3/18: NOSEHOLES, SHAPESHIFTINGALIENS, SDH, CRIMINAL BODY, THE NIGHT IS STILL YOUNG, GORDIE TENTREES & JAXON HALDANE - FRÜHLINGSERWACHEN
Nach den extrem frostigen Temperaturen der vergangenen Wochen steht uns mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen wieder der Sinn nach Bewegung. Und selbst die einen oder anderen Alternativmenschen werden sich dem gründlichen Frühjahrsputz widmen oder versuchen, den angefutterten Winterspeck mit einigen Tanzeinlagen zu eliminieren.
Stilvoller könnte dies mit dem verwirrten wie verwirrenden Album "Danger Dance" der Hamburger Truppe Noseholes nicht gelingen. Immerhin mäandert das Arty-Farty-Kombinat so ungehemmt durch das, was der New Yorker No Wave nennt, dass selbst das renommierte britische Label Harbinger Sound die Scheibe auf der Insel veröffentlichen will. Das wahnsinnige Quartet, bestehend aus Henk Haiti, Steve Somalia, ZooSea Cide und TH klingt mehr nach Big Apple als nach Elbphilharmonie, weswegen ihre Chancen als veritabler No-Wave-Exportschlager made in Germany gar nicht schlecht stehen. Was soll man aber auch machen, wenn bereits die erste Nummer, gleichzeitig albumtitelgebender Song, so übertrieben lässig arrangiert ist und kurz darauf in "Lush Box" nervige Töne einer ausgequetschten Trompete die Schmerzgrenze des Hörers bereits unaufhörlich antippen? Dazwischen gibt es undefinierbare Linguistik in "Yelzin's Affair" und ein elektronisch unterfüttertes Saxophon-Massaker in "Aspirin Nation". Ein bisschen mehr als eine Viertelstunde Musik sind auf "Danger Dance" zu hören. Was an Quantität nicht vorhanden ist, machen Noseholes durch ihre originäre Qualität wieder wett. Denn alles geschieht im vollen Bewusstsein und wirkt doch so zufällig und surreal wie die Begegnung eines Handmixers mit einer Nachttischlampe. Im Wonnemnat Mai werden die Noseholes dann die nicht mehr so unbekannten Sleaford Mods supporten, einmal in ihrer Heimatstadt und einmal in Berlin. Bis es aber soweit ist, sollten dem quirligen Vierergespann sicherlich noch einige Herzen zuflattern. Dank "Danger Dance", dem vielleicht krassesten Scheiß dieses Frühjahrs.
Einmal mehr blicken wir mit Erstaunen nach Skandinavien. Mit schlafwandlerischer Sicherheit erreichen uns von dort seit jeher wunderbar arrangierte Melodien, deren größtes Talent es ist, Anspruch und Anschmiegsamkeit perfekt zu vereinen. Keine Ausnahme macht das selbstbetitelte Album der ShapeShiftingAliens aus Schweden. Mehr noch bestätigt es die bereits im Vorfeld hochgesteckten Erwartungen, die das Duo Niklas Rundquist und J.P.Cleve mit ihren ambitionierten Songs und Videos, wie beispielsweise jenes von "Showing My Face", selbst gelegt haben. Doch wer nun denkt, dass hier krampfhaft versucht wird, das musikalische Erbe eines David Bowie oder Brian Eno für sich zu beanspruchen, irrt. Natürlich ist Cleves sonores Timbre nah am immer noch präsenten Pop-Alien, während der umherschlechende Sound noch wenig greifbar scheint. Doch "ShapeShiftingAliens" entpuppt sich in dieser Hinsicht als musikalische Wundertüte, die uns die Vielfalt des Terminus "Pop" nahebringt, ohne zerfahren oder beliebig zu klingen. Da servieren "Fade Away", "Drums Of Bitter Hearts" und vor allem "Love Is A Battlefield" (nein, kein Pat-Benater-Cover) einen fluffig geschlagenen Sound-Cocktail, der alles zitiert und doch bei sich bleibt. Dazwischen schunkelt der Walzertakt in "Stay" die ShapeShiftingAliens in einen gemäßigten Waits'schen Kosmos, während "Little Bit" an die elegant ausstaffierten Chart-Nummern von Savage Garden erinnert, bloß um bei "Time For A Change" wieder die elektronische Variante von Pop so selbstverständlich abzurufen, als haben sie nie etwas anderes gemacht. Und wenn am Ende "Shadows" mit zittrigen Bläser-Sequenzen und verschränkten Beats einen Hauch Experimentierfreude aufkommen lassen, dann nur, um zu zeigen, dass auch hier Eingängigkeit Trumpf ist. Schlussendlich empfindet man nur noch Dankbarkeit für ein Meisterwerk, das nicht mehr und nicht weniger will, als eben wunderbare Popmusik mit charmantem Tiefgang zu kredenzen.
