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KLEZ.E "ERREGUNG": VON VÖLKERBALLFAUSTSCHLÄGEN UND MIT STEINEN GEFÜLLTEN BLASEN

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Wenn wir in einigen Jahren auf dieses äußerst komplizierte Jahrzehnt zurückblicken werden, wird "Erregung" von Klez.e sicherlich zu den herausragenden Alben zählen. Schließlich ist das fünfte Werk der deutschen Düster-Rocker eine konzise Beschreibung bundesdeutscher Befindlichkeit. Zwischen Deportationsfantasien rechter Gruppierungen, Existenzängsten junger Generationen und einer immer instabileren Weltlage, wirkt "Erregung" wie eine Schulter, an die man sich anlehnen kann. Das Album nimmt all jene in den Arm, die sich in der heutigen Welt nicht mehr zurechtfinden und den Weltschmerz zum Leitmotiv ihres Eskapismus auserkoren haben.

Für all die hat Klez.e eine tönerne Medizin erschaffen - in Form anheimelnder, leicht nostalgischer Post-Punk-Sounds, die nicht von ungefähr an The Cure gemahnen. Nicht nur Sieberts Faible für Vogelnestfrisuren, sondern auch sein fatalistischer Gesang besitzt verblüffende Ähnlichkeiten mit Robert Smith. Und nicht von Ungefähr verwies Klez.es Vorgängerwerk "Desintegration" (auch schon wieder sieben Jahre her) nicht nur im Albumtitel auf das 1989er Prachtwerk "Desintegration" der britischen Schwermutsrocker, sondern auch in ihrer musikalischen Ausarbeitung, die sich an die Melancho-Mucke der Spätachtziger orientiert.

Sieberts Idee ist aber keine reine Retrospektive und das sich Suhlen in der eigenen, romantisierten Historie. Der Sound verortet nur die Gedanken des Sängers, die sich meistens um seine frühen Jahre drehen, aber gleichzeitig ein Fingerzeig auf unsere Gegenwart ist. Siebert singt von seiner Jugend, aber wir hören daraus das Jetzt und die Auswirkungen von dem, was vor mehr als 30 Jahren angelegt wurde - im Guten wie im Schlechten.

Doch so radikal und manifest wie in "Erregung" waren seine Beobachtungen und auch seine Wortwahl noch nie. Der Titelsong, ein siebenminütiges Opus magnum, scheppert sich durch die Landschaft, während die Gitarren fast schon Fanfaren gleich Sieberts Gedanken ankündigen. Diese beginnen mit einem großen "Vielleicht": "Vielleicht weiß ich jetzt, wo das hier hinführt." Es ist die große Unsicherheit, die sich durch Sieberts Lyrik zieht und dem Hörer die Hoffnungslosigkeit der Welt vor Augen führt.

Dabei bedient sich der Sänger verschiedener Reizworte, ohne aber konkret zu werden. Der Frontmann singt von Faustschlägen beim Völkerball, berichtet von sich verzweigenden Krisen und der "Blase gefüllt mit Steinen". Am Ende ist das hier jedoch nur "wieder ein Kommentar unter einem Bild". Seine Zeilen wirken wie aus einem Affekt geschrieben, ohne kausale Zusammenhänge, sondern einfach nur einem diffusen Gefühl folgend. Das ist es, was dieses Lied, aber auch "Erregung" als Album ausmacht.

Die Begrifflichkeit des Titels wird dabei einer Generaluntersuchung unterzogen und in seine semantische Einzelteile zerlegt. Denn Erregung kann sinnlich, liebevoll, vielleicht auch sexuell konnotiert sein. Aber es könnte auch Wut, Aggression und Angst enthalten. So schwankt das Album zwischen persönlichen Beobachtungen unserer Gesellschaft und latent amurösen Momenten seiner vermeintlich eigenen Vita. Doch selbst die sind wie in "Herbstherz" nicht von Dauer und wirken seltsam unterkühlt.

Doch bleiben Klez.e, genauer gesagt: bleibt Siebert am Ende ein kleiner Romantiker, der seine Gefühle und Betrachtungen in einen zentral-bombastischen Satz kulminieren lässt. "Wir sind wie die Welt nicht mehr zu retten, meine Lippen auf Deinen." In einer ästhetisch ansprechenden Endzeitstimmung, welche die Band auf "Erregung" erzeugt, thront die Liebe als Humanistin und Erlöserin. Denn das ist es, woran es diesem Jahrzehnt momentan am meisten mangelt.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 23.02.24 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 3/24>

Webseite:
www.klez-e.de

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