ASP "ZAUBERERBRUDER - DER KRABAT-LIEDERZYKLUS LIVE & EXTENDED" VS. SOPOR AETERNUS & THE ENSEMBLE OF SHADOWS "DEATH AND FLAMINGOS": VEREHRT UND ANGESPIEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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ASP "ZAUBERERBRUDER - DER KRABAT-LIEDERZYKLUS LIVE & EXTENDED" VS. SOPOR AETERNUS & THE ENSEMBLE OF SHADOWS "DEATH AND FLAMINGOS": VEREHRT UND ANGESPIEN

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Wiederkehrend verbindet die Gothic-Gemeinde der verächtliche Blick auf einen "Emporkömmling", der den Weg aus der Gothic-Gemeinde hinaus in den Mainstream wagt. Lästereien und ein allgemeiner Vorwurf vom Verrat der Szene lassen da nie lange auf sich warten. Deine Lakaien waren diesem Spott schon ausgesetzt, Wolfsheim und nicht zuletzt Unheilig. Was aber gerne vergessen wird: Der Erfolg dieser genannten Gruppen rührt nicht unbedingt von einem Verkauf der Seele an den Kommerzteufel, sondern von einer konsequenten Entwicklung einer musikalischen Vision, die durch viel Glück (und ja: auch etwas unternehmerisches Wissen) nicht auf der Stelle tritt.

So erregt es immer noch das Interesse des Autors, in die ersten zwei Alben von ASP reinzuhören, als noch keiner so richtig wusste, in welche Richtung es überhaupt mit diesem Projekt gehen sollte, um sie mit späteren Veröffentlichungen zu vergleichen. Auch wenn der Electro-Rock dieser Tage noch etwas klobig daherkam, konnte bereits "Und wir tanzten" eine Ahnung davon vermitteln, was in den krativen Köpfen von Sänger Asp und seinen Mitstreitern umherschwirrt. Die Idee eines übergeordneten Konzeptes, eines größeren "Zyklus", dem ASP musikalisch wie textlich zu folgen hatte, stand bereits mit dem Debüt fest.

Erst mit "Weltunter", dem dritten Teil der "Schwarzen Schmetterling"-Pentalogie fanden Musik und Plattenhüllengestaltung zusammen. Der als "Gothic Novel Rock" titulierte Sound von ASP vereinigt verschiedene Stile aus dem Schwermetall-Sektor, der um eine cineastisch-epische Dimension vergrößert wird. Parallel dazu hat sich das Artwork immer mehr verfeinert; den Alben wird stets ein üppig-überbordendes Gesamtprogramm beigelegt, das die fantastischen Geschichten aus dem ASP-Kosmos auch grafisch effektvoll in Szene setzt.

2008, nachdem der Schmetterlings-Zyklus zu Ende erzählt und die folgende "Fremder"-Reihe noch gedanklich auszureifen begann, hat sich Asp "Krabat" zugewandt, einer sorbischen Sage, die in der Fassung von Ottfried Preußler große Bekanntheit erlangt hat. ASPs Doppel-CD "Zaubererbruder - Der Krabat-Liederzyklus" basiert in loser Form auf die Preußler-Fassung, mischt aber auch andere Lesarten darunter und weicht vor allem am Ende von der Erzählung ab.

Mit diesem Album gelang ASP ein kommerzieller Erfolg, der Platz 13 in den Albumcharts zur Folge hatte - vielleicht auch begünstigt durch die Tatsache, dass ziemlich zeitgleich "Krabat" als düsterer Fantasy-Streifen mit Daniel Brühl und David Kross in die Kinos kam.

Zu dieser Studioaufnahme gab es eine beachtliche Akustik-Tour, die auf CD und DVD gebannt worden ist. Zehn Jahre danach ist die Wirkung von "Krabat" immer noch so immens, dass ASP sich ein weiteres Mal dazu veranlasst sah, diesen Liederzyklus auf die Bühne zu bringen. Der Zusatz "Extended" zeigt jedoch, dass Frontmann Asp sich noch nicht von der Geschichte gelöst und einige Aspekte der Geschichte in drei neuen Liedern weiter auserzählt hat.

