FIR CONE CHILDREN "GEARSHIFTING" VS. SILVER TEARS "SILVER TEARS": STURM UND KLANG - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

Direkt zum Seiteninhalt

FIR CONE CHILDREN "GEARSHIFTING" VS. SILVER TEARS "SILVER TEARS": STURM UND KLANG

Kling & Klang > REVIEWS TONTRÄGER > F > FIR CONE CHILDREN
Fir Cone Children ist nicht einfach nur ein weiteres Projekt des ohnehin schon bis zum Anschlag beschäftigten Musikers und Labelbetreibers Alexander Leonard Donat. Es ist eine in Noten gepackte Langzeitstudie seines Nachwuchses. Als Vater zweier Töchter beobachtet er sie aufmerksam beim Großwerden. Den eigenen Kindern ein musikalisches Denkmal zu setzen ist an sich nicht neu. Chris Rea beispielsweise hat "Josephine" und "Julia" den beiden Töchtern gewidmet, "Isn't She Lovely" von Stevie Wonder verhandelt die Geburt von Tochter Aisha Morris. Und "You Never Walk Alone", der One Hit Wonder des Musikers Mathou, war ein Mutmachsong für seine drei Söhne David, Luke und Leon.

Doch wo in der Regel meistens nur stereotype Phrasen gedroschen werden, avanciert Donat zum gewissenhaften Chronisten, seine Lieder zu kleinen Hormonexplosionen, die perfekt die unstete und chaotische Welt der pubertären Sprösslinge in Noten fasst und aus den einzelnen Episoden die Teenagerzeit seiner beiden Mädchen plastisch darbringt. Der unperfekte, stolpernde Sound zwischen Lo-Fi-Shoegaze und Dreampunk wirkt so unbedarft und stürmisch wie die Teenagerzeit selbst, bei der emotional gesehen kein Stein mehr auf dem anderen legt.

So wird "Gearshifting" zu einem Parforceritt durch die wunderbare Welt des Nachwuchses, das zu Beginn in "Let's Calm The Senses" bereits erahnt, dass sich hochgradige Veränderungen einstellen, ehe "Madness!" den unerklärlichen Furor der Kinder auf der Schwelle zum Erwachsenwerden einfängt. Eine diffuse Unzufriedenheit, unter denen die "uncoolen" Eltern am meisten zu leiden haben, erkennen sie ihre Kinder teilweise gar nicht wieder. All dies wird in knappen drei Minuten mit viel Gitarrengeschrammel hör-und nachempfindbar gemacht.

Doch die Akkuratesse will es, dass Teenager sein nicht nur himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt beinhaltet. Und gerade das macht Fir Cone Childrens elftes Werk zu einem kurzweiligen Spaß. In "Swedish Shades" wird die Sonnenbrille zu einem folgenschweren Accessoire, das die jüngere der beiden Mädchen zu einem neuen Menschen macht. Und "Now Is Now" zeigt auf humorvolle Weise, dass nun Serien schauen und Chips essen interessanter sind als Hausaufgaben machen.

"Life Rearranges", der Abschluss dieser charmanten Platte ist gleichzeitig Conclusio und Cliffhanger. Das Leben ordnet sich neu im Hause Donat. Eine Erkenntnis, aus der sich weitere Schlüsse ziehen lassen, die auf der nächsten Scheibe von Fir Cone Children sicherlich weiter ausgeführt werden.

Denkt der Autor dieser Zeilen an seine Teenagerzeit zurück, war sein musikalisches Schlüsselerlebnis "Vienna" von Ultravox, entdeckt in einer Zeit, als gerade "Smells Like Teen Spirit" und "Mr. Vain" um die Gunst der Massen buhlte. "Vienna" jedenfalls öffnete die Türe zu einer klanglichen Parallelwelt, die ihn (mit einigen Exkursen in Richtung Rave und Techno) zu den schwarzgewandeten Gestalten führte, die düstere und schwere Klänge konsumierten.

Und irgendwie ist es doch schön, dass der Sound mollschwangerer Synthesizerwände, stoischer Rhythmussektionen und weltvergessener Gitarren immer noch präsent ist. Im neuen Projekt Silver Tears lebt dieser Geist allumfassender Weltabgewandtheit weiter. Mit ihrem selbstbetitelten Debüt hat das Duo gleich ins "Schwarze" getroffen - entschuldigen sie, liebe Leserschaft, dieses Wortspiel, aber das konnte man nicht einfach so liegen lassen.

