FINAL SELECTION: AUF ZU NEUEN UFERN
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Sie klingen so, als waren sie nie wirklich weg. "Siren's Call" erfüllt und übertrifft die Erwartungen an ein neues Output der Electro-Pop-Band Final Selection aus dem sächsischen Plauen. Die breiten, atmosphärischen Flächen, sanft sprudelnde Synthielinien und die liebevoll in die Musik eingebettete Stimme von Riccardo Schult-Nowotny, deren klare Sanftmut an Camouflage-Frontmann Marcus Meyn erinnert: Final Selection gehören zu den bemerkenswertesten Gruppen im Synth-Pop. Und vielleicht auch zu den glücklosesten.
Denn das Schicksal meinte es nicht besonders gut mit der Band, die bereits 1993 ins Leben gerufen wurde. Riccardo und sein Kompagnon Mario Tews ließen sich ganze zehn Jahre Zeit, bis sie ihren ersten Longplayer "Antihero" auf den Markt brachten. Davor suchte das Zweiergespann noch nach ihrem Sound, der sie unverwechselbar machen soll. Einige erste positive Resonanzen gab es auch schon, allen voran der Sieg beim von der Szenezeitschrift Sonic Seducer initiierten Wettbewerb "Battle Of The Bands". Mit Black Flames aus Polen fanden sie einen vermeintlich guten Vertriebspartner.
Zunächst passte auch alles. "Antihero" brachte Final Selection auf die musikalische Landkarte. Das Debüt besaß bereits den typischen Klang, der sich nur ein Jahr später mit dem Meisterwerk "Meridian", das auch optisch eine neue Dimension eröffnete, verfeinern sollte. Sogar eine aufwändig gestaltete Box wurde angedacht. Dann musste Black Flames wegen Insolvenz die Tore schließen, und Final Selection war erst einmal vertragslos. Dennoch verbindet Riccardo auch positive Momente mit Black Flames: "Immerhin hat uns unsere Musik an einige Orte der Welt gebracht. Dass man uns zum Beispiel in Südamerika hört, ist schon ein Verdienst unseres ersten Labels gewesen. Das hat uns ein unvergessliches Konzerterlebnis in Sao Paulo in Brasilien eingebracht. Und jede Menge Freunde dort. Nach England wären wir so auch nicht gekommen, oder aufs Castle Party nach Polen. Oder nach Belgien aufs damalige Eurorock."
Richtig sauer allerdings stößt ihm die Zusammenarbeit mit Flash Pop Media auf, das 2008 ihr drittes Album "Clockworks" auf den Markt gebracht hat. "Das war richtig scheiße! Nach der Veröffentlichung, die wohl nur wenige Leute mitbekommen haben, war der Mensch, der das Label inne hatte, weg. Kein Kontakt. Nix." Wieder einmal blieb das Projekt im Regen stehen. Diejenigen, die "Clockworks" ergattern konnten, erlebten indes einmal mehr eine Gruppe, die einen klanglichen Masterplan besitzt und diesen mit jedem Album zwar wiedererkennend, aber doch variierend präsentiert. Dumm nur, wenn keiner davon Notiz nimmt.
Aufhören war aber nie eine Option für den Sänger: "Ich hatte vor geraumer Zeit mal darüber nachgedacht, den Namen der Band zu ändern, da Final Selection zu der Zeit tatsächlich ein wenig anders aufgestellt war. Aber Falk, unser Drummer, riet davon ab und sollte Recht behalten. Ich kann es mir auch nicht vorstellen, mit Final Selection irgendwann abzuschließen. Die Band, die Musik, unser Studio, das alles ist Teil meines oder unseres Lebens." Allerdings mussten 15 Jahre verstreichen, ehe "Siren's Call" endlich veröffentlicht wurde.
Nach "Clockworks" begann die Zeit des großen Umbruchs. 2011 stieß Live-Drummer Falk Schilling dazu, 2015 verließ Mario Tews zeitweilig die Band. Songs wurden nur langsam realisiert, einige Experimente wie die Neuaufnahmen bereits existierender Lieder mit weiblichen Gastsängern verliefen im Sand. Doch Final Selection gewannen an Stärke, vor allem personell. Es stießen zwei weitere Musiker dazu: Juri Köcher und Patrick Dorn. "Ich bin ganz klassisch über eine Annonce auf Final Selection gestoßen, das war am 15. November 2017" erinnert sich Patrick. "Riccardo suchte jemanden mit musikalisch ähnlichen Ideen, aber auch jemanden an den Tasten. Da ich schon musiziere seit ich denken kann und vor allem Keyboard spiele, war das für mich die passende Gelegenheit. Auch weil der Musikgeschmack von Anfang an gepasst hat."
