J. MAMANA "FOR EVERY SET OF EYES" VS. IAMX "FAULT LINES²": ÄSTHETISCH FATALISTISCH
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Wenn Tragödien die Triebfedern für die eigene Kunst werden. J. Mamana hatte innerhalb weniger Jahre mehrere Schicksalsschläge zu bewältigen. Neben einer in die Brüche gegangenen, vierjährigen Beziehung, war es der plötzliche Drogentod seines engen Kumpels, der den Musiker aus Rhode Island in seinen Grundfgesten erschütterte. Gerade einmal 26 Jahre wurde sein "best buddy" alt.
Grund genug für ihn, sich auf seinem zweiten Album "For Every Set Of Eyes" in die Innerlichkeit zu begeben. Damit unterscheidet sich das neueste Werk von seinem, von der Presse hochgelobten, Debüt "Nothing New In The West" grundlegend. Glich das erste Album noch einem großen Rundumschlag, bei dem Mamana eine Jahrhunderte umspannende Zivilisationskritik anstrebt, die vom europäischen Kolonialisierungswahn bis hin zur orientierungslosen Gegenwart reicht, befasst er sich nun mit den Themen Verlust und Trauer und arbeitet sich am Erlebten ab. Besonders der viel zu frühe Tod seines Freundes kommt ihm sogar wie ein Witz vor, wie er befand. Ein schlechter zwar, aber dennoch ein Witz.
Das mag auch der Grund sein, dass der Mann bei aller Schwere der Themen keine gedrückte Stimmung in seinen Kompositionen aufkommen lässt. "Genius Or Apostle" beginnt mit einer an Beethoven erinnernden Fuge, ehe ein schwelgerischer Rock einsetzt, bei dem J. Mamana eine seine detailverliebte Arbeit perfekt zur Schau stellt: überlagerte Gesangsspuren, ungewöhnliche Akkordwechsel, Ausbruch aus den gängigen Strophe-Refrain-Strophe-Mustern - "Bohemian Rhaposdy" in einer weitaus sophistischeren und entrückten Version. Der Amerikaner, der sich kurzzeitig in England niedergelassen hatte, liebt die Verstiegenheit, die er aber mit einer großen Leichtigkeit präsentiert. So tänzelt er mit seinem Organ, das in den gemäßigten Lagen dem von David Sylvian sehr nah kommt und im Falsett an Mika erinnert, durch "Tenderness Lost", während Piano und Streicher zunächst die Chamber-Pop-Kiste aufmachen, um im letzten Drittel der E-Gitarre einen kurzen aber prägnanten Auftritt zu schenken.
Doch es bleibt nicht immer bei der leichten Melancholie: "Before The Law" wabert nebulös durch die Lautsprecherboxen, das Schlagwerk wummert wie ein Donnergrollen aus der Ferne und verwaschene Synthesizerflächen sowie dumpfe Chöre am Ende des Stücks wirken wie ein Klang gewordener Regentag, an dem es keine Möglichkeit gibt, sich der tristen Atmosphäre zu entziehen.
Der Musiker selbst spielte bereits mit dem Gedanken, die Musik dranzugeben, wie auf der Bandcamp-Seite nachzulesen ist. "Aber ich konnte nichts anderes tun. Ich sah, dass es meine einzige Hoffnung war. Letztendlich ist es irgendwie dasselbe, hoffnungslos zu sein und nur eine Hoffnung zu haben. Dieses Gefühl der Verpflichtung, diese seltsame Freiheit, alles für etwas zu geben, das einen nicht retten kann." Diese Ambivalenz ist bei "For Every Set Of Eyes" extrem spürbar.
