11/25: OZIBUT, DARK MINIMAL PROJECT, APRÈS LA NUIT, ICON OF COIL - SCHWITZT, MEINE KINDER! - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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11/25: OZIBUT, DARK MINIMAL PROJECT, APRÈS LA NUIT, ICON OF COIL - SCHWITZT, MEINE KINDER!

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025

Ein Album, bei dem man nach den ersten Takten sofort weiß, dass es gut wird. Bei dem französischen Projekt Ozibut werden auf dem aktuellen Werk "Multifacette" keine Gefangenen genommen oder zu Beginn verschachtelte Intros kredenzt, sondern direkt mit knarzigen Sequenzen und Bassdrums, welche die Magengegend zum Ziel haben, die Richtung glasklar vorgegeben: Attacke! Die teilweise ungewöhnlichen Töne harmonieren dabei hervorragend mit dem alerten Charisma von Ozibuts Organ, das Sehnsucht, Bedrohung und Trauer in sich vereint. Die energiegeladenen, latent humorvollen, in französischer Sprache gesungenen Songs mit ihrem leicht verschrobenen Klanggerüst erinnern dabei an Projekte wie Kloq oder Clicks, vor allem, weil sich auf "Multifacette" das Prinzip der Reduktion zugunsten höherer Eingängigkeit durchgesetzt hat. Oder anders ausgedrückt: Der neue Longplayer des Franzosen besitzt nur Stücke, die das Zeug haben, die schwarzen Clubs ordentlich aufzumischen - in Ozibuts Heimatland sowieso, aber auch über die Grenzen hinaus. Zwar wurden mit "Bientôt" und "Problématique" bereits zwei Songs ausgekoppelt, die Appetit auf "Multifacette" machen; es hätten aber ebenso "Passion triste", "Je tue des mouches" oder auch "Les Lombrics" sein können, die als Vorhut dieses Albums zuvor auf das Publikum hätte losgelassen werden können. Besonders "Sequelles", das "Multifacette" beschließt, lässt den Connaisseur ein wenig schmunzeln, nutzt Ozibut in diesem Song einen fast schon vergessenen Sound: eine verwischte Sequenz, die man zu Zeiten des New Beat aus Belgien sehr oft gehört hat und die vielleicht auch die musikalische Sozialisation von Ozibut kurz markiert. Es ist der gelungene Schlusspunkt eines kohärenten, homogenen Albums, in dem in keinem Moment ein Spannungsabfall zu verzeichnen ist.

Seit einigen Jahren macht ein weiteres Projekt aus Frankreich von sich Reden - ein dunkles, minimales, wie sich Dark Minimal Project programmatisch nennt. Mit dem dritten Longplayer "Pleasure Is A Sin" kann man zwar durchaus von brodelnd-düsteren Electrosongs mit überdeutlichem EBM-Einschlag sprechen, aber minimal ist das, was Mastermind Guillaume Vanderosieren uns da vortischt, beileibe nicht. Auf dieser Scheibt hat sich das Duo - neben Guillaume ist auch Ange Vesper mit von der Partie - stilistisch weiter gefestigt. Mehr noch: Es scheint so, als repräsentiere "Pleasure Is A Sin" erstmals das, wozu DMP im Stande ist zu liefern. Sicherlich ist es auch das Händchen von Peter Rainman, der als Co-Produzent entscheidenden Einfluss auf die Stücke genommen hat, die in ihrer ganzen Präsentation zwar den Pop mitdenkt ("Promise Land"), aber sie in so viel dunkler Gaze verpackt, dass man ihn nicht sofort wahrnimmt - besonders wenn wie bei "Spoke To The Devil" die Schläge pro Minute durch die Decke schießen. Insgesamt zeigt sich das Projekt auf dem Drittling sehr offensiv und experimentierfreudig. Neben all den tanzbaren Nummern, die per se als veritable Club-Hits fungieren können, finden sich auch immer wieder ruhigere Momente wie "So Far Away", das vergleichsweise verletzlich und persönlich klingt. Damit hat das Zweiergespann ein sehr spannendes Album ersonnen, das mit einer Coverversion aufwartet, welches ihr musikalisches Vorbild offenlegt. "This City", im Original von John Foxx, hat das Dark Minimal Project in einen treibenden Electro-Stampfer mit blubbernden Bässen und druckvollen Beats verwandelt. "Pleasure Is A Sin"? Bei diesem französischen Projekt wollen wir gerne sündigen.

