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MIND.IN.A.BOX "MEMORIES": AGENT PROVOCATEUR

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Als 2004 mit "Lost Alone" das fulminante Mind.In.A.Box-Debüt erschien, markierte es den Beginn einer groß angelegten Science-Fiction-Saga. Prompt stürzten sich Szene-Magazine geradezu wollüstig auf dieses österreichische Projekt, das sich anschickte, die elektronische Musik für das 21. Jahrhundert neu zu definieren. Vom "Newcomer des Jahres" war damals die Rede, womit die Gothic-Gazetten ausnahmsweise mal – Vorsicht: Wortspiel – voll ins "Schwarze" getroffen haben.

Die beiden kreativen Köpfe, Stefan Poiss und Markus Hadwiger, verfolgen seit jeher eine klare konzeptuelle Vision, der sie nun auch im aktuellen Werk "Memories" unbeirrbar nachgehen.


Ihr fünfter Teil der Dreamweb-Saga um Protagonist Black und seinem Widersacher Mr. White ist selbstredend eine konsequente Weiterführung des bewährten,
poiss'schen Klangverständnisses.

Musikalische
Innovationen sind in Nuancen durchaus herauszuhören, aber angesichts eines derart schlüssigen Konzepts auch nicht obligatorisch, sondern eher störend. Oder wie würde man reagieren, wenn der dritte "Hobbit"-Film auf einmal zum reduzierten Kammerspiel im Stile eines Lars von Trier geraten würde?

Apropos: Erstaunlich, dass die Geschichte um den ominösen Black, Abtrünniger des Überwachungsunternehmens "The Agency" und damit Intimfeind Nummer eins seines Ex-Bosses Mr. White, bisher noch nicht verfilmt worden ist.

Immerhin winkt diese Zukunftsmär jedem Liebhaber der "Matrix"-Trilogie mit dem Zaunpfahl zu. Von Plagiat zu sprechen, verbietet sich aber komplett, da beide Stories höchstens die beklemmende Dystopie aus individueller Entfremdung und totaler Überwachung gemeinsam haben. Ansonsten erzählt das Electro-Projekt eine höchst eigenständige Story.

Der Fokus liegt dieses Mal auf Black, der nach dem Ausscheiden aus der Agency einer Gehirnwäsche unterzogen wurde, aber jetzt seine Erinnerung wiedererlangt.

Seiner selbst allmählich bewusst werdend, steht er auch auf dem Cover vor der angsteinflößenden Glasfassade der "Agency", der er wortwörtlich den Rücken gekehrt hat. Die leblose, von kaltem Neonlicht illuminierte Stadt wirkt wie der real gewordene Albtraum, in dem sich der unsicher umherblickende Black befindet, und aus dem er sich zu lösen versucht.

"Shake Up" klingt daher auch wie der gleißende Lichtstrahl, der die (mentale) Dunkelheit erhellt: "I May Let Them See Me, I May Let Them See Me Stumble, But They Will Never See Me Fall", trotzt der Ex-Agent unter opulenten Streichern und dicht verwobenen Pattern seinen Feinden.

Die Geschichte tritt in eine neue Phase: Black arbeitet gegen die Agency - und mit den sogenannten Sleepwalkern, die im "Dreamweb", einer freien Parallelwelt, agieren und sich der totalen Kontrolle der "Agency" entziehen.


Doch der Weg zur Erleuchtung ist ein schmerzhafter.

MIAB setzen dabei ihre typischen Erzählstrukturen fort: Die hochgepitchte, wie ein trauriger Android klingende Stimme in "I Knew" spiegelt Blacks Unterbewusstsein auf der Suche nach der eigenen Identität, während Stefans naturbelassenes Organ die Gedanken des Protagonisten wiedergeben ("Silent Pain") oder als narrative Instanz den Fortlauf des Geschehens dokumentiert ("5ynchr0ni7e").

Bei "Memories" jedoch spürt man überdeutlich den inneren Furor in Black, der immer stärker seine vermeintliche Realität zu hinterfragen beginnt.


Wie selten zuvor treiben marschierende Beats die Songs - und damit auch die Handlung - voran.


"Unforgiving World" setzt die Aufbruchsstimmung von "I Knew" nahtlos fort: "Deep Down Inside Of Me, I Have This Little Piece Of Hope", dringt es nach außen. Doch das darauffolgende Instrumental "No Hope" wirkt bereits wie ein Gegenmittel, ebenfalls mit durchlaufender Bass-Drum.

Gerade die auditiven Einblicke in das "Dreamweb" hallen noch lange nach.

Besonders "Bad Dreams" kommt mit seinem herausgenommenen Tempo äußerst gebückt daher. Rollende Bassfiguren und beschwörenden Glockenklänge erzeugen eine somnambule Atmosphäre, in der Realität und Traumwelt ineinander übergehen, ehe am Ende ein schwelgerischer Refrain erlösende Transzendenz beschwört.

Wie eingangs erwähnt,
sind die Alben von Mind.In.A.Box in ihrer Grundstruktur transparent und - im positiven Sinne! - vorhersehbar.

Dennoch überrascht die Formation mit genialen Melodieführungen und atmosphärischer Dichte. Zudem übertrifft "Memories" seinen Vorgänger "Revelations" durch die Vielzahl eingängiger Stücke: Die sich überschlagenden Ereignisse der Geschichte (im übrigen von Andreas Gruber verfasst) wirken sich wohl auch auf die Dynamik der Songs aus.


Eingedenk des kleinen Ausflugs in die Welt des kultig verehrten Commodore 64 mit dem Album "R.E.T.R.O." sowie den drei Veröffentlichungen seines Seitenprojektes Thyx, hat Stefan Poiss innerhalb von rund zehn Jahren neun CDs herausgebracht – allesamt von bestechender Qualität.

Und es scheint nahezu sicher, dass seine kreative Kraft noch lange anhalten wird. Muss sie ja auch, schließlich haben MIAB, die mittlerweile selbst Teil der Geschichte geworden sind, noch so viel mehr zu erzählen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 25.02.15 |  KONTAKT |  WEITER: "MEMORIES": INTERVIEW MIT MIND.IN.A.BOX >


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Website
www.mindinabox.com


COVER © DREAMWEB MUSIC.

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