STEINE "WAS IST GUT?" VS. DOC SCHOKO "SKULPTUREN FÜR DIE FLASCHENPOST": DER (UN)SINN DES LEBENS
Vorweg schon mal: Peter ist ein toller Freund. Der weiß einfach alles und hilft dir aus der größten Not. Einfach nur anrufen. Immerhin weiß er, was zu tun ist, wenn an Deinen Händen noch "schön ein Stückchen Brot" klebt. So jedenfalls kolpotiert es die Band Steine auf ihrem neuesten Album "Was ist gut?".
Ihre gestellte Frage ist schnell beantwortet: Alles ist gut. Jedenfalls auf diesem Werk, das sich die beiden Alltagsdadaisten Harald Wissler und Mario Schulte aus den Gehirnwindungen herausgedrückt haben. Denn in ihren Theater-Pop-Miniaturen werden wunderliche Dinge konkretisiert und ihre Schönheit mit schroffem Nonsense im Stile eines Helge Schneider konterkariert.
Aber unter dieser Oberfläche aus scheinbar ungelenken Nummern im Lo-Fi-Sound und inklusive daneben gesungener Noten der beiden Steine-Musikanten verbirgt sich ein ausufernder See an Melancholie. Dieser blitzt beispielsweis in "Was du willst" deutlich hervor. Unter treibendem Schlagwerk, der in Verbindung mit rollenden Bässen und Geigenparts fast schon discoid daherkommt, entsteht so etwas wie Konsumkritik, die sich aber nur denjenigen zu erkennen gibt, die genau hinhören.
Und manchmal erreichen uns die Botschaften in nur einer Minuten und mit voller Wucht. Wie in "Keine Floskel", deren Direktheit beunruhigt: "Weil du reich bist, ist jemand arm. Das ist keine Floskel, das ist so. Mit jedem Cent, den du zuviel hast, stirbt ein Kind. Das ist keine Floskel, das ist so." Unter der teilweise ungelenken Dilletanten-Mucke, die es sich irgendwo zwischen Foyer des Arts und Der Plan gemütlich gemacht hat, tauchen sie dann auf: die knallharten Analysen unserer Gesellschaft, die an Egoismus, Kapitalismus und Optimierungswahn scheinbar jegliche humane Züge verloren hat.
"Was ist gut?" fragen sie bei "Hey Peter" selbigen. Und man ist geneigt zu glauben, dass Peter auch nur eine andere Bezeichnung für eine höheres Wesen ist, einem Gott nicht unähnlich, und den wir aus unerer höchsten Not anrufen. Kleiner Funfact am Rande, ehe es zu esoterisch wird: Der Typ auf dem Cover des Albums heißt Peter Trabner. Eine weitere gelungene Finte in der Stein'schen Performanz.
Wenn es darum geht, die Realität nur um eine kleine Ecke zu verdrehen, um daraus etwas Phantastisches, Erstaunliches oder auch Trauriges entstehen zu lassen, ist Doc Schoko nicht weit. Der Mann zählt nun schon seit 20 Jahren zu den deutschsprachigen Paradiesvögeln. Sein oftmals knarziger, crooniger Bariton lässt ihn in die Nähe von Serge Gainsbourg oder Baxter Dury rücken, wobei er seine Low-Fidelity-Attitüde gerade erst für sich entdeckt hat.
Für "Skulpturen für die Flaschenpost" hat der Doc nämlich quasi alles selbst gemacht. Unterstützung erhielt er dann und wann von Christine Keller und Uwe Jahnke. Letztgenannter hat in "Berlin könnt ihr haben" instrumentalisch nachgeholfen. Und genau hier wird Doc Schokos eigentlicher Sound - ein herrlich röhrenverliebter Garagenbeat - wieder hörbar.
Doch das Gros der Platte suhlt sich in klapprigen Synthesizermelodien, die von des Meisters geliebter Telecaster begleitet wird. Doc Schokos quasi Alleingang ist natürlich der Pandemie geschuldet und "alles andere als ein Ego-Trip" wie er auf seiner Internetseite versichert. Immerhin hat die Situation dazu geführt, dass er einige "verheimlichte 'alte Favoriten'" endlich auf Platte pressen konnte.
Die etwas runtergebrochene, pandemische Variante von Doc Schoko hat von seiner lyrischen Intensität nichts verloren. Mehr noch: Durch das neue musikalische Gewand erhalten die Songs eine großartige Tiefe. Der Tropicana-Sound klingt so abgebrochen, dass man direkt das Bild einer abgehalfterten Diskothek mit jeder Menge Plastikpalmen und vor sich sieht, in der sich Menschen bewegen, die ihr Leben anscheinend schon hinter sich haben.
"Skulpturen für die Flaschenpost " ist aber bei Weitem nicht ganz so trist, wie es zunächste den Anschein hat. Schließlich fordert er gleich zu Beginn: "Luft in die Gruft!" und reißt das Fenster zu den kleinen alltäglichen Absurditäten weit auf. Manchmal lassen die Songs einen ratlos zurück ("Bin ich nicht da"), manchmal scheinen sie eine Liebesgeschichte für einen parat zu halten ("Papierkram") und manchmal wirken sie sogar aufrührerisch ("Impuls").
Vor allem aber gelingt Doc Schoko - wie auch Steine - das Kunststück, mit einer ordentlichen Portion Unsinn in die deutsche Sprache zu transportieren und sich damit vom bräsigen Deutsch-Pop zu distanzieren. Auf beiden Platten darf nicht nur mitgehört, sondern auch mitgedacht werden. Schließlich verbergen sich in den Texten dieser mit Talent verschwenderische ausgestatteten Sprachakrobaten einige (un)angenehme Wahrheiten.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 19.10.21 | KONTAKT | WEITER: VITALIC "DISSIDÆNCE - EPISODE 1">
Website
www.steine.band
www.docschoko.de
COVER © CROCODILE TEARS RECORDS/BROKEN SILENCE
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