Woran es nun aber liegt, dass wir bei Semiotic Departments of Heteronyms, kurz SDH, so verzückt bis ganz und gar aus dem Häuschen sind, können wir gar nicht so richtig sagen. Die lauen Frühlingstemperaturen werden ihren Anteil da kaum eingebracht haben können, denn beim Hören ihrer ersten EP "Tell Them" fröstelt es einen angenehm. Dank mollschwangerer Synthieflächen, die sich im weiblichen Cold-Wave-Gesang, der sich zwischen Dolores O'Riordan von The Cranberries und Elena Alice Fossi von Kirlian Camera verankert, geradezu transzendental öffnet und bei aller Distanziertheit und mechanischer Strenge doch etwas anheimelndes besitzt. Nur drei Stücke sind es, die uns SDH offerieren - ein ganzes Album soll laut Label im Mai erscheinen. Doch dieses Triple tanzbarer Tristesse ist nichts weniger als der glasklare Beweis, dass hier helle Köpfe am Werk sind, die sich sehr genau in ihrem Metier auskennen. Andrea P. Latorre und Sergi Algiz besitzen mit Cønjuntø Vacíø nicht nur ein eigenes Label, sondern sind als Teil des Post-Punk Act Wind Atlas fest mit sinistren Tönen verbandelt. Diese weichen sie bei SDH etwas auf, verzieren sie mit einigen trancigen Elementen und flirrenden Elektronischnipseln und lassen sie durch stetige Redundanz an Intensität und Kraft gewinnen. Bereits der Titelsong ist von dieser hypnotischen Wirkung durchgezogen, baut sich in "Abandon" weiter auf, ehe bei "Blind Guide" die Ruhe und Kontemplation in die sphärische Klanglandschaft einkehrt und dem Hörer Geborgenheit schenkt. Alles fließt bei SDH und kulminiert in einem einzigen tönernen Reigen, die sich nicht anbiedern will, sondern einfach um seine Strahlkraft weiß. Widerstand ist bei "Tell Them" tatsächlich zwecklos.
Im Zusammenhang mit neu gegründeten Bands werden gerne die Adjektive "frisch" oder "unverbraucht" geradezu inflationär genutzt. Diese sollte man sich aber bei Criminal Body tunlichst verkneifen. Schließlich besteht die Münsteraner Formation schon etwas länger - allerdings haben sie davor Jungbluth geheißen und astreinen Hardcore zusammengeschrammelt. Die Intensität, mit der sie ihre Saiteninstrumente bearbeiten, konnten sie aus dieser Zeit für ihr neues Karrierekapitel rüberretten. Ansonsten erinnert auf ihrem ersten, selbstbetitelten Mini-Album nicht mehr viel an die einst so berserkenden Jungs. Offenbar haben sie allesamt ihren Weltschmerz entdeckt und pflegen ihn nun über Gebühr. Nach dem noch etwas orientierungssuchenden "Pouring Love" liefert "Sodium Lights" bereits einen wegweisenden ersten musikalischen Höhepunkt: Knackige Bässe, manisches Schlagwerk und breitflächige, effektbeladene Gitarren bilden das Fundament, auf dem sich jetzt eine melancholisch-melodiöse Stimme mit Wonne ausbreitet. Ruhige Momente wie jene bei "Days Of Future Past" klingen dagegen so, als stünden Criminal Body vor den Ruinen einer ausgedienten Stahlfabrik und gedenken ihrer Sterblichkeit - Industrieromantik in ihrer bittersten Form sozusagen. Um nicht dem kompletten Trübsinn zu verfallen, darf beim nachfolgenden "In This Our Life" das Tanzbein gleich wieder geschwungen werden. Aber bitte nicht zu euphorisch. Schließlich kann der atmosphärische Post-Punk mit kräftigen Noise-Einschlag einen nur runterziehen wie ein plötzlicher Wintereinbruch in den vermeintlich schon startenden Frühling. Und wie dieser meistens nur von kurzer Dauer ist, fliegt auch dieses Kleinod mit nicht mal 30 Minuten Spielzeit wie ein Blizzard über unsere Köpfe hinweg. Doch an Criminal Body wird man sich erinnern, während so ein kleiner Temperatursturz schnell wieder vergessen ist.
