POPTONE "POPTONE LP" VS. DAVID J "CROCODILE TEARS AND THE VELVE CLOSH": AUFERSTANDEN AUS BAUHAUS-RUINEN
Sie waren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und haben dort die richtige Musik gespielt. Heutzutage gilt Bauhaus als maßgebliche musikalische Instanz, wenn es um die Definition von Gothic geht; ihr Debüt "In The Flat Field" (1980) gilt schließlich als das erste dieses Genres. Kaum verwunderlich also, dass einige Mitglieder die momentan gesteigerte Aufmerksamkeit nutzen, um ihr Post-Bauhaus-Repertoire nochmal ins Gedächtnis zu rufen.
Bis auf Peter Murphy, der sich in den 80ern kurzzeitig mit Bassist Mick Karn (ex-Japan) zusammengefunden hat, um als Dalis Car einen kunstvoll arrangierten Atelier-Pop auf die Beine zu stellen, lieferten David J, Daniel Ash und Kevin Haskins unter dem Moniker Love And Rockets eine wilde Mischung aus Pop, Elektronik und alternativem Rock. Schon ihre erste Veröffentlichung - der Motown-Klassiker "Ball Of Confusion" von den Temptations - hat erahnen lassen, dass man sich so schnell wie möglich vom untoten Bela-Lugosi-Image lösen wollte.
Davor - genauer gesagt um 1984 rum - probieren sich Ash und Haskins als Tones On Tail bereits aus, suchen nach dem Unausgesprochenen in der Popmusik, das sie mit ihren freigeistigen und noch sehr dem (Post) Punk verpflichteten Idealen zu bereichern gedenken. Nun sind sie wieder vereint, haben noch Haskins Tochter Diva Dompé mit ins Boot geholt, und nennen sich nicht ganz zufällig Poptone. Schließlich hat sich über die Dekaden hinweg die Musik gewandelt. Was damals noch verwegen geklungen hat, ist bereits von der breiten Masse assimiliert und als Teil der Pop-Historie konserviert worden.
Poptone also machen Töne für den Pop? Nicht unbedingt! Vielmehr feiern die beiden ehemaligen Bauhaus-Mitglieder ganz ungeniert sich selbst - und auch ein bisschen die populäre Musik an sich. So eröffnen die beiden ihre schlicht "Poptone LP" betitelte Scheibe gleich mal mit "Heartbreak Hotel". Den Elvis-Klassiker modeln sie mit fuzzigen Gitarren und donnerndem Schlagwerk zu einer psychedelischen Nummer um, was nicht die schlechteste Idee ist.
Bei der Neuinterpretation der Highlights aus dem Backkatalog von Tones On Tail und Love And Rockets geht das Trio aber weitaus weniger frei um. Wie mit einer Sänfte verfrachen sie ihre alten Nummern in die Neuzeit, sodass der Kern der Songs weiterhin erhalten bleibt. So erhält das extrem reduzierte "Movement Of Fear" eine deutlichere Gewichtung des Saxofon-Parts. Wer sich schon immer mal überlegt hat, wie das Saxofon-Massaker am Ende von Grauzones "Eisbär" wohl weitergehen würde, muss einfach in die ersten Takte vom neu eingespielten "Movement Of Fear" reinhören.
Die Spielfreude bei Poptone ist ihnen anzumerken. Auf stilsitische Grenzen wird gepflegt gepfiffen. Erstaunlich bleibt die Tatsache, dass solche Nummern wie das swingende "Happiness" nie den großen Ruhm erlangt hat. Schließlich funktioniert dieses mitreißende Stück perfekt als männliches Pendant zu Kim Wildes "Love Blonde". Vermutlich ist aber das Fehlen eben jener Blonden der Grund gewesen, warum "Happiness" bei Erstveröffentlichung kein Happy End beschieden war.
Der 80er-Untergrund jedenfalls hat Love And Rockets (und zuvor auch Tones On Tail) durchaus gefeiert. Stücke wie das knarzige "Go", das synthetisch aufgerüschte "Performance" oder die Post-Punk-Gedächtnisnummer "No Big Deal" funktionieren in ihrer Ur-Version einwandfrei. Auf "Poptone" erhalten sie ein gelungenes Update, das alten Wegbegleitern sicherlich nicht vor den Kopf stoßen und einige neue Fans rekrutieren wird.
