TAMPLE "SUMMER LIGHT" VS. ORPH "THE PYRAMID TEARS OF SIMBA" VS. CLUB 8 "GOLDEN ISLAND": ZWISCHEN MELANCHOLIE UND EUPHORIE
Vordergründig könnten die folgenden Gruppen für urbane Hipster und sophistische Universitätskasper eine gelungene Untermalung ihres superlässigen Lebensstils sein. Doch hinter diesen drei - der Einfachheit halber so genannten - Indiebands steckt viel mehr.
Tample beispielsweise dürften bei einigen schon durch ihre Herkunft stigmatisiert sein. Das aus dem wunderschönen Weinanbaugebiet Bordeaux stammede Quartett wird allein aufgrund dieser Tatsache mit Vergleichen mit Daft Punk oder anderen French-Pop- und -House-Heroen zu kämpfen haben. Dabei stehen sie mit ihrer knarzigen Elektronik, die sie exemplarisch bei der smoothen Kopfnicker-Nummer "Power" mit angezerrten Gitarren-Sounds anreichern, eher in der Ahnenreihe mit WhoMadeWho oder Northern Lite.
Wie das Albumcover, das ein leicht gekräuseltes Meer abbildet, wirkt die mit gerade mal 31 Minuten eher schnell verdaute Platte geradezu anschmeigsam glatt. Doch wo unter der Oberfläche der See unerwartete Strömungen herrschen, gräbt sich auch "Summer Light" langsam aber sicher mit einer vehementen Unaufdringlichkeit in die Gehörgänge der Menschen. Es brodelt und vibriert, der Sog unter den Tample-Tönen nimmt Fahrt auf.
Schuld daran sind wie bei "Chimera" die leicht verträumten, angedunkelten Saiteninstrumenten, während der Titelsong pluckernde Beats und eine nachgerade unverschämte Gitarren-Melodie sein Eigen nennen darf, unterbrochen von nicht minder einprägsamen Synthie-Arpeggios. Ebenso findet sich bei "One Night Stand" die perfekte Balance aus spacigen Disco-Sounds mit gegenläufigem Bass und funkiger E-Gitarre.
Komplettiert durch Samuel Rosas' weichem Organ, das in den Höhen perfekt justiert ist, offeriert Tample den Hörern, zwischen Stroboskop und Sofa zu wählen. Denn "Summer Light" funktioniert sowohl im Club als auch in den eigenen vier Wänden. An beiden Orten nimmt das Album den ihm gebührenden Raum ein, erfüllt ihn mit warmen Strahlen, um gleichzeitig aber auch eine unerklärliche Sehnsucht aufkommen zu lassen. Vielleicht nach dem Festhalten de unbeschwert anmutenden, jedoch sehr flüchtigen Adoleszenz, die bei Tample stets Teil ihrer Musik zu sein scheint.
Doch wo, wenn nicht in Deutschland, darf Weltschmerz folgenlos residieren, ja, wird sogar mit offenen Armen empfangen? Dieser Begriff ist tatsächlich derart "deutsch", dass sogar die Engländer keine Entsprechung dafür gefunden und ihn einfach eins zu eins in ihren Wortschatz übernommen haben. Dass nun Orph aus Leipzig stammen, also der Hauptstadt der globalen Weltschmerzler (eingedenk des jährlichen stattfindenden Wave-Gotik-Treffens), mag da aber nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Ihr kunstvoll arrangierter, hypermelodiöser Pop ist nämlich auf den ersten Blick meilenweit von dem entfernt, was gemeinhin als Gothic-Mucke durchgewunken wird. Eine kleine Übereinstimmung mag es dann aber doch geben. Immerhin herrscht in dieser Szene weitverbreitete 80er-Nostalgie, die sich bisweilen am überaus großen Erfolg diverser Synthie-Pop-Gruppen messen lässt. Und es passiert nicht selten, dass aus Gruftie-Clubs auch mal der eine oder andere New-Romantic-Song ertönt.
Genau hier dürfte "The Pyramid Tears Of Simba" den Nerv vor allem älterer Schwarzkittel-Semester treffen. Schließlich lebt der aufgeplusterte Dream-Pop von dem unbedingten Drang nach einnehmender Melodik, wie es beispielsweise Alphaville auf ihrem zweiten Album "Afternoons In Utopia" von vor 32 Jahren prototypisch vorgemacht haben. Ohnehin beschleicht einen immer das Gefühl, deren Frontmann Marian Gold hätte gerade in solch schwelgerischen Nummern wie "The Empire" und "Buildings Are On Fire" im Hintergrund perfekt mitsingen können.