Und wenn sich die Sonne dann endlich Bahn bricht und auch die letzten Minusgrade für die nächsten Monate verbannt, versprüht der Lenz diese wunderbare Leichtigkeit. Sie macht, dass selbst "King Of The Bees" von The Night Is Still Young trotz seines dunklen Pinselstrichs auch etwas zutiefst ätherisch-schwereloses besitzt. Schon die ersten Takte des Albums offenbaren uns hier ein anderes, ein tieferes Wesen der Musik. Hinter diesem eher britisch anmutenden Werk steckt tatsächlich der Schweizer Marco Naef, der ganze zehn Jahre seine klangliche Handschrift ausgearbeitet hat. Da nimmt es nicht wunder, dass "King Of The Bees" für ein Debütalbum derart homogen und selbstbewusst wirkt. Ob nun die nach Moll-Tönen lechzenden, leicht postpunkigen Gitarren beim Instrumental "Fai" und dem Eröffnungsstück "Assassin", oder dem emotionalen, bewusst leicht neben dem Ton vorbeischrammenden Gesang, der die Ballade "A Ghost Is Watching Over Me" besonders eindringlich macht: Hier geschieht nichts aus dem Zufall heraus. Zwar mit klaren Verweisen auf die Art-Rock-Größen Pink Floyd und Alan Parsons Project beschlagen, lässt TNISY aber auch ganz denzent Americana-Nuancen durchschimmern, sodass manche Nummern teilweise auch als Untermalung für psychedelische Streifen von Quentin Taranino oder David Lynch funktionieren könnten - man höre sich einfach nur "Walking The Wall" oder "Lisboa" an. "King Of The Bees" vereint die gedankliche Schwere eines lyrischen Ichs, das sich mit den teils Nerven zehrenden Unwägbarkeiten des Leben auseinandersetzen muss, mit einer klanglichen Leichtigkeit des Seins. Das wunderbar entspannte Finale von "Two-Headed Snake" gleicht denn auch einer imaginäre Cabriofahrt entlang des Highway 1 an der amerikanischen Westküste. Bleibt nur zu hoffen, dass das nächste Album nicht noch einmal so viel Entstehungszeit in Anspruch nehmen wird.
Eine lange Vorgeschichte beherbergt auch das schnuckelige Debütalbum "Grit" des Singer/Songwriters-Gespanns Gordie Tentrees und Jaxon Haldane. Bereits 2005 kreuzten sich die Wege dieser beiden Charakterköpfe erstmalig bei einem Festival. Seitdem lief man sich ständig über den Weg, und neun Jahre später ist Haldane einer Einladung Tentrees nach Amerika gefolgt, um gemeinsame Sache zu machen. Beide sind sie klassische Songwriter, die mit Akustikgitarre, Banjo, Mundharmonika und Singenden Sägen zu ihren Auftrittsorten tingeln und dort über die großen und kleinen Probleme der Menschen - und auch der Musiker selbst - singen. Dass nun das gemeinsame Debüt ein Live-Album geworden ist, verdanken wir der kleinen Fangemeinde, die Tentrees und Haldane dazu angestoßen haben, die wunderbar heimelige Atmosphäre ihrer Konzerte weitstgehend ungefiltert auf den Tonträger zu pressen. Eine weise Entscheidung, denn die Unmittelbarkeit und Dynamik ihres perfekten Zusammenspiels auf "Grit" hätte womöglich unter den klinischen Bedingungen eines Studios gelitten. So erleben wir zwei Männer, die mit ihrer Musik verheiratet sind und in "Junior" ganz unromantisch auch die Probleme dieses Lebens zeigen: Familie und Kinder auf der einen Seite, das unstete Tourleben auf der anderen. Dazwischen bluesen sie sich durch den noch recht jungen Titel "I Don't have A Gun", ursprünglich von Tommy Womack und Will Kimbrough, bearbeiten mit einem Affenzahn das Banjo in "No Integrity Man" und geben bei "Craft Beards & Man Buns" den "Millenials", also jenen Adoleszenten, die um 2000 geboren worden sind, ein paar gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg. Dies alles geschieht völlig unverkrampft und immer mit einem Augenzwinkern. Tentrees und Haldane sind der Inbrgriff der musikalischen best buddies, deren Songs das Leben feiern in all seinen Facetten. Im April werden sie auch in Deutschland zu sehen sein - ein Termin, den man sich im Frühjahr unbedingt merken sollte.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 20.03.2018 | KONTAKT | WEITER: DOLORES LOKAS VON HEADLINE CONCERTS ZUM "NEW WAVES DAY" IN OBERHAUSEN>
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noseholes.bandcamp.com
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semioticsdepartmentofheteronyms.bandcamp.com
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Covers © ChuChu Records/Harbinger Sound (Noseholes), The Sublunar Society (ShapeShiftingAliens), AVANT! Records (SDH), This Charing Man Records (Criminal Body), Radicalis (TNISY), Greywood Records (Gordie Tentrees & Jaxon Haldane)
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