Mit diesem Ausspruch könnte sich eventuell auch Chris Corner identifizieren. Nachdem er seine ersten musikalischen Gehversuche bei den Sneaker Pimps absolvierte, setzte er seine musikalischen Visionen als IAMX endgültig in die Tat um. Das Debüt "Kiss And Swallow" mit dem gleichnamigen Szene-Hit lotete die Möglichkeiten der neu gewonnenen Freiheit als Solo-Künstler vorsichtig aus. Erst das zweite Album "The Alternative" verlieh dem Projekt musikalisch und auch visuell mehr Kontur. Corner verlor sich in Dark-Cabaret-Manierismen und schwüler Elektronik, die er auf dem 2009er Werk "Kingdom Of Welcome Addiction" zur Perfektion steigerte.
Auch das nachfolgende "Volatile Times" festigte IAMXs Nimbus als Ausnahmeerscheinung, die zwar in der Schwarzen Szene das meiste Gehör fand, aber eigentlich in eine ganz eigene Welt glitt, die sich aller Genregrenzen entzieht. Corners Kunst ist auch eng verknüpft mit dem Musiker selbst, der auf dem Zenit seines Schaffens mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Seine chronische Schlaflosigkeit führte ihn in eine Depression und 2013 sogar zur zeitweiligen Unterbrechung seiner künstlerischen Arbeit. Auch er steht in einem Zwiespalt: Musik ist für ihn Dämon und Heilsbringer zugleich.
Nach einigen Instrumental-Alben, darunter "Machinate", das er mit Modular-Synthesizern einspielte, wurde mit "Fault Lines" im vergangenen Jahr ein neuer Chris Corner offenbar: Seine Leidenschaft für dramatische Songs im Spannungsfeld zwischen rauschender Clubnacht und der Ödnis einer Ein-Zimmer-Wohnung nach der Party, lebt er noch konsequenter und freizügiger aus. "Fault Lines²" führt nun das Erbe des Vorgängers weiter.
Was seine Sounds anbelangt, ist IAMX mittlerweile über jeden Zweifel erhaben. Drückende Bässe bei "Neurosymphony" und "Infinite Fear Jets" setzt der immer etwas hager wirkende Brite ebenso gekonnt und effektvoll in Szene wie introvertierten Momente. Allen voran "Oceans", das von den mystischen Gesängen der Isländerin Hafdis Huld umrahmt wird, besitzt fast schon religiös anmutende Züge.
Das Spiel mit den klanglichen Möglichkeiten hat Corner auf seinem jüngsten Werk erfreulicherweise auf die Spitze getrieben. So knurrt "Deathless Wild" im ungewöhnlichen 6/8-Takt den Hörer regelrecht an, während der Sänger seine persönlich gefärbten Lyrics, die auch immer einen Seelenstriptease implizieren, mit der ihm eigens angediehenen Grandezza vorträgt und sich wieder einmal an beiden Enden anzündet und für die Kunst (und seine Fans) verbrennt.
Deswegen beschleicht einen auch das Gefühl, dass "Life Before Death" nicht nur der letzte Song des Albums, sondern auch das letzte aufgenommene Stück im Studio gewesen sein muss. Jedenfalls klingt die Nummer mit seinen unscharfen Pianolinien und den umherstolpernden Rhythmen geradewegs so, als habe Corner noch einmal mit letzter Kraft die Nummer eingesungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dem nicht so ist, dürfte zwar um ein Vielfaches größer sein (Corner selbst achtet nach seiner Schlaflosigkeit wohl mehr auf sich), aber allein seine glaubwürdige Performance lässt dieses Bild des sich in die Emotion werfenden Künstlers sofort vor dem geistigen Auge materialisieren.
Sowohl IAMX als auch J. Mamana verfolgen mit ihrer Musik eine besondere Art der Kunstausübung. Es ist eine schonungslose, anspruchsvolle und bisweilen surreal entrückte. Im Zentrum steht der Gesang, in denen Fatalismus uns Weltverzweiflung zum ästhetischen Imperativ avancieren. Sicherlich keine einfache, aber eine die Sinne und den geistigen Horizont bereichernde Kost.
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Cover © Holy Family (J. Mamana), Nexilis/Schubert Music Group (IAMX)
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© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||