SCHORE: IM ANGESICHT DES WANDELS
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In den Anfangstagen war Schore (der Name leitet sich unter anderem vom Slang für Heroin ab) einer experimentell-elektronischen Musik mit surrealen Texten verpflichtet, die sich auch aus den damaligen Lebensumständen des Musikers Christopher Tworuschka speiste. "Um 2018 rum hatte ich eine schwere Depression, die mich auf nahezu allen Ebenen meines Lebens mit der Frage konfrontierte: Was machst du hier eigentlich?", erklärt er. "Ich konnte einfach nicht mehr, alles stand auf 'Stopp', auch die Musik. Als ich mich langsam ins Leben zurücktastete, überlegte ich jeden meiner Schritte, und das hat wohl auch zu einer Neuordnung meines Vorgehens in der Musik geführt. Und dazu, dass ich mehr Wert auf die Texte lege, bei denen ich dadurch, das ich mir selber näher bin, auch etwas zu sagen habe und authentischer darin bin." So wirkt der Cut zwischen den ersten Veröffentlichungen wie "Aileen" (2016) oder "Heilung" (2017) und dem 2020 erschienenen "Unter Menschen" wie ein Befreiungsschlag eines Musikers, der scheinbar seine individuellen Ausdrucksmöglichkeiten gefunden hat.
Dass zu diesem Zeitpunkt Corona ihren Lauf genommen hatte, war aber nicht der Auslöser für die inhaltliche Neuausrichtung von Schore. "Diese Pandemie zeigte zwar Themen, Situationen, Umbrüche, die natürlich das ganze Leben, also auch die Musik und Texte, beeinflußt haben, ich möchte sie aber nicht als DEN Auslöser für diese Veränderung sehen, zumal die Themen, die mich bewegen, auch vorher schon da waren, nur eben vielleicht nicht so zugespitzt sichtbar."
Mit dem status quo seines Projektes, das irgendwo zwischen DAF und KMFDM verortet werden kann, ist Chris sichtlich zufrieden. Dennoch bedeutet das nicht, bereits am Ziel angekommen zu sein. "Ich würde es eher wie eine Station sehen, wo man kurz Zeit zum Innehalten hat, die aber nicht bedeutet, dass der Weg unbedingt in der selben Richtung fortgesetzt wird. Es ist ja auch manchmal schön, sich bei der Hand nehmen zu lassen, um Musik und Klang aus einer passiveren Haltung wirken zu lassen, weswegen mir im Augenblick No-Input Mixing einiges an Freude bereitet. Weitere Entwicklungen möchte ich aber vor allem von den Geräten abhängig machen, die ich live benutze." Apropos: Schore wird am 23. Mai im Sonic Ballroom in Köln als Support der antifaschistischen Krachmacher Noise Against Fascism aus Schweden auftreten, was auch einen Hinweis auf Christophers politische Ausrichtung gibt.
Schores Weltanschauung schimmert auch in seinen Songs, die er gerne mal mit einigen Sprachsamples garniert, durch. "Alerta! Antifascista!" (vom Album "Unter Menschen") und "Das Amüsement" (aus "Heilung") haben schon früh die Gedankengänge des Musikers skizziert. Bei "Von den Tigern" wird die Nutzung der Sprachsamples aber subtiler eingeführt. "Auf 'Die Kinder' habe ich beispielsweise den Faschisten Björn Höcke alias Landolf Ladig gesampelt. Das soll jedoch nicht einer Überführung von ihm dienen. Der Typ ist, was er ist - einer völkischer Faschist - das ist keine Neuigkeit. Was er da sagt ist aber eine Quintessenz dessen, was auch in breiteren Teilen der Gesellschaft an queer-, insbesondere transfeindlichen Positionen geteilt wird, oft unter dem Deckmantel des Kinder- und Familenschutzes. Und darauf hinzuweisen, das umgekehrt gesprochen diese Form des 'Schutzes' - egal ob das nun christliche Fundamentalisten, besorgte Eltern, Konservative oder einfach nur die Kolleg*in auf der Arbeit sind – die Basis völkischer Ideologie ist, war es mir dann Wert, ihn im Wort zu zitieren." Bisweilen finden sich Samplings aber auch in seinen Texten statt, indem er im Netz gefundene Äußerungen in seine Lyrics verwebt. "In 'Das Werk' verwende ich eine kleine Auswahl der besten Arbeitgeber-Zitate, die ich bei Google finden konnte. Ich hoffe, dadurch einen kleinen Anstoß zu geben, die eigene Arbeitsmentailität und Produktionsverhältnisse in denen sie stattfindet zu hinterfragen. Ich hätte auch 'Klassenkampf! Klassenkampf!' schreien können, aber ich fand diesen Weg konfrontativer."
Dementsprechend ist es nicht mehr verwunderlich, dass zu Schores musikalischem Portfolio auch die beeindruckende Coverversion des italienischen Partisanenklassikers "Bella Ciao" gehört - stilecht mit deutschem Text und knalligem Electro-Punk. "Die Neuinterpretation ist eigentlich gar nicht so neu, wie es scheint, da 'Bella Ciao' in seiner frühesten Version von der ausbeuterischen Arbeit auf Reisfeldern in der pandanischen Ebene am Anfang des letzten Jahrhunderts handelt", zeigt Chris die Parallelen auf. "Einige Formulierungen sind auch ähnlich in meiner Version zu finden. Und Ausbeutung war eines der Themen, die in der Pandemie für alle unübersehbar wurden. Spargelernte, Fleischfabriken, Arbeiter*innen hinter den Zäunen von Tönnies weggesperrt... Aber auch der Arbeiterkampf bei Spargel Ritter in Bornheim (das Foto auf dem Cover kommt von der FAU / Freie Arbeiter*innen Union Bonn – Grüße und Dank an der Stelle!): Das sind die Gründe für den Text, auf das Lied selber hatte mich mein Kollege Marco in einem anderen Projekt gebracht."
Zuletzt verhandelte "Der Sommer kommt" den Klimawandel, den Chris auf seine ihm sarkastische Weise kommentiert: Er werde trotzdem im Sommer wieder am Grill sitzen oder ins Freibad gehen. "Zumindest habe ich aufgehört, das zu ignorieren, was im Bericht des Club Of Rome seit über 50 Jahren nachzulesen ist", so sein dann doch nachdenklicher Kommentar. Nach den vielen kleinen Veröffentlichungen (auch "Von den Tigern" und "Der Sommer kommt" sind nur Releases in EP-, resprektive Singlegröße) wäre ein Longplayer der nächste zu überlegende Schritt. Der Musiker bleibt aber zurückhaltend: "Eine Platte ist eine schöne Idee und Herausforderung, aber leider sehr teuer in Eigenproduktion. Vielleicht erreiche ich ja in Zukunft ein paar Leute mehr als bisher, und es ergibt sich etwas, von dem ich gerade noch nichts weiß." Im Angesichts des stetigen Wandels von Schore fast schon obligatorisch.
|TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.05.24 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 6/24>
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