Bevor mit Love And Rockets das Bauhaus-Nachfolgeensemble stattfinden sollte, experimentierte David J als Solo-Musiker. Der Erfolg damals ist bescheiden gewesen, doch lohnt es sich, auch hier ein Ohr zu riskieren. Denn die stilistische Wandlungsfähigkeit des Bassisten ist durchaus bemerkenswert. Mit dem Debüt "Etiquette of Violence" wildert J zwar noch ein bisschen im New-Wave-Territorium herum, was ihn ein wenig als eine Ein-Mann-Version von Echo & The Bunnymen erscheinen lässt. Doch schon das zweite Album mit dem enigmatischen Titel "Crocodile Tears And The Velvet Cosh" (zu deutsch etwa: Krokodilstränen und der samtene Totschläger) löst sich komplett von allem, was J zuvor musikalisch erreicht und geschaffen hat.
Nun gehört auch eine gehörige Portion Chuzpe (und vielleicht auch eine klitzefitze Verrücktheit) dazu, sich vom elektrischen Sound zu verabschieden und auf eine sehr smoothe Unplugged-Akustik umzusatteln, der in den folkigsten Momenten ("Light And Shade", "Justine") gar eine Nähe zu Bob Dylan oder Simon & Garfunkel vorweisen kann. Wo allerdings die Mundharmonika noch ein bisschen mehr Erdverbundenheit ausstrahlt, baut David J diverse - der damaligen Zeit entsprechend trendige - Spielereien ein, um nicht zu sehr auf seine musikalische Sozialisation herumzureiten. Stücke wie "Boats" profitieren von dieser sinnhaften Verquickung aus Tradition und Moderne: Die verhallten Akustik-Gitarren bilden mit den cremigen Saxofon-Partituren eine pastellige Indie-Pop-Wohlfühloase, die viel später Bands wie Kings Of Convenience nochmals aufgreifen sollten.
Dennoch merkt man sehr schnell, wer Davids Helden sind. So darf der urbane Ennui, den er in "Stop The City" (der einzige Song mit Synthesizer-Beteiligung) mit fast schon tonlosem Timbre vorträgt, ein klarer Verweis auf Lou Reed sein. Und auch sonst scheint es, als wären die "swinging sixties" mit ihren friedensbewegten Hippies und den bewusstseinserweiterten Studenten-Rockern die entscheidenden Spurenelemente, die "Crocodile Tears And the Velvet Cosh" so extrem interessant machen.
Dass gerade dieses Album ein Re-Release (und zwar als 180g clear Vinyl) erfährt, hat mehrere Gründe. Zum einen ist das Label Glass Records, auf dem "Crocodile Tears..." erschienen ist, als Glass Modern reinkarniert. Und David selbst bezeichnet seinen zweiten Longplayer als wegweisend für alle seine späteren Veröffentlichungen. Der große Durchbruch gelang ihm damit nicht. Anscheinend waren die Menschen damals noch nicht bereit, den ehemaligen Bassisten einer kultig verehrten Band als seriösen Musiker mit latentem Hang zur Lagerfeuerromantik zu akzeptieren. Vielleicht war 1985 auch einfach nur zu bunt und zu laut, sodass "Crocodile Tears..." schlichtweg überhört worden ist.
Wie dem auch sein: Die Zeit ist ins Land gezogen. Bauhaus bleibt zwar immer noch als monolithenes Mahnmal einer einstmals respektablen Subkultur, die Musiker und auch deren Fans sind aber er- und vielleicht auch dem Rollenklischee entwachsen. Was sich aus den Bauhaus-Ruinen entwickelt hat, sollte mittlerweile mit mindestens genau der gleichen Ehrfurcht, Demut und auch Dankbarkeit rezipiert werden. Denn - und das wird bei aller Vergötterung gerne vergessen - es handelt sich bei den Bauhäuslern um hochtalentierte Musiker, die sich wohl nicht nur auf "Bela Lugosi's Dead" oder "She's In Parties" reduzieren lassen wollen.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 22.08.18 | KONTAKT | WEITER: JUNO REACTOR VS. B.ASHRA>
Webseite:
www.poptonetheband.com
www.davidjonline.com
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COVER © Cleopatra Rcords/Membran (Poptones), Glass Modern (David J)
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