzt ist es noch viel mehr als das. Durch die Veröffentlichung 45 Jahre später, erhalten wir einen sehr authentischen Einblick in eine großartige, von inspirierten und ideenreichen Künstlern bevölkerte Szene. "Hoch tief Hoch", "Mutant", "Polaroid" oder "Alles kommt wieder" sind wie Brenngläser des damaligen Stilpluralismus. Wave, Punk, Funk, Dub und elektronische Spielereien wurden so freimütig und ohne Rücksicht auf eventuelle "corporate identity" genutzt. Ein Stück wie "Wahn" hat den gleichen experimentellen und freigeistigen Charakter wie die Songs der Deutsch Amerikanischen Freundschaft, als sie "Die Kleinen und die Bösen" herausbrachten. Fronts Album repräsentiert den explosiven Charakter der Prä-Hitparaden-NDW, in der Bandkonstellationen flüchtig waren, und selbst in diesen kurzen Momenten Alben für die Ewigkeit geschaffen worden sind.||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 10.07.25 | KONTAKT | WEITER: AMANDA DEBOER BARTLETT VS. KATHRYN JOSEPH>
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© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014