Bei Juri dauerte der Vorlauf etwas länger. 2019 hat er Final Selection live gesehen und war sofort von ihrem Synthie-Sound begeistert. Schon da habe er die Idee gehabt, dort mal anzufragen. "Dann kam Corona. Keine Kontakte, keine Konzerte, komplette Isolierung, das war schrecklich. In dieser Zeit ging mir Final Selection nicht aus dem Kopf. So habe ich Mitte 2021 all meinen Mut zusammengenommen und die Band angeschrieben. Ich habe ehrlich gesagt mit nichts gerechnet. Fragen kostet nichts, mehr wie eine Absage kann ich ja nicht bekommen. Was folgte war eine Einladung zu einem Treffen, ich war aufgeregt wie ein kleines Kind. Gut das ich den Mut hatte." Zu diesem Zeitpunkt waren die Arbeiten an "Siren's Call" bereits in der Endphase, weswegen Mario dem späten Neuzugang etwas skeptisch gegenüberstand. "Vorstellen konnte ich mir das Anfangs nicht. Wie sollte das gehen? Das Album war nun doch schon recht weit fortgeschritten. Wir hatten unsere gewohnte Arbeitsweise und ich wüsste nicht, wie sich da jemand noch einbringen soll. Aber ich war auch neugierig. Juri kam dann bei uns im Studio vorbei und wir quatschen. Wellenlänge hat erst mal gepasst. Schnell zeigte sich, das Juri wichtig für das Album war. Klar, wir waren bereits beim Feinschliff, aber Juri hatte da richtig gute Ideen eingebracht. Ich glaube, wir wären da auf manche Dinge so nicht gekommen."
Mit den neuen Männern an Bord müssen Arbeitsprozesse umstrukturiert werden, was laut Riccardo nicht immer einfach ist. "Bei fünf Leuten hast du eine ganze Menge Ideen. Die gilt es dann zu zerpflücken, auf das Wesentliche zu reduzieren, umzubauen, Sounds zu verändern oder zu schaffen, um manchmal dann alles wegzuschmeißen. Falk und ich sind die Einzigen, die in der selben Stadt wohnen. Alle anderen leben zwischen 50 und 150 Kilometer entfernt. Beim finalen Abmischen der Songs war ich mehr oder weniger alleine im Studio und habe die Ergebnisse online auf unseren Bandserver gestellt. Die anderen haben ihre Mixcritics abgegeben. Ich kann dir sagen, das war nicht immer leicht. Der eine möchte gern den Bass eine Nuance leiser, der andere möchte den gleichen Sound etwas lauter... und wenn ich dachte, jetzt ist der Song fertig, kam der nächste mit einer neuen Idee um die Ecke." Das Ringen um die einzelnen Lieder hat sich aber ausgezahlt: "Siren's Call" besitzt im Vergleich zu den Vorgängern noch mehr Tiefe und zusätzliche Facetten, was sicherlich auch durch die Mitarbeit der Novizen liegt.
Zu guter Letzt sollte auch das ewig leidige Thema Plattenlabel zu den Akten gelegt werden. Infacted Recordings, von jeher in Sachen elektronischer Klangerzeugung kompetent aufgestellt, hat sich den ehemals Glücklosen angenommen. "Ich habe exakt zwei Leute kontaktiert", erklärt Riccardo. "Einer davon war Torben Schmidt. Ich kannte sein Wirken schon, da gab´s noch Zoth Ommog oder später Bloodline [zwei Labels, die Torben Schmidt ebenfalls betreute, Anm. d. Verf.]. Ich hab ihm einfach einen Link zu zwei oder drei Songs geschickt. Ich glaube, er kannte uns auch noch irgendwie von früher. Auf jeden Fall war er sofort interessiert an mehr und wir einigten uns relativ schnell auf 'Alles kann, nichts muss.'“
Auch wenn Final Selection also die ganzen Jahre über existierte - nur von den meisten unbeobachtet - besitzt das neue Album eine regelrechte Aufbruchstimmung. "I chose my way of never turning back again..." steht es am Ende des Booklets über wilder See mit an Felsen peitschenden Wellen. "Auf zu neuen Ufern. Zu neuen Abenteuern und Geschichten", beschreibt es Riccardo. "Wobei ich festhalten will, dass Siren´s Call kein Konzeptalbum ist oder in irgendeiner Form thematisch in sich schlüssig. Jeder Song ist eine kleine Geschichte für sich, mal mehr, mal weniger tiefgründig." Zu Beginn des CD-Heftches zeigt sich der Frontmann dennoch extrem philosophisch, wenn er versucht, das Konstrukt Zeit zu beschreiben - Gedanken eines Mannes, der sich selbst auch kritisch betrachtet. "Mit 20 willst du Türen einrennen, manche Dinge erscheinen dir als nicht genug und ich gebe zu: Mir hat früher auch so ein wenig die Demut gefehlt. Man hält sich selbst, seine Ideen und Projekte für das Wichtigste auf der Welt und überfordert damit leicht andere Menschen, ohne es zu merken. Viele Dinge nimmt man als gegeben und selbstverständlich an, ohne die eigentlich notwendige Wertschätzung.... oh Gott, das liest sich beinahe so, als wäre ich als junger Mensch ein Arschloch gewesen. Ganz so schlimm war es sicher nicht. Aber einige Dinge würde ich heute mit fünfzig ganz sicher anders machen." Final Selection gegründet zu haben, dürfte davon ausgeschlossen sein. Das würde er sicher immer wieder machen, egal wie groß die Hürden auch waren.
|TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 28.04.23 | KONTAKT | WEITER: EXLIBRIS: AMANDA PETRUSICH "UM KEINEN PREIS VERKAUFEN">
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