HOLLI "DER ERSTE GUTE TAG" VS. EFEU "ALLE": HUNDSTAGEBLUES - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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HOLLI "DER ERSTE GUTE TAG" VS. EFEU "ALLE": HUNDSTAGEBLUES

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Das, was uns Tobias Paal alias Holli (einen Spitznamen, den er wegen seines vermeintlich holländischen Aussehens erhalten hat) mit "Der erste gute Tag" näherbringt, ist nichts weniger als sein Seelenleben. Das macht er aber ohne falschen Pathos oder mit übertriebener Larmoyanz. Fast schon liebevoll und auf die Schönheit des Songs bedacht, erklärt er uns die Welt aus Sicht eines Millennials. Das Ganze wirkt federleicht, aber bereits das Intro mit seinen milchigen Gitarren, die am Ende wegbröseln und Tobias monoton "Heute ist der erste gute Tag" sagen lassen, legt den purpurnen Schleier der Melancholie auf das Album.

Einen solchen Satz auszusprechen, bedeutet, dass diese Person zuvor und über einen längeren Zeitraum mit sich und seinem Leben zu kämpfen hatte. Hört man sich beispielsweise "Beifahrersitz" an, welches bereits vorab veröffentlicht wurde, merkt man die Schwere, die hinter den fluffigen Folk-Pop-Sounds lauern. Holli verarbeitet hier den frühen Tod seines Vaters. Die Trauerarbeit verrichtet er, indem Tobias sich an die schönen Zeiten zurückerinnert, auch wenn am Ende aus dem Singer-Songwriter-Kleinod eine Shoegaze-Nummer wird, in der sich die Fassungslosigkeit ein weiteres Mal Bahn bricht.

In den klassischen (Pop)Stücken wie "Ein bisschen Zeit", "Gelb" und "Hannah" evozieren sanft angeschlagene Saiteninstrumente und nachvollziehbare Rhythmen etwas, was man als Hundstageblues bezeichnen möchte. In den heißesten Sommerwochen ist "Der erste gute Tag" die perfekte Untermalung, um in der drückenden Hitze sein Bewegungspensum auf ein Minimum herunterzufahren und einfach nur die flirrend heiße Luft zu überstehen.

Besonders "Hannah" mag da noch mal gesondert betrachtet werden, da Holli sich zwei geografische Eckpunkte Österreichs ausgesucht hat, um die sich viele ganzen Stücke drehen: Linz und Wien. Sie wirken wie zwei Wallfahrtsorte, bei denen Holli sein Seelenheil zu finden glaubt, die aber, schenkt man dem Albumcloser "Strategien" Glauben, nur Ernüchterung bereithalten: "Egal ob in Linz oder in Wien. Es gibt Zeiten, in denen ich mich überall unwohl fühle", spricht Tobias den an ein Tagebucheintrag erinnernden Text über eine kleine Pianomelodie. Heimat ist ständig präsent, jedoch als flüchtiges Konstrukt, das alles ist, nur nicht sinnstiftend. Überspitzt und hochexperimentell wird dies im einmütigen Intermezzo "Regen Linz Regen Wien" umgesetzt, das tatsächlich nur zwei aufgenommene Regengeräusche nebeneinanderstellt.

Holli ist ein intimes Werk gelungen, das den Musiker als Blaupause für eine neue Empfindsamkeit, bei der gesellschaftliche Prozesse sowie private Ereignisse die Gedanken eines Individuums, das gerade im Begriff ist, einen Platz im Leben zu finden, formen. Nur selten gelingt es aber, diesen Gedanken keiner Moral folgen zu lassen, sondern sie einfach nur zu betrachten und wertfrei zu beschreiben. Genau das hat Holli auf "Der erste gute Tag" geschafft.

Linz oder Wien? Diese Frage stellt sich bei Efeu gar nicht. "Wo willst Du hin? Komm, bleib bei mir in Wien" singen Efeu in "In Wien". Klingt nach ganz viel Heimatliebe, hat aber ein paar Widerhaken. Denn die Zeile wird noch um zwei Wörter erweitert: "im Exil". Die Stadt wird als vorübergehender Wohnort degradiert. Denn "Alle", wie die EP heißt, "Schwimmen am Meer", so der erste Song auf der EP, der indirekt den Titel für die erste Veröffentlichung von Efeu liefert.

Das lyrische Ich verbrüdert sich mit all jenen, die sich in den Sommertagen nicht ins Auto setzen und sich auf den Weg gen Küste machen können. Er feiert die malochenden Bauarbeiter mit sinnlicher Lust: "Schweiß perlt auf Beton" heißt es da, während ein knackiges Schlagzeug, breite Riffs und verspielte Synthesizer wie eine trotziges "Jetzt erst recht" die Hiergebliebenen zelebriert. Aber nur vordergründig.

Denn ein möglicher Subtext von "Schwimmen am Meer" könnte auch der Klimawandel sein und die Frage, wie man damit umzugehen hat. Immerhin arbeiten die Bauarbeiter in diesem Song bei 39 Grad (bei 2raumwohnung waren es noch "36 Grad"). In dieser Schwüle lässt sich aber auch ein bisschen "amore" machen, wie es "In Wien" andeutet. Dazwischen darf unter substantiellem Inide-Rock die Gesetzeshüter penetriert werden ("Feuerwehr > Polizei"). Insgesamt bleibt "Alle" aber ein extrem eskapistisches Werk. Denn auch das abschließende "Botanik" schenkt dem Fernweh noch einmal Gehör. "Sizilien zu weit weg", sagt das lyrische Ich. Was eben bleibt, ist die heimische Fauna und Flora, in der man aber auch ganz gut Momente für die Ewigkeit schaffen kann.

"Alle" ist ein starkes Statement einer Band, die bereits ihren Stil gefunden haben. Die EP klingt so, als haben sich Wanda und Bryan Ferry an der Adria bei wohlschmeckendem Aperol Spritz getroffen und danach, leicht angeheitert, die Studioräumlichkeiten aufgesucht. Bitte mehr davon, der Sommer ist noch lang (und leider sicher auch wieder sehr heiß).

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 06.06.23 | KONTAKT | WEITER: ANTIAGE "APHRODISIAC ODYSSEY">

Webseite:
www.holli-musik.com

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COVER © Problembär Records (Holli), Assim Records (Efeu)

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