LARSOVITCH "NORMAL'NO" VS. PROPTER HOC "SEDUCTION AND BETRAYAL": TANZENDE KÖRPER VERLIEREN DEN VERSTAND
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Schon sein erstes musikalisches Lebenszeichen von vor rund zwei Jahren, "ΣΥΝΘ" getauft ("Synth"), definierte das Projekt aus Frankreich als Konservator eines rudimentären elektronischen Klang, der sich so auch Anfang der 1980er hätte abspielen können. Dass die Wahl der Sprache nicht auf das konventionelle Englisch gefallen ist, ist wohl dem Faible des Musikers für die alternativen, regionalen Indieszenen geschudet. Besonders dem Russischen wird ja eine Weltenschwere nachgesagt (und russische Künstlerinnen und Künstler aus allen Sparten haben das im Laufe der Jahrhunderte mit ihren Werken untermauert). Deswegen fühlt man die Zeilen, ohne sie zu verstehen.
Bei Larsovitchs zweiter Kleinveröffentlichung ("ΣΥΝΘ" war ebenfalls eine 6-Track-EP) hat der Musiker noch stärker auf fiebrige Melodien und drängende Harmonien geachtet. Wie beim Titelsong, der so klingt, als standen für dieses Stück nicht mehr als sechs Tonspuren zur Verfügung. Das wäre sicherlich auch im Sinne des Künstlers, der seine Lieder auf "richtigen" Synthesizern einspielt und den Computer verbannt. Durch diese Aufnahmetechnik steht Larsovitch sehr nah am ungekünstelten und schroffen Klang vieler Elektronik-Pioniere.
Am Ende wartet mit "Xenomorfos" ein impulsiver Track gegen sich immer stärker ausbreitende nationalistische Tendenzen. Dass Larsovitch das Griechische wählt, also die Sprache jenes Volkes, das in der Antike die Demokratie in ihren Grundzügen ersann, mag Zufall sein oder absichtlich gesetzt: Es passt jedenfalls perfekt! Die Arpeggio-Sequenzen, die sich schwallartig aus den Lautsprecherboxen ergießen, lassen keinen Zweifel daran, dass der Mann auch eine unheimliche Wut auf die derzeitigen Entwicklungen unserer Gesellschaft hat. "Normal'No" klingt daher nicht nur wie eine weitere Retro-Platte, sondern wie ein Manifest der Verzweiflung (zu der es sich auch noch vorzüglich tanzen lässt).

Hauptsächlich versteht sich "Seduction & Betrayal" als extrem intertextuelles Werk, das mit verschiedenen Hinweisen arbeitet, um so ein assoziatives Netz der Kultur zu spannen. Das beginnt bereits mit dem Artwork, das selbst ohne das Hintergrundwissen beeindruckt. Man sieht die Hände von Georgia O'Keeffe, einer der vielleicht wichtigsten amerikanischen Künstlerinnen des 20.Jahrhunderts, aufgenommen von ihrem Lebensgefährten Alfred Stieglitz.
Auch der Albumtitel verweist auf ein anderes Werk. Es handelt sich dabei um ein Essay der Schriftstellerin Elizabeth Hardwick, die sich darin mit der Rolle der Frau in der Literatur beschäftigte. Einmal mehr taucht die Autorin im Stück "George Eliot's Husband" auf, das sich auf ein weiteres Schriftstück bezieht, in dem Hardwick die perfekte künstlerische Beziehung zwischen Mann und Frau skizziert (und damit den krassen Gegenentwurf zu den schwierigen Verhältnissen in "Seduction & Betrayal" schafft).
Klingt zwar nach verkopftem Inhalt und Elfenbeinturmgedöns. Davon ist aber in der Musik von Propter Hoc nichts zu hören. Das schottische Projekt liebt offensichtlich die hypermelodiösen Elektroniknummern der frühen 1980er. Spätestens wenn "Here We Are" mit einem fruchtig-frischen Upbeat sowie einer strahlenden Synthielinie aufwartet, hört man die unverbrauchte Teenager-Elektronik von Depeche Mode in ihrer Anfangsphase (als noch ein gewisser Vince Clarke für die Songs verantwortlich zeichnete).
Doch des Musikers Faible umfasst noch mehr. Sie inkludiert strengere New-Beat-Strukturen in "Imagineers In the Exclusion Zone", lässt in "Witches (Autumn/Winter 1983-84)" eben jene Jahre im Titel wieder aufleben. Durch die geschmeidige, aber stets sonore Stimme drängen sich Vergleiche mit Blancmange auf, wobei Propter Hoc die Elektronik in seiner ganzen Künstlichkeit zeigt.
Propter Hoc gelingt das Kunststück, wie vor 40 Jahre zu klingen, dabei aber Sounds zu benutzen, die bislang nur selten in dieser Kombination zu hören waren. Im Gegensatz zu Larsovitch vermeiden sie aber den direkten Verweis auf die Vergangenheit, sondern umgehen ihn durch eine moderne Produktion. Das bedeutet natürlich nicht, dass Erstbesprochenem die Phantasie fehle. Die beiden Projekte stehen in puncto Eingängigkeit, Coolness und musikalischer Relevanz ganz weit oben in diesem Jahr.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 08.04.25 | KONTAKT | WEITER: MICK HARVEY & AMANDA ACEVEDO VS. MICHAEL LANE>
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Cover © Stanze Fredde Records (Larsovitch) Cold Transmission (Propter Hoc)
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