DAVE GAHAN UND MARTIN GORE: DIE LETZTEN TAGE DER G.-UND-G.-MONARCHIE?
Es ist wieder soweit: Depeche Mode gehen im April ins Studio, um ihr 14. Studioalbum einzuspielen. Das nachfolgende Procedere zu dieser Nachricht lässt sich bereits vorausahnen: Die Platte erscheint wohl noch in diesem Jahr, erklimmt mühelos die Spitzenpositionen der Charts und die Presse lobt die britische Band, die wie keine andere dem Label "Synthie Pop" eine gehörige Portion Industrie-Romantik und bluesigen Schmutz verpasst, ihn aber gleichzeitig salonfähig hält.
Dieser "unique selling point", wie es im neoliberalen Deutsch heißt, ist bei der einstigen Elektronik-Boygroup einfach nicht wegzudiskutieren und auch der Grund dafür, warum die Jungs aus Basildon seit mehr als 35 Jahren auf relativ konstant hohem Niveau gefeiert werden und ihre Tourneen binnen kürzester Zeit ausverkauft sind. Die Auftritte indes laufen seit Jahren nach dem gleichen Muster ab: Wohlwollender Applaus bei den aktuellen Stücken, nostalgischer Überschwang bei den Klassikern.
Denn von wirklich bahnbrechend innovativen Alben sind Dave Gahan, Martin Gore und Andrew Fletcher mittlerweile meilenweit entfernt. Besonders die letzten beiden Werke "Sounds Of The Universe" und "Delta Machine" klingen über weite Strecken nach Altherren-Elektronik: behäbig-sophistisch und bräsig im Elfenbeinturm des Elektro-Pop wandelnd.
Dass Depeche Mode nicht mehr wie zu Zeiten von "Black Celebration" oder "Music For The Masses" lospoltern wollen, ist verständlich. Die Mitglieder sind alle Mitte 50, haben Himmel und Hölle der Entertainment-Branche kennengelernt und relativ unbeschadet hinter sich gelassen. Kurzum: Sie müssen sich und anderen nichts mehr beweisen. Aber braucht es dann noch Depeche Mode als schwaches Bindemittel der ohnehin brüchigen Gore-Gahan-Verbindung?
Die "G.-und-G.-Monarchie" scheint tatsächlich ihren letzten Tagen entgegenzugehen.
Um zu erahnen, wie das zukünftige Album ausfallen wird, braucht es nur einen Blick in die jüngere Vergangenheit: Im letzten Jahr machten die beiden Musiker wieder einmal als Solisten auf sich aufmerksam. So brachte der blondgelockten Exot Gore das Werk "MG" auf den Markt, der Quasi-Nachfolger des frischen Minimal-Elektro-Statements "Ssss", das er 2012 als VCMG zusammen mit De-Mo-Mitbegründer und Erasure-Mastermind Vince Clarke veröffentlicht hat. "MG" hingegen ist nicht mehr als eine blutarme Ansammlung von Klangcollagen und Soundschnipseln, die bei Depeche Mode allenfalls als eineinhalbminütige Intermezzi ihre Berechtigung gehabt hätten. Hier bläht Gore sie zu minutenlangen tönernen Sedativa auf.
Den größeren Solo-Erfolg feiert momentan Dave Gahan – mit tatkräftiger Unterstützung des Musikerkollektivs Soulsavers, die bereits einige Jahre zuvor mit Mark Lanegan am Mikro, einer veritablen Whiskey-Röhre im Stile eines Tom Waits, scheppernde Blues- und Gospel-Rock-Nummern veröffentlicht haben. Durch Gahans Mitwirken verändert sich die Stimmung: weg vom kaputten Ich-bin-so-einsam-Soundtrack, hin zu einem esoterisch eingefärbten Offenbarungsalbum. Auf "The Light The Dead See" wirkt noch der Zauber des Anfangs, der einen fast schon besoffen vor Glück zurücklässt. Das zweite Aufeinandertreffen allerdings bringt rasch Ernüchterung. Schon im Schriftzug von "Angels & Ghosts" setzt sich Gahan über die Soulsavers, und auch musikalisch ist sein Vorpreschen deutlich – aber nicht zwingend positiv.
Überhaupt muss über seine stimmlichen Darbietungen in den vergangenen Jahren gesprochen werden: Schon bei Depeche-Mode-Stücken wie "In Chains" oder "Heaven" zieht es den einst so charismatischen Frontmann in unnötige Höhen. Seine kraftvolle Röhre nähert sich immer mehr dem fragilen Falsett eines Martin Gore an – eine sehr zweifelhafte Entwicklung.
