SIVERT HØYEM: "LIVE AT ACROPOLIS": DRAMENERZÄHLER IM LAND DER TRAGÖDIE
Griechenland und Sivert Høyem - das ist eine nord-südeuropäische Liebe, die sich über Jahre hinweg entwickelt hat. Man werfe einfach nur einen Blick in ein bekanntes Videoportal und lese sich die Kommentare unter den unzähligen Musikclips von Madrugada, dem Høyem als Frontmann einst vorstand, durch. Nicht selten findet man da Einträge in griechischer Schrift. Die Begeisterung der Hellenen kommt allerdings nicht von ungefähr. Seit Anbeginn seiner Karriere führte es den schlaksigen Norweger mit schöner Regelmäßigkeit in die Wiege Europas. Stete Präsenz prägt eben.
Nur so war es überhaupt mögich, das Herod Atticus Odeon in Athen gleich an zwei Abenden bis zum letzten Sitzplatz zu füllen. Für den Sänger geht damit ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Seit mehr als 16 Jahren war es sein expliziter Wunsch, hier aufzutreten. Dementsprechend glücklich und dankbar zeigt sich der Norweger gegenüber den Zuschauern. Dass dieses Ereignis auf CD, Platte und DVD festgehalten werden musste, versteht sich fast von selbst.
An diesem Abend durfte es natürlich schon ein bisschen mehr sein. Immerhin spielt man vor der geschichtsträchtigen Kulisse eines 2000 Jahre alten Amphitheaters. So fährt der Mann, der nicht gerade als Rampensau verschrien ist, zu seiner Band noch ein klassischen Streichquartett auf, das seinen oftmals düsteren Stücken eine weitere, dramatischere Dimenson verleiht.
Vielleicht ist es gerade der kraft- wie gefühlvolle, gleichzeitig aber auch schmerzerfüllt klingende Bariton, den die Griechen an Høyem in Verbindung mit seiner abgrundtiefen Lyrik so lieben. Denn wo, wenn nicht im Ursprungsland der Tragödie, achtet man besonders auf die Emotion? "Phobos" und "Eleos" - "Jammern" und Schaudern": diese zwei zentralen Begriffe der griechischen Theaters lassen sich auch auf die kleinen Dramen Høyems anwenden, die er live mit einer fast noch stärkeren Präsenz als auf seinen Alben vorträgt.
Wenn zum Beispiel in "Görlitzer Park" die Bühne in weinrotes Licht getaucht wird und Sivert seine quälenden, vom Blues beeinflussten Texte unter einem immer wiederkehrenden Riff vorträgt, wartet man eigentlich nur noch darauf, dass ein griechischer Chor die Bühne betritt. Dieser kommt zwar nicht, dafür begleitet die stimmgewaltige, aber leider immer noch viel zu unbekannte Marie Munroe ihn bei "My Thieving Heart", einer herrlich wehmütigen Ballade aus Høyems letzten Werk "Lioness". Was sich in diesem Moment abspielt, lässt sich mit dem Wort "Magie" nur vage umschreiben. Das Publikum jedenfalls quittierte dieses grandiose Duett mit viel Applaus.
Sicherlich hätte Robert Burås diese Atmosphäre auch gefallen. Der Madrugada-Gitarrist, der vor zehn Jahren plötzlich und aus nicht ganz geklärten Gründen verstarb, wüsste die akustische Besonderheit dieses Odeons zu genießen und für seine Zwecke zu nutzen. Manchmal fehlt sein virtuoses Spiel, besonders wenn Sivert alte Madrugada-Nummern anstimmt. "Majesty" ist so ein Beispiel. So wunderbar flirrend diese Liver-Version auch sein mag, kommt sie nicht an die kraftvollen Varianten heran, die durch Roberts scheinbar müheloses Solo am Ende einen regelmäßig daran erinnerten, wie wenig es an schmückendem Beiwerk braucht, um eine gute Show abzuliefern. Burås war ein Mensch, der mit seinem Instrument vor den Augen des Publikums verschmolz. Das allein genügte.
Damit soll nun nicht das Engagement vom aktuellen Gitarristen Cato Salsa geschmälert werden. Ohnehin wäre es nicht fair, ihn mit dem Mann zu vergleichen, der zu seinen Lebzeiten als bester Gitarrist Norwegens gehandelt wurde. Immerhin besitzt Cato ebenfalls eine gewisse Lässigkeit im Spiel, die den Stücken besonders gut zu Gesicht steht. Allein das Gefühl von Wehmut nach vergangenen Heldentaten kann Cato nicht überspielen.
Um die Besonderheit dieses Abends noch einmal hervorzuheben, beginnt die DVD mit einem kleinen aber feinen Intro, das Høyem in kurzen Schnitten vor dem Auftritt Backstage zeigt. Konzentriert, aber auch unglaublich glücklich wirkt er, der Mann mit der sonst so melancholischen Grundstimmung. Die bedachten Kamerafahrten und geschickten Schnitte vermitteln denjenigen, die an diesem Abend nicht dabei waren, sehr intensiv die außergewöhnliche Dimension dieses Konzertes, das jetzt schon zu den Highlights in der Karriere des Norwegers gezählt werden kann. Schade nur, dass man sich bei der DVD nicht für eine Surround-Abmischung der Tonspur entschieden hat, die sich gerade bei einem Auftritt vor solch einer Kulisse angeboten hätte. Es wäre das Sahnehäubchen gewesen für einen Auftritt, der am Ende mit minutenlangen Ovationen zu Recht gewürdigt wurde.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 11.08.17 | KONTAKT | WEITER: INTERVIEW MIT AXEL MESSINGER>
Webseite:
www.siverthoyem.com
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