Mehr noch als ein "Jubiläumsalbum" ist der erweiterte "Zaubererbruder"-Live-Mitschnitt eine Präsentation der kreativen Kraft dieser verschworenen ASP-Künstlergemeinschaft, die sich nie mit einer mediokren Wiedergabe glanzvoller Studioarbeiten zufrieden geben wollen. So kommt dieser Live-Darbietung so satt und klar aus den Boxen, wie man es selten in dieser Qualität zu hören kriegt. Keine Höhen klingen zu schrill, keine Tiefen zu suppig. Alles wirkt wohl austariert und erfüllt selbst mit der kleinsten Musikanlage den Raum mit vollen Klängen.

Dazwischen versteht sich Asp mit seinen launigen Darbietungen zwischen den Nummern sehr gut auf die Kunst des Conferenciers. Er erzählt dem konzentrierten Publikum vom Erstehen dieses Albums, den Gründen für die neuen Songs und auch die Hürden und Kraftakte, die viele ASP-Songs ob ihrer Komplexität beherbergen. Und er findet auch gegen Ende des Konzertes ein paar klare Worte zum Thema "Grufties" und "Szene". Der Sänger hat nie einen Hehl daraus gemacht, sich als genreunabhängigen Künstler zu sehen. Dementsprechend gelassen nimmt er auch die Anfeindungen szeneinterner Gralshüter entgegen, die ASP bisweilen mit rockigen Themen-Schlagergruppen wie Santiano (und bisweilen auch Faun) vergleichen.

Zugegeben rechtfertigen manche Songs wie "Denn ich bin dein Meister" oder auch "Abschied" mit ihrer extremen Eingängigkeit diese Kritik, andererseits ist solch eine Mißbilligung nicht selten auch ein Zeichen von Neid auf eine Gruppe, die sich seit nunmehr 20 Jahren eine treue Fangemeinde und ein stimmiges Gesamtkonzept, das auf "Zauberbrüder - Der Krabat-Liederzyklus Live & Extended" in voller Pracht dargeboten wird, erspielt hat. Wären ASP ein Film, dann wären sie wie "Herr der Ringe" oder "Der Hobbit": effektvoll, mystisch, aber auch ein bisschen klischeebeladen und kitschig. Einfach über die Maßen gut ausgearbeitetes Popcorn-Kino, das für beste Unterhaltung sorgt und sein Publikum überwältigt.

Diesen Titel kann man Sopor Aeternus & The Ensemble Of Shadows sicherlich nicht verleihen. Eher müsste man die verschroben-surrealistischen bis drastischen Bilderwelten eines Lars von Trier als optischen Vergleich heranziehen, um ansatzweise zu skizzieren, was dieses Ausnahmeprojekt umtreibt. Jedes Album taucht klaftertief und schonungslos in die Gedankenwelt von Anna-Varney Cantodea ein, einem äußerst melancholischen Wesen, das die Geschlechterdefinition aufhebt und - ähnlich wie der beispielsweise weitaus gemäßigtere Antony Hegarty - nicht mehr eindeutig als männlich oder weiblich in Erscheinung tritt.

Viele mögen an so einem inneren Kampf zu Grunde gehen, Anna jedoch braucht ihn, bildet er doch das Fundament für ihr künstlerisches Schaffen. Wo sich andere Musiker in pseudotristes Mollgebaren wälzen, ist bei Sopor Aeternus alles immanent. Das hat sie in ihrer Herangehensweise auch radikaler als alle andere werden lassen. Wenn Anna ein Album veröffentlicht, wird der wagnerianische Ansatz des Gesamtkunstwerkes bemüht und auch immer eingehalten, um Leiden und Schmerz in gestalterischer Entität zu erfahren.

So singt die "Frontfigur" nicht nur einfach ihre Lieder. Sie ringt sie sich förmlich ab, trägt ihre Leiden und Wunden offen zur Schau und verwandelt sich dabei jeden Mal aufs Neue in einen schmerzvollen Geist, der auch auf optischer Ebene als schmerzerfüllte Kreatur aus der Anderswelt über uns hereinbricht.

