WILL GREGORY MOOG ENSEMBLE "HEAT RAY" VS. NOVOCIBIRSK "THE VASARELY PROJECT" VS. CELLULOIDE "SILENCES WE SHARED": BACK TO THE MOOGS! - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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WILL GREGORY MOOG ENSEMBLE "HEAT RAY" VS. NOVOCIBIRSK "THE VASARELY PROJECT" VS. CELLULOIDE "SILENCES WE SHARED": BACK TO THE MOOGS!

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Bis die elektronische Musik Teil des massenkompatiblen Pop-Inventars wurde, war es nur wenigen vorbehalten, mit Synthesizern, Mellotronen, Thereminen und dergleichen mehr zu hantieren. Vor allem in der neuen klassischen Musik wurden die Geräte genutzt, um Teile des Orchesters zu imitieren oder gänzlich neue Klänge zu generieren. Zwar gehören Musiker wie Karlheinz Stockhausen sicherlich zu den wichtigsten Vertretern avantgardistischer Tonmagierinnen und -magier, aber die erste breite (und auch kontroverse) Wirkung lieferte Wendy Carlos 1968 mit seinem Meilenstein "Switched On Bach", einer Bearbeitung diverser Stücke des deutschen Barock-Komponisten für den Moog Synthesizer.

Will Gregory, bekannt dafür, die charismatische Alison Goldfrapp musikalisch perfekt dastehen zu lassen, wurde von dieser Platte maßgeblich beeinflusst, und seine Liebe zu diesem Synthesizer aller Synthesizers fand sich immer wieder in den Alben des Dance-Duos wieder. Zu der Idee der Gründung des Will Gregory Moog Ensembles kam der Musiker, als er sich überlegte, zusammen mit anderen Weggefährten, verschiedene Mono-Synthesizer live zu spielen.

Aus dem gedanklichen Funken ist nun das Album "Heat Ray" entstanden, bei dem Gregory zusammen mit einem Dutzend weiterer Musiker und dem BBC National Orchestra Of Wales seiner großen Liebe ungehemmt frönen kann. Der Brite entreißt die Musikmaschinen aus dem Pop-Habitat und setzt sie in ihre ursprüngliche Heimat zurück: der Klassik. "Heat Ray" vereint das große Orchester mit elektronischer Experimentierfreudigkeit. Das ganze zündet bereits bei "Young Archimedes" und gibt gleichzeitig die gedankliche Fahrtrichtung an: Will Gregory und seine Mitstreiter beschäftigen sich mit dem vielleicht größten Mathematiker der Antike. Denn in der Mathematik liegt Schönheit, und Schönheit ist oft mathematisch herstellbar. Bereits genannter Johann Sebastian Bach ist ein Paradebeispiel dafür: Seine Kompositionen sind mathematisch durchdacht und besitzen deswegen Allgemeingültigkeit.

Dem Goldfrapp-Musiker gelingt ebenfalls die Übertragung regelhafter Musik in sein Werk, das bei "Buoyancy Theory" an die Minimal Music eines Philip Glass erinnert (besonders die unwiderstehliche Filmmusik zu "Koyaanisquatsi" kommt einem hierbei in Erinnerung). Nicht zuletzt bildet das Titelstück selbst mit seinen brummenden Sounds die Qunitessenz der Platte, während "The Archimedes Screw", eine Anspielung auf die Archimedesschraube, einer Wasserförderanlage, deren Erfindung dem Mathematiker zugesprochen wird, mit fließenden, sich ständig steigernden Sequenzen eine perfekte Dynamik aufweist.

"Heat Ray" ist ein gelungenes Experiment, das uns den Zauber des Anfangs näherbringt, den Will Gregory selbst erlebt hat, als er "Switched On Bach" das erste Mal hörte. Und er erinnert mit seiner Platte daran, wo elektronische Musik ursprünglich zu Hause war.

In den späten 1970ern wurden Moog und Co. erschwinglicher. Dennoch fristeten Synthesizer ein noch recht bescheidenes Dasein als besseres "Effektgerät", das den Songs eine spezielles Timbre verlieh. Doch unter der Oberfläche wurden die Maschinen intensiver genutzt und mit ihnen weiterhin experimentiert, wie es die Hochkulturellen bereits taten, allerdings mit anderen Vorzeichen: weg von den Kunsthallen, hin zu den industriellen Hinterhöfen.