Aber Marco De Haunt, Steffi Narr, Krishan Zeigner, Martin Bosch und Hendrik Winter benötigen diese prominente Unterstützung eigentlich gar nicht. Schließlich wissen sie verdammt gut, was sie machen. Ihre vor unzähligen Ideen überbordenden Nummern haben sie als Science-Fiction-Pop zusammengefasst. Der latent vorherrschende Surrealismus ihres konzeptuell gestaltetes zweiten Longplayers wird durch das Cover perfekt visualisiert. "Josephine And The Conversation With An Astronaut", "The Mosaic, The Whale And Its Hunter" - bereits die Titel verraten es: Hier wird Pop zu Kunst transformiert und Kunst darf sich das Prädikat "unverschämt poppig" ans Revers heften.
In diesem Moment ergreift einen dann doch ein leichter Hauch von Melancholie, denn "The Pyramid Tears Of Simba" erinnert an die "goldene" Zeit der Popmusik, als audiovisuelle Spektakel der gerade erst beginnenden MTV-Generation das Erscheinungsbild der Jugendkultur geprägt hat. Orph geben uns diese Unbeschwertheit für einen Moment zurück, wohlwissend jedoch, dass sich dieses Gefühl nicht reproduzieren, sondern nur modellieren lässt. Schließlich ist purer Anachronismus eine relativ starre Angelegenheit. So verankert sich die Band, trotz aller Verweise auf die New-Romantic-Ära, deutlich in der recht uniformen Gegenwart - und macht sie dadurch erträglicher.
Eine ähnliche Fokussierung auf die Achtziger lässt sich ebenfalls bei Johan Angergård ausmachen. Seine musikalische Umtriebigkeit konnten wir bereits im vergangenen Jahr durch seine beiden Alben unter den Pseudonymen Djustin und The Legends bewundern, deren Veröffentlichungen vollgepackt mit unbedarft-naivem Synthie-Pop mit Funk-Einschlag sind.
Das neue Jahr steht nun ganz im Zeichen der Reaktivierung seines Projektes Club 8, das Johan zusammen mit Karolina Komstedt bereits vor mehr als 20 Jahren ins Leben gerufen hat. Und wieder dreht sich der Mann mit dem markanten Schnäuzer um 180 Grad: Statt schmissiger Rhythmen und Elektronik im Neonglitzer-Outfit sind nun andere musikalische Mächte am Werk. "Golden Island" ist ein verträumtes, höchst tiefenentspanntes Werk mit unterschwellig meditativ-fernöstlichem Einschlag.
Lediglich die jubellierenden Fanfaren und der lässige Groove in "Fire" deuten so etwas wie Tanzbarkeit an, bleiben aber letztendlich auch in diesem Bestreben recht vage. "Golden Island" will wirklich so etwas wie ein Inselgefühl heraufbeschwören, eine Art Urlaubsstimmung mit bewusstseinserweiterndem Tiefgang - Club 8 trifft auf ClubMed, nur ohne die lästigen übrigen Touristen.
In Verbindung mit den sanften, fast schon somnambul eingesungenen Parts von Karolina, deren Stimme sich aber mehr wie ein weiteres Instrument im wohligen Klanggefüge anfühlt, träumt sich der Hörer auf ein einsames Eiland, fern jeglicher Zivilisation und frei von störenden Umwelteinflüssen. Die weichen Klangteppiche sind wie der weiße Strand und die Rhythmusprogrammierung wie das klackernde Bambusgehölz im Wind. Gleich den beruhigenden Wellen lassen redundante Momente in "Pacific" die Seele innehalten.
Es ist eine tönerne Reise in die innere Abgeschiedenheit, die Club 8 mit "Golden Island" antritt und eine skandinavische Melancholie nach außen kehrt. Lässig ist es allemal, was Johan Angergård mit seiner betörenden Mitstreiterin fabriziert hat. Aber es wirft auch einen aschfahlen Schatten über unsere Gedanken, wenn die breiten Soundflächen und beschwichtigenden Rhythmen den Hörer dazu zwingt, ein Stück weit auch mit sich selbst und seiner Existenz zu beschäftigen. Denn der schweifende Geist ist nich selten auch ein trübsinniger.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 06.02.18 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 1/18 >
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