GABI DELGADO LÓPEZ: ER TAT, WAS ER WOLLTE - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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GABI DELGADO LÓPEZ: ER TAT, WAS ER WOLLTE

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In München gab es in den 90ern - ich glaube, es war immer der erste Samstag im Monat - die Platten- und CD-Börse, hauptsächlich im Festzelt am Nockherberg. Dort, wo zum Starkbieranstich die Politiker sich ihre Fehltritte von diversen Kabarettisten bereitwillig um die Ohren schlagen lassen, eröffnete sich für mich, der ich als Teenager angefangen hatte, sich für elektronische Musik zu interessieren, ein El Dorado an verschiedenen Genres. Nebenbei gab es die Möglichkeit, mein Taschengeld durch einige Schnäppchen gewinnbringend in meine angefangene CD-Sammlung anzulegen.

Es muss um 1992 oder 93 gewesen sein, als ich wieder einmal den Flohmarkt frequentierte, auf der Suche nach einigen interessanten Alben. Viel kam an diesem einen Tag aber nicht zu Stande. Kurz bevor ich die Räumlichkeiten mit leeren Händen wieder verlassen wollte, stöberte ich etwas gelangweilt bei einem der Anbieter in einem Kasten mit Techno-Samplern. Ich entdeckte "Techno House Vol. 3", eine Doppel-CD, die ich nur wegen zwei Liedern auf der ersten Scheibe gekauft habe: "Wo ist Pippi" von Hr. Nielsen und der kleine Onkel und "Helmut Kohl ist tot" von Kranz. Die Songs sind mittlerweile fast in Vergessenheit geraten, und rückblickend betrachtet auch nicht mehr als verrückter Zeitgeist-Techno eines wiedervereinten Deutschlands gewesen.

Die erste Scheibe haben die Zusammensteller mit "Techno Hits now" betitelt, die zweite beinhaltete "Classics in electronic music". Sie zu hören, hat meine Liebe zur elektronischen Musik nachhaltig geprägt. Viele dieser überraschend gut ausgewählten Stücke höre ich noch bis heute: die ansprechende Live-Version von Depeche Modes "Photographic", "Headhunter" von Front 242, "Push" von Invincible Spirit, das recht unerwartete "Gottes Tod" von Das Ich (meine erste berührung mit Gothic)...aber kein Song hatte einen stärkeren Eindruck hinterlassen als "Verschwende deine Jugend" von DAF.

Damals konnte ich es gar nicht so richtig einsortieren, was da eigentlich mit mir geschah. Aber es schien fast so, als habe dieses Lied all meine verborgenen Sehnsüchte und Rebellionsgedanken zumindest leicht angetriggert. "Tu' was Du willst, nimm Dir was Du willst. Verschwende deine Jugend, solange Du noch jung bist." Dieser assoziativ gehaltene Text von Gabi Delgado López barg in Verbindung mit Robert Görls brodelnden Sequenzern und peitschenden Schlagzeug eine ungeheure Sprengkraft. Wenn ich also jemals den Weltumsturzplan in den Händen halten würde, dachte ich, "Verschwende Deine Jugend" wäre der Soundtrack zu seiner Durchführung.

Das Lied lief im Repeat-Modus in meinem kleinen Kinderzimmer. Ich tanzte dazu, verausgabte mich völlig. Heute glaube ich, dass das genau die Intention von Gabi und Robert gewesen ist. Der maschinelle Beat, die provokant kurz gehaltenen Texte, keine Strophen, kein Refrain, kein Pop. Musik wurde zu einem stetig Bewusstseinsstrom eingedampft, dessen Transzendenz sich im Tanz völlig entfaltet.

Als Freund der damals aufblühenden Techno-Bewegung mit all den Festivitäten wie Mayday und der Love Parade, aber auch als Verfechter der neuromantischen 80er Musik von Ultravox, OMD und dergleichen, fand ich für mein "missing link". Denn obwohl DAFs Lieder damals schon zehn Jahre alt waren, fügten sie sich nahtlos in die zeitgenössische elektronische Klangerzeugung ein.

Nur mit einem wichtigen Unterschied, und der heißt eben: Gabi Delgado López. Seine Texte packen den Hörer bei den Eiern, um es mal unmissverständlich auszudrücken. Er singt nicht, er predigt, offenbart sich uns, schleudert seine kleinen Gemeinheiten und triebhaften Texte mit einem Grinsen in unser Gesicht. Keiner, der jemals ein Stück der Deutsch Amerikanischen Freundschaft gehört hat, wird die Dringlichkeit seiner Vorträge je vergessen. Sei es nun "Der Mussolini", "Kebapträume" oder  "Der Räuber und der Prinz", um nur die bekanntesten zu nennen.

Später, in den 2000ern, erschien mir der Songtitel immer wieder. 2001, Jürgen Teipel brachte mit "Verschwende Deine Jugend" einen authentischen Doku-Roman zur Entstehung von Punk, New Wave und Neuer Deutscher Welle auf den Markt, kurze Zeit später habe ich eine Statistenrolle zum eher seichten Film "Verschwende Deine Jugend" mit Robert Stadlober und Tom Schilling erhalten.

Meine Jugend habe ich also nicht verschwendet, sondern sinnvoll genutzt, in dem ich DAF (zu)gehört und die Zusammenhänge zwischen Techno, EBM erschlossen habe. Ich denke heute anders als zu meiner Teenagerzeit über dieses Lied. "Tu' was Du willst" bedeutet nicht Anarchie, sondern Nonkonformismus. Sich nicht von anderen beeinflussen lassen, sondern straight sein Ding durchziehen. Das habe ich dann auch getan, indem ich mich als Musikjournalist verdingte, obwohl es immer wieder Gegenwind für meine Pläne gab

Ich konnte Gabi leider nie interviewen und war auf meinen Freund Tom ziemlich neidisch. Wir haben in den mittleren und späten 00er Jahren gemeinsam eine Musiksendung in einem Münchner Lokalradiosender moderiert, und er, der DAF noch während ihrer aktiven Zeit bewusst miterlebt hat, konnte ein Interview mit dem gebürtigen Spanier ergattern.

Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, ihm zu begegnen, ich hätte ihn nicht so sehr über DAF oder seine weiteren Projekte wie DAF/DOS und seine Liebe zur elektronischen Musik ausgefragt, denn das ist ja schon hinlängloich bekannt gewesen. Vielmehr hätte ich enfach nur seine Sicht auf die Welt erfahren und wie ein Schüler dem Lehrer aufmerksam zuhören wollen. Denn der Mann wirkt bei aller Kampfbereitschaft und Freude an der intelligenten Provokation auch sehr in sich ruhend und freundlich - so berichten es auch viele, die tatsächlich näher mit ihm zu tun hatten.

"Tu' was Du willst" - das war Gabis Credo, an ds er sich bis zuletzt gehalten hat. Nun ist der Mann, wenige Wochen vor seinem 62. Geburtstag, von uns gegangen. Möge er weiterhin das tun, was er will, wo immer er nun auch ist.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 24.03.2020 | KONTAKT | WEITER: HARRY STAFFORD "GOTHIC URBAN BLUES">




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