Auch auf "Angels & Ghosts" praktiziert er diese halsbrecherische Gesangs-Akrobatik, ohne dabei vollends zu überzeugen. Über weite Strecken verkommt die Platte zu einer idiosynkratischen Priester-Dave-Show im Dauergewimmer-Modus, von der aber wenigstens Gahans Verwandschaft profitiert: Tochter Stella-Rose zeichnet für das nicht unbedingt berauschende Artwork verantwortlich (da war das nebelumwölkte Grammophon von "The Light The Dead See" wesentlich stimmungsvoller) und den Videoclip zur Single "Shine" drehte Stiefsohn James Rogers-Gahan.
Addiert man Gores beliebig wirkende Synthesizer-Experimente und Gahans spirituell überzeichnete Sanges-Einlagen, dürfte das kommende Album in puncto verquaster Sperrigkeit der "Delta Machine" in nichts nachstehen. Schon lange herrscht über diese Entwicklung Uneinigkeit bei der riesigen Fangemeinschaft. Während das eine Lager der Band treu ergeben ist und die stilistische Neuausrichtung widerstandslos begleitet, blicken andere wehmütig zurück, als die Veröffentlichungen ihrer Lieblinge fast schon weihnachtliche Vorfreude auslösten.
Eine Befragung auf depechemode.de nach den Wünschen der Leser für das kommende Album spiegelt diese Zerrisenheit wieder. In der regen Diskussion sind dabei wiederholt zwei Namen zu lesen: Alan Wilder und Flood. Viele sehnen sich nach einem Wiedereinstieg Wilders, dessen kompositorisches Know-How und Gespür für gute Melodien die Band erst richtig groß hat werden lassen. Zudem war er auch das notwendige Regulativ in der immer schwierigen Dreierkonstellation. Und Floods Einfluss auf die beiden Meisterwerke "Violator" und "Songs Of Faith And Devotion" bedarf ohnehin keiner weiteren Erklärung.
Längst gilt die Gruppe als die Synthie-Pop-Variante der Rolling Stones, und es ist auch nichts dagegen einzuwenden. Schließlich bleibt man sein Leben lang Musiker und geht nicht mit 60 oder 70 in Rente –auch wenn es die Mitglieder, rein aus finanzieller Sicht, sicherlich könnten. Allerdings machen Mick Jagger und Co. einiges anders: Sie konzentrieren sich aufs Verwalten ihres eigenen Erbes, gehen regelmäßig auf Tournee und halten die Fans mit Bootlegs oder restaurierten Wiederveröffentlichungen bei Laune. Ihr letztes reguläres Album "A Bigger Bang" erschien vor elf Jahren.
Vielleicht hätten Depeche Mode auch vor elf Jahren aufhören sollen. 2005 erschien nämlich "Playing The Angel", das letzte interessante Album der Band. Seitdem fehlt dem Trio die zündende Idee für einen packenden Song, der ruhig auch unkonventionell und experimentell arrangiert sein darf. Mittlerweile geraten DM-Platten jedoch immer mehr zu einem Songwriter-Wettrüsten zwischen Gore und Gahan, bei dem keiner der Kontrahenten zurücksteckt, um seine künstlerischen Visionen durchzudrücken. Verlierer in diesem musikalischen Kräftemessen ist momentan Depeche Mode selbst.
Vor ihren Aufnahmesessions sollten die drei Männer noch einmal in "Ultra" reinhören, um wieder auf Kurs zu kommen. Denn dieses Album bringt es auf den Punkt: Gore ist zwar der bessere Songschreiber, Gahan aber der bessere Sänger. Diese individuellen Stärken haben sie hier perfekt aufeinander abgestimmt. Wie heißt es noch so trefflich in einem ihrer frühen Songs? "Get The Balance Right". Ob sie zu diesem Gleichgewicht zurückfinden werden, bleibt fraglich.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 26.02.15 | KONTAKT | WEITER: QUO VADIS APOPTYGMA BERZERK: IRRUNGEN UND WIRRUNGEN >
Websites:
www.davegahan.com
www.martingore.com
www.depechemode.com
Fotos © Steve Gullick (Dave Gahan), Travis Shinn (Martin Gore)
Cover © Sony Music (Dave Gahan & Soulsavers), Mute (MG)
Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.
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