Fans und treue Anhänger lieben sie dafür seit Jahrzehnten abgöttisch. In der jüngeren Vergangenheit mehren sich allerdings kritische Stimmen, die wohl nicht mehr konform mit den neuen Vertriebswegen der Band gehen. Die Zusammenarbeit mit den kommerziellen Merchandise-Riesen Fantotal, der verantwortlich für die Verbreitung vieler Special Editions unterschiedlichster Gruppen zeichnet, mag zudem einigen sauer aufstoßen, da sie in dieser Kooperation eine Verwässerung der Hüllengestaltung befürchten, zumal die Anpreisungen des neuesten Werkes "Death And Flamingos" in der Tat wie von einer Werbeagentur klingen, die sich gar nicht oder nur wenig mit Sopors Werdegang beschäftigt haben und eine an sich schlicht gehaltenen CD-Version des Albums als künstlerisches Highlight anpreisen.

Denn das Artwork kommt in der Tat vergleichsweise unspektakulär daher. Anna-Varney ist in ein Zwielicht getaucht und schaut in die Leere; ihr mit Sternen überhäufter Körper greift noch einmal die Covergestaltung des mit viel Kritik behäuften Vorgänger "The Spiral Sacrifice" auf, das Booklet gibt sich klassisch schwarz und beinhaltet nur die Songtexte. Dafür kann man sich bei der Wahl im Vinyl-Sektor gleich zwischen zwei Editionen entscheiden. Kritiker dürften sich durchaus in ihrer Sorge bestätigt fühlen.

Sicherlich wirkt diese Veröffentlichung weniger "handegemacht"; die stetig wachsende Fangemeinde lässt aber fast auch nichts mehr anderes zu, als die Veröffentlichung der Alben ein Stück weit zu "industrialisieren", um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Es ist ein diplomatischer Entschluss, ein Kompromiss, der Anna vielleicht auch selbst ein bisschen weh tut.

Ihre musikalische Neuausrichtung hingegen sollte nie Gegenstand der Kritik sein. Schließlich macht sie diese nur für sich selbst und sucht sich entsprechende Klänge für ihre Themen aus. Auch da hat man seitens Fantotal übers Ziel hinausgeschossen, indem sie von einem Deathrock-Album schreiben, auf dass die Fans förmlich gewartet haben sollen. Das ist aber nicht der Punkt. Sopor Aeternus würde nie Musik machen, um den Fans zu gefallen. Und im  Umkehrschluss sollten die Anhänger des "Schattenensembles" diese nie in eine stlistische Schublade stecken.

Belässt man es also einfach dabei und hört "Death And Flamingos" unvoreingenommen zu, entfaltet sich einmal mehr auf dem aktuellen Longplayer eine trostlose Kulisse, die von düstersten Gedanken besetzt ist. Unter den mittelalterlichen Leitfäden "memento mori" und "carpe diem", die sich auch in gwisser Weise im Titel wiederspiegeln, betrachtet Anna ihr Leben als Einzelkämpferin ("Vor dem Tode träumen wir"), gibt sich als misanthropes Wesen ("Mephistophilia") und wirft die Frage nach iher Andersartigkeit und der einhergehende Nichtakzeptanz der Gesellschaft auf ("Coffin Break"). Wiederholendes Totegeläut eint die zehn Stücke; das gesamte Werk erhält durch die massiven Gitarren einen noch morbideren Anstrich.

Schonungslos betreiben Sopor Aeternus & The Ensemble Of Shadows weiterhin ihre schmerzvollen Beobachtungen, die so gar nicht mehr in diese Instagram-Welt passen wollen, aber als übertrieben schauderliches Gegengewicht nötig sind, um eine Relativierung der Realität zu erreichen - auch wenn Annas Blick vom Plattencover aus eine gewisse Überdrüssigkeit des Kampfes ausstrahlt, und sie in "Gone" etwas resigniert von "55 Years Odd" singt.

Fazit: So unterschiedlich die Ansätze von ASP und Sopor Aeternus auch sind, so divers ihre musikalischen Kosmen auch sein mögen, verkörpert jeder ein klares Konzept, das im Laufe der Zeit auch Veränderungen unterliegt. Ihnen daraus ein Strick drehen zu wollen, ist eine stramme Verkennung der Sachlage. Nur wer sich weiterentwickelt, (über)lebt. Ob es einigen passt oder nicht.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 30.04.19 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 4/19>

Webseite:
www.aspswelten.de
www.soporaeternus.de

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COVER © GOTHIC NOVEL ROCK RECORDS/TRISOL/SOULFOOD (ASP), APOCALYPTIC VISION/TRISOL/SOULFOOD (SOPOR AETERNUS & THE ENSEMBLE OF SHADOWS)

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