"COME TOGETHER - ADVENTURES ON THE INDIE DANCEFLOOR 1989-1992": MOVE ANY MOUNTAIN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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"COME TOGETHER - ADVENTURES ON THE INDIE DANCEFLOOR 1989-1992": MOVE ANY MOUNTAIN

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Auf den ersten Blick wird man Stereo MCs "Connected", dem vielleicht erfolgreichsten aller Stücke auf der vier CD schweren Box "Come Together - Andventures On The Indie Dance Floor 1989-1992" nicht mit Joy Division in Verbindung bringen. Und doch stehen dieser Song in direkter Beziehung zu den Post-Punkern. Wie kann das?

Vielmehr ist nicht die Existenz von Joy Division, sondern ihr Ende die maßgebliche Initialzündung. Denn der Tod des Sängers Ian Curtis am 18. Mai 1980 zwang die üblichen Bandmitglieder, sich komplett neu zu orientieren. Aus Joy Division wurde bekanntlich New Order, die 1983 mit "Blue Monday" die amtliche Blaupause für den Manchester-Rave der späten 80er und frühen 90er einreichte. Ihre Verquickung aus elektronischen Beats und Indie-Songwriting war derart revolutionär, dass der Ansturm auf die Scheibe in hochwertigem Floppy-Disk-Outfit dazu führte, dass New Order immer noch den Rekord für die meistverkaufte Maxi-Single aller Zeiten hält (was auch daran lag, dass es eben nur diese Version gab).

Später haben die Bandmitglieder zusammen mit ihrem Label Factory mit der Nachwuchsförderung auf besondere Weise begonnen - in Form finanzieller Unterstützung der Manchester Diskothek Haçienda, die der aufkommenden Rave-Szene eine international anerkannte Begegnungsstätte werden sollte. Hier wurde Madchester geschaffen, eine Musikrichtung, in der der aufkommende Techno in Berührung gebracht wird mit anderen Musikrichtungen, vornehmlich eben aus dem Indie-Bereich.

"Come Together" spart dabei nicht mit den großen Namen, die damals den Sound einer neuen Ära maßgeblich mitgestalteten. Happy Mondays, Saint Etienne, The Stone Roses, The Charlatans, 808 State, The Shamen und The Inspiral Carpets sind die Zugpferde dieser Bewegung gewesen, deren Songs auch heute noch eine gewisse Zeitlosigkeit in sich tragen, was vielleicht auch an der Collagenhaftigkeit der Stücke liegt.

Die Gewichtung der einzelnen musikalischen Elemente variierte dabei. Während The Shamen ("Pro-Gen"), 808 State ("Pacific State") und The Future Sound Of London ("Papua New Guinea") Einflüsse aus der amerikanischen House-Szene in ihre Songs verwoben, entdeckten A Certain Ratio (schon früher) den Funk, den sie mit elektronischen Einsprengseln und einer Prise Melancholie würzten. Der ausgewählte Song "27 Forever" vereinigt all diese Elemente. Dagegen suchten die Inspiral Carpets die Verbindung mit den psychedelischen Rockklängen aus den späten 60ern. Dank ihrer Farfisa-Orgel, die das Gespann stets im Gepäck hatte, erhielten die Stücke etwas kaleidoskopartiges. Das rustikalere "Joe" und die glattgebügelte Nummer "Commercial Reign", die hier zu hören sind, repräsentieren eine weitere Facette des Madchester-Sound. Schlussendlich wurde auch HipHop zum Teil deser bunten Musikbewegung, wie man an den Ruthless Rap Assassins erkennen kann.

Zentrale Rolle - und danach vielleicht nie wieder so wichtig wie in dieser Zeit - nahm der Remix als Kunstform ein. Denn viele Bands, die aus der Stromgitarrenecke gekommen sind, vetrauten beispielsweise DJs und Musikproduzenten wie Paul Oakenfold, Terry Farley oder Andy Weatherall ihr Material an. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass viele Bands in der neuen Rave-Society gehört und verehrt wurden. Happy Mondays "W.F.L." im Oakenfold-Remix eröffnet "Come Together" demnach standesgemäß, weil in diesem Song sich alle Ingedenzien befinden, die diese Szene so groß werden hat lassen.

Madchester war Zeitgeist und Ausdruck eines großen Freiheitsgefühls, das sich durch den Niedergang der Sowjetunion und damit dem Ende des Kommunismus als Weltanschauung entwickelte. Der Beginn der Spaßgesellschaft, die im Laufe der 90er Jahre zu Hunderttausenden die "Love Parade" bevölkern und von einer gemeinsamen, grenzenlosen Welt träumten, nahm auch in der Haçienda ihren Anfang. Die Diskothek musste allerdings 1997 schließen, da sich der Ort zu einem prosperierenden Drogenumschlagsplatz entwickelte (ob Songs wie "Shall We Take A Trip?" von Northside und Candy Flips Cover des LSD geschwängerten Beatles-Meilensteins "Strawberry Fields Forever" diese Entwicklung kommentierten?).

Doch bereits zuvor blutete die Szene aus zwei Gründen aus. Erstens kam mit Brit-Pop eine neue, landesweite Trendwende in der populären Musik von der Insel, und zweitens steckte Madchester in einem kreativen Vakuum, aus dem es sich nicht mehr lösen konnte. Mit der Verwässerung des Begriffs Rave, der schlussendlich alles umfasste, was im Technobereich an Feierlichkeiten, vom großen Event bis zur kleinen Dorfdisco, angeboten wurde, waren die letzten Tage des Madchester in seiner ursprünglichen Form gezählt. Doch in den pasticheartigen Songs ist die große Aufbruchsstimmung immer noch wahrnehmbar. "I can move any mountain", wie es in "Pro-Gen" von The Shamen heißt, ist nicht nur auf den Genuss halluzinogener Substanzen zurückzuführen, sondern auch Sinnbild einer gesamtgesellschaftlichen Euphorie, die sich im Indie-Dance dieser Zeit widerspiegelte, und auf "Come Together" (auch dank des wieder einmal reichhaltigen Booklets mit kurzen Erklärungen zu den Stücken) noch einmal lebendig nachempfunden werden kann.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 01.08.2023 | KONTAKT | WEITER: PHILIPP HOCHMAIR VS. MIRA MANN>

Webseite:
www.cherryred.co.uk

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