Aus dieser musikalischen Subkultur stammt auch der Franzose Hervé Isar, dessen Projekt Novocibirsk aber erst jetzt (auch dank des Boredom-Sublabels Production B) die Anerkennung erhält, die es verdient. Denn wie bei seinen bereits zuvor veröffentlichten beiden "Télévision 1945" Werken, wird auch bei "The Vasarely Project" auf des Musikers Kassettenarchiv zurückgegriffen.

Es handelt sich bei dieser Aufnahme um einen einzigartigen Kompositionsprozess: Isar übertrug die Farbcodes des Op-Art-Malers Victor Vasarely (1906-1997, Vasarely hat unter anderem das Firmenlogo der Automarke Renault entworfen) in elektrische Spannungen, die er auf drei miteinander verbundenen analogen Sequenzern programmierte, ohne bereits eine Idee vom fertigen Prdoukt zu haben. Nach Abschluss des Aufbaus entstand anstelle eines zufälligen Ergebnisses durch die generierten Noten und Transpositionen überraschenderweise eine harmonische Kohärenz.

Die Stücke wurden im September 1993 in der Fondation Vasarely in Aix-en-Provence vor einem Live-Publikum aufgeführt und auf Tonband aufgenommen. Diese siind nun, behutsam restauriert, für die Nachwelt konserviert worden. In den Stücken von Novocibirsk brodeln die Synthesizerbässe, fiepen die Töne und wabern die Flächen. Die dezent dumpfe Aufnahme verstärkt das Gefühl der Unmittelbarkeit. Vor allem kurze Stücke wie "Interferences" wirken in seiner Grobkörnigkeit wie dem Zeit-Raum-Kontinuum entrissen. Auch "Incantation" mit dem erratischen Vocoder-Gesang klingt wie der Kampf zwischen Mensch und Maschine.

Vieles auf "The Vasarely Project" wirkt gewollt unperfekt. Vielleicht, weil sich hinter der Fehlerhaftigkeit auch die Maschine sichtbar wird, die all das hier produziert. Bei aller Experimentierfreude lässt Novocibirsk die Harmonien nie aus den Augen. Das macht das Album bei aller Technikaffinität dann doch sehr organisch und ein Stück weit nahbar.

Bleiben wir in Frankreich, das, neben Deutschland, den Einzug der Elektronik in die Popmusik enorm vorantrieb. Hierzulande haben Kraftwerk dafür gesorgt, das rein synthetische Songs in die Charts einschlugen, in Frankreich hat sich vor allem Jean-Michel Jarre hervorgetan. Auch Space mit ihrem dauerbrennenden Synthie-Disco-Stampfer "Magic Fly" und "Rectangle" von Jacno gehören zu den prägenden Nummern elektronisch gefertigter Popmusik.

Letztgenannter hatte übrigens seine ersten Alben über das Label Celluloid veröffentlicht. Ob dieses nun namentlicher Pate für die Formation Celluloide stand, kann hier nicht erörtert werden. Dass die Band um Member U-0176 aber die Geschichte ihres Landes hinsichtlich der Synthesizerbenutzung förmlich inhaliert haben muss, steht außer Fragen, wie ihre gesamtes Oeuvre beweist, das in ihrer 22-jährigen Geschichte immerhin sieben Alben umfasst.

Erweitert wird der Katalog nun um "Silences We Shared", einer speziellen Zusammenstellung rarer und teilweise bislang unveröffentlicher Mixe von Songs, die auf dem zweiten Album "Words Once Said", das dieses Jahr den 20. Geburtstag feiert, enthalten sind.

Die Band hat sich dabei den Spaß erlaubt, die alten Computer zu nutzen, die sie seinerzeit für die Produktion von "Words Once Said" zur Verfügung hatten. Denn "retro" ist das zentrale Wort, um Celluloides komplettes Arbeitsverhalten zu beschreiben. Ihre Lