MICK HARVEY & AMANDA ACEVEDO "GOLDEN MIRRORS (THE UNCOVERED SESSIONS VOL. 1)" VS. MICHAEL LANE "HEAVEN IS A PLACE ON EARTH": FRANKS ERBEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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MICK HARVEY & AMANDA ACEVEDO "GOLDEN MIRRORS (THE UNCOVERED SESSIONS VOL. 1)" VS. MICHAEL LANE "HEAVEN IS A PLACE ON EARTH": FRANKS ERBEN

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Manche Musiker haben es nie geschafft, in diesem seltsamen Business zu überleben, sind aber dennoch zu einer einflussreichen Inspirationsquelle avanciert. In der prosperierenden Folk-Szene der 1960er Jahre tauchte beispielsweise Jackson C. Frank kurzzeitig auf. Der Mann flog Zeit seines Lebens unter dem Radar, wobei seine Vita für drei Leben gereicht hätte: Mit 11 Jahren überlebte er schwer verletzt eine Explosion eines Ofens in seiner Schule. Zehn Jahre später erhielt er eine Entschädigung von 100.000 Dollar für das Unglück. Das Geld nutzte er, um nach England zu reisen und in die Folk-Szene einzutauchen.

1965 erschien sein erstes und letztes Album, schlicht "Jackson C. Frank" betitelt. Danach ging es mit dem Mann stetig bergab. Der von Depressionen heimgesuchte Künstler musste nach dem frühen Mukoviszidose-Tod seines Sohnes in eine geschlossene Anstalt. In den 1980er ging er nach New York, um Paul Simon, der damals sein Album produzierte, zu finden und geriet dabei in die Obdachlosigkeit. In den 1990ern wurde er mit einem Luftgewehr am linken Auge getroffen, auf dem er erblindete. Zurück in Woodstock, begann er, erneut Musik zu schreiben, starb aber 1999 mit 56 Jahren an einer Lungenentzündung.

Zu Franks Bewunderern zählte nicht nur bereits genannter Paul Simon, sondern auch Mark Lanegan und die Counting Crows, die seine angedunkelten Texte bewunderten. Auch Amanda Acevedo und Mick Harvey sind offensichtlich heiße Verehrer des fast schon vergessenen Musikers, der aber im Begriff ist, von einer neuen Generation wiederentdeckt zu werden. Harvey und Acevedo jedenfalls haben sich dem schmalen musikalischen Oeuvre nicht übertrieben ehrfürchtig gewidmet, sondern den Versuch gewagt, Franks spärliche Folknummern in einen schmachtenden Dunkelrock mit cineastischen Pathos umzufruchten.

Dass das funktionieren würde, war schon zu erwarten. Schließlich wirken Amanda und Mick seit ihrem Debütalbum "Phantasmagoria In Blue" von 2023 so vertraut, als hätten sie schon seit Anbeginn ihrer Karrieren gemeinsam musiziert. Dort wurde bereits mit "Milk And Honey" ein Frank-Song nicht uncharmant neu interpretiert.

So ist "Golden Mirrors" das erwartbare schmachtende Werk geworden, das den zurückhaltenden Songs jede Menge violetten Glitter draufstreut und sie dadurch einer neuen, melancholiaffinen Hörerschaft öffnet. Wer sich von Songs wie "My Name Is Carnival", "I Want To Be Alone (Dialogue)", "Blues Run The Game" oder "Cover Me With Roses" abgeholt fühlt, sollte daher interessehalber das Original hören. Denn selbst die Urversionen sind voll von weltschmerzlichen Momenten, die weit weg von den damals so lebensfrohen Hippies schienen.

Ob Michael Lane Jackson C. Frank ist, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Es würde allerdings passen, denn der Deutsch-Amerikaner kehrt mit seinen aufs Wesentliche reduzierten Folk-Songs zu ihrem Kern zurück und gibt den Botschaften in den Stücken viel Raum. Wer allerdings einigermaßen mit der Popmusik der 80er Jahre vertraut ist, wird beim Titel "Heaven Is A Place On Earth" ohne Umwege an Belinda Carlisle denken. Ihr jubilierender Schlager war exemplarisch für den glattgebügelten Sound am Ende dieser Dekade. Doch von diesen Momenten ist Michael Lanes "Heaven Is A Place On Earth" meilenweit entfernt.

Denn bei der amerikanischen Pop-Chanteuse ging es (wie so oft) um die Schmetterlinge im Bauch beim Treffen mit dem Auserwählten. Bei Michael ist der "Himmel auf Erden" ein anderer, naturverbundener Ort. Es geht um das bewusste Entschleunigen, um die Ruhe in hektischen Zeiten. "Heaven is a place on earth under the redwood tree" lautet sein Fazit. Die Natur als Rückzugsgebiet zieht sich wie ein roter Faden durch die sechs Songs umfassende EP. In "Live Free" wird er deutlich: "Sometimes I need a break from everything, just a towel and a lake and go for a swim." Das größte Glück besteht nicht in den materiellen Dingen, nicht in den Followern und Likes, nicht im Ruhm und der monetären Sicherheit. Es ist viel rudimentärer und unaufgeregter.

Die weisen und wahrhaftigen Texte trägt Michael mit einer weichen, hellen Stimme vor, während Akustikgitarren und dezentes Schlagzeug einen sonnig-verträumten Folk-Sound kreieren, der wie eine liebevolle Umarmung wirkt. Doch der Musiker weiß auch, das Glück nicht ohne das Unglück als ständigen Gegenspieler existieren kann. So fragt er schon zu Beginn von "Don't Hold Back", was passiert, wenn wir sterben, und bringt bei "Run Away" eine rührende Szene einer vermeintlich in die Brüche gegangenen Beziehung. Bei aller dunklen Materie, die durch die Wörter wabert, kippen die Stücke nie in eine erschlagende Melancholie um. Dafür sorgen eben die sanften Sounds des Deutsch-Amerikaners, die alles Grüblerische in den Strophen butterweich auffängt.

Dass Michael Lane auch mal bei der Castingshow "The Voice Of Germany" teilnahm und recht weit nach oben geraten ist, werden die meisten sicherlich vergessen haben. Hört man sich "Heaven Is A Place On Earth" an, bekommt man den Eindruck, dass der Mann mit diesem ganzen Musikzirkus sowieso nichts mehr zu tun haben will.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 04.06.24 | KONTAKT | WEITER: CATAPHILES VS. FAKE PLASTIC>

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