Immerhin noch zur Hälfte französisch ist die nächste Elektronikformation mit Namen Après La Nuit. Geleitet von Richard Abdeni, steht seine musikalische Vision zwar in der Nähe zu verschiedenen Future-Pop-Größen, wirkt aber wesentlich sakraler und nicht so plakativ, wie es bei vielen Bands aus diesem Sektor der Fall ist. Abdeni, der zuvor unter dem Moniker Les Anges De La Nuit mit einigen kleinen Clubhits in Deutschland in den 2000ern bereits auf sich aufmerksam machte (vor allem "I Still Love You" kann man bis heute noch gut hören), blieb angesichts der großen Konkurrenz im Future-Pop-Bereich allerdings eine Randnotiz. Dem Nachfolgeprojekt Après La Nuit sollte dieses Schicksal aber nicht ereilen. Zumindest ist das zweite Album "Aller-Retour" alles andere als eine schüchterne Platte. Mehr noch scheint Abdeni seine Ideen konkreter in Töne umzusetzen, während er von Sängerin Marilyne B. in einigen Passagen gesanglich unterstützt wird. Ihren Glanzmoment hat sie in der reduzierten Pianoballade "Une Cité Sans Gaieté", das die Musikerin selbst geschrieben hat (und als Electro Version wenige Tracks später tanzflächenfreundlich umgeschrieben wurde). Dieser kurze Stilbruch lockert das insgesamt sehr tanzbare Korsett von "Aller-Retour" zu seinen Gunsten auf. Denn Après La Nuit arbeiten sehr diszipliniert die Möglichkeiten, die ihnen das Future-Pop- und Electro-Wave-Genre zur Verfügung bietet, mit großem Selbstbewusstsein aus. Kritiker könnten dem Duett vorwerfen, dass sie mit ihren Klängen rund 20 Jahre zu spät dran sind. Doch die markante Melodieführung sowie die eher ruhigen, nebulösen Gesänge, sowohl von Richard als auch von Marilyne, vermitteln eine Unerschütterlichkeit in ihrem Tun. Das macht das zweite Album zu einem absoluten Hörtipp.

Obgleich es manchem nicht so vorkommen mag, geht diese "Weiber-Electro"-Bewegung schon mehrere Dekaden lang. In den späten 1990ern war es das unangreifbare Triumvirat aus Apoptygma Berzerk, VNV Nation und Covenant, die den Genre-Olymp unter sich aufteilten. Doch in ihren Schatten hat sich ein weiteres Projekt formiert, dessen Mitglieder hier ihren Grundstein für eine nicht minder erfolgreiche Karriere legten: Icon Of Coil. Als Soloprojekt von einem gewissen Andy LaPlegua (alias Combichrist) ins Leben gerufen, gesellten sich kurze Zeit später Sebastian Komor und Christian Lund dazu. Mit "Serenity Is The Devil" brachten sie pünktlich zum Millennium ein Album heraus, das trancig-technoide Sounds mit pumpenden EBM-Rhythmen verquickte und von Andys schon damals markantem Gesang durchwirkt war. Die Nachfolger "The Soul Is In The Software" (2002) und "Machines Are Us" (2004) verfeinerten den Sound, deklinierten jedoch die damals bahnbrechenden und freigeistigen Ideen des Erstlings nur noch durch. Trotz guter Positionen in den Deutschen Alternative Charts waren Icon Of Coil immer einen Beinahe-Band, denen der ganz große Ruhm verwehrt blieb, weil zu diesem Zeitpunkt eben andere Acts das Zepter in der Hand hielten. Doch im Gegensatz zu den Kollegen ist Andy und Konsorten mit "Serenity Is The Devil" ein zukunftsweisendes Album gelungen, das bis heute Musiker beeinflusst. Eine Band wie Rotersand  würde beispielsweise nicht so klingen, hätte es Icon Of Coil zuvor nicht gegeben. Es hat diese zeitliche Distanz gebraucht, um zu erkennen, wie zeitlos das Album wirklich ist. Die blubbernde Ruhe von "Down On Me", der hauchzarte Goa-Einschlag bei "Former Self", die Big Beats bei "Fiction": Icon Of Coil waren ihrer Zeit voraus. Ein Glücksfall, dass Metropolis Records zum 25. Geburtstag diese Scheibe erneut herausbringt - für die jungen als Anschauungsunterricht und für die Betagteren, die sich beim Hören der Sounds noch mal wie 20 fühlen können.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 04.11.25 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS "EMMI AID">

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