NICK CAVE "WILD GOD": DAS LEBEN IST DOCH SCHÖN
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Es gibt nur einen einzigen Kritkpunkt. Und das ist das Artwork, welches eigentlich gar nicht zu den sonst so stimmungsvollen Plattenbildern von Nick Cave und seinen Bad Seeds passt. Dieses Mal steht einfach nur der Titel da, weiße Schrift auf weißem Hintergrund, nur aufgrund der Relieftechnik lesbar. Demos irgendwelcher Hinterhof-Combos haben ausgefallenere Designs zu bieten.
Und doch liegt in der purristischen Aufmachung eine tiefere Wahrheit, die sich auf der Platte zu erkennen gibt. So viel Helligkeit hat man von dem stets in dunklen Farben gekleideten Australier nicht erwartet, und auch in seinen Songs scheint sich der Musiker zu sich und uns zu sagen: "Das Leben ist doch schön". Eine Erkenntnis, die er nach einer Reihe von Schicksalsschlägen sich erst einmal mühsam erarbeiten musste.
Der Tod seiner beiden Söhne Arthur 2015 und Jethro sieben Jahre später haben Nick viel Kraft gekostet. "Skeleton Tree" und vor allem "Ghosteen" hat man diese Erschöpfung angehört. Angst, dass er daran zerbrechen würde, bestand aber nicht, denn Cave ist ein Sinnsuchender. Das war schon immer so. Als wuscheliger Punk bei The Birthday Party (was wohl dazu geführt hat, ihn faälschlicherweise als "Gruftie" abzustempeln), während seiner drogeninduzierten Zeit in den 80ern und 90ern als Anführer der Bad Seeds und in den vielen musikalischen wie literarischen Projekten, die er im neuen Jahrtausden realisierte. Er würde durch die Kunst Kraft finden. Und siehe da: Er fand sie.
Die Beschäftigung mit Religion und Glaube war stets die Triebfeder des hageren Musikers; so direkt und unmittelbar mit ihr auseinandergesetzt hat er sich aber erst auf "Wild God". Allein der Titelsong ist eine moderne Theodizee. Bei Cave ist Gott aber ein schwacher alter Mann, der nach jemanden sucht, der noch an ihn glaubt. Der leicht schäbige, aber nicht weniger opulente Gospelchor im Finale der Nummer wirkt wie die Antwort Caves: Er glaubt an ihn und will, dass er Wunder bewirkt.
Bereits mit dem unverschämt eingängigen "Song Of The Lake" macht der Musiker unmissverständlich klar, dass die Zeit des inneren Exils vorbei ist. Endlich hört man wieder ein Bad-Seeds-Album, bei dem alle Musiker die Kompositionen von Cave und seinem "partner in crime" Warren Ellis einspielen. Vor allem die jubilierenden Momente sind dieses Mal besonders zahlreich. Dabei erleben die Songs mehrere Häutungen. "Final Rescue Attempt" und "Conversion" beginnen mit dezent elektronischen Klängen und einem intensiv singenden Cave. Doch jede düstere Note wendet sich sodann zum Licht, wenn der Gospelchor ein weiteres Mal einsetzt und die Gravitas in majestätische Erhabenheit sich wandelt.
"Wild God" ist ein laut ausgerufenes "Ja!" zum Leben und die Erkenntnis, dass selbst in den dunkelsten Stunden ein Funken Licht innewohnt, der sich früher oder später Bahn brechen wird. Gedanken an diejenigen, die Cave auf seinem Weg verloren hat, werden liebevoll in seinen Klangkosmos eingebettet. "O Wow O Wow (How Wonderful She Is)" ist eine Hommage an seine Ex-Freundin und Bad-Seeds-Mitglied Anita Lane, die 2021 verstarb. Die Trauer über den Verlust ist zu hören, aber auch die Freude, dieser Frau begegnet zu sein. Unter Autotune-Effekten und entspannten Klängen hören wir sie auf einer Telefonaufnahme, wie sie launisch über die Zeit erzählt, als sie gemeinsam "From Her To Eternity" gemacht haben. Schöner kann eine Ehrung nicht sein.
In seiner fast 50-jährigen Karriere gelang dem Mann mehrere Meilensteine, und selbst die schwächeren Alben sind immer noch auf einem Niveau, das manch anderer Künstler wünschte, erreichen zu können. Die feierliche Attitüde ist es aber, die "Wild God" zu einem Meisterwerk avancieren lässt. So losgelöst, lebensbejahend und gleichzeitig gedankenschwer hat man Nick Cave noch nie erlebt.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 13.09.24 | KONTAKT | WEITER: FIR CONE CHILDREN VS. SWIM DEEP VS. PANGLOSSIAN>
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