Dass hier etwas Großes entstehen würde, war aber schon abzusehen. Denn bereits zuvor hat sich Silver Tears auf dem jetzt schon legendär zu nennenden zweiten Teil der Compilation "Next Wave Acid Punx" und ihrem Beitrag "Always Shine (Wait For The Rain)" hervorgetan, einer nebulösen Coldwave-Nummer, ganz im Stile der alten Meister. Dass sie auf diesem Sampler erschienen sind, hat aber auch einen ganz profanen Grund. Luca Venezia, besser bekannt als Curses und Teil der prosperierenden Dark Disco Szene in Berlin um das Iptamenos Label, hat diese Zusammenstellung kuratiert und seine erste Zusammenarbeit mit Damian Shilman, der unter dem Alias Skelesys ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt mehr ist, mitberücksichtigt.

Basierend auf dieser Provenienz ist es wenig verwunderlich, dass sie als Silver Tears die düster-schwelgenden Sounds favorisieren. Was aber überrascht, ist die stilistische Klarheit ihrer Stücke. Als haben sie Jahrzehnte lang gar keine andere Musik gemacht, strotz die erste Langrille von einer ungetrübten Liebe zur Melancholie. Ein Stück wie "Waste Of Time" besitzt eine eigenartige Melange aus nostalgischem Rückblick und Vergewisserung des Hier und Jetzt. Mit anderen Worten: Wäre Coldwave 2025 erfunden worden, wären Silver Tears Pioniere.

Das Album ist eine tiefe Verbeugung vor allen Schwarzromantikern und gleichzeitig der erfolgreiche Versuch, diesen Spirit vergangener Zeiten in die Gegenwart zu transferieren. Vor allem stehen hinter Silver Tears aber zwei hochtalentierte Musiker, die den Weltschmerz in eingängige, aber nie platte Songs verpacken. Eigentlich ist diese Phrase so abgedroschen, aber sie ist für "Silver Tears" maßgeblich: all Killers, no fillers!


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.05.24 | KONTAKT | WEITER: XMAL DEUTSCHLAND "GIFT: THE 4AD YEARS">


Webseite:


Kurze Info in eigener Sache
Alle Texte werden Dir kostenfrei in einer leserfreundlichen Umgebung ohne blinkende Banner, alles blockierende Werbe-Popups oder gar unseriöse Speicherung Deiner persönlichen Daten zur Verfügung gestellt.
Wenn Dir unsere Arbeit gefällt und Du etwas für dieses kurzweilige Lesevergnügen zurückgeben möchtest, kannst Du Folgendes tun:
Druck' diesen Artikel aus, reich' ihn weiter - oder verbreite den Link zum Text ganz modern über das weltweite Netz.
Alleine können wir wenig verändern; gemeinsam jedoch sehr viel.
Wir bedanken uns für jede Unterstützung!
Unabhängige Medien sind nicht nur denkbar, sondern auch möglich.
Deine UNTER-TON Redaktion


POP-SHOPPING











Du möchtest diese CD (oder einen anderen Artikel Deiner Wahl) online bestellen? Über den oben stehenden Link kommst Du auf die Amazon.de-Seite - und wir erhalten über das Partner-Programm eine kleine Provision, mit der wir einen Bruchteil der laufenden Kosten für UNTER.TON decken können. Es kostet Dich keinen Cent extra - und ändert nichts an der Tatsache, dass wir ein unabhängiges Magazin sind, das für seine Inhalte und Meinungen keine finanziellen Zuwendungen von Dritten Personen bekommt. Mit Deiner aktiven Unterstützung leistest Du einen winzig kleinen, aber dennoch feinen Beitrag zum Erhalt dieser Seite - ganz einfach und nebenbei - für den wir natürlich außerordentlich dankbar sind.

COVERS © Blackjack Illuminist Records (Fir Cone Children), Avant! Records (Silver Tears)


ANDERE ARTIKEL AUF UNTER.TON

Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.



                                                    © ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
Zurück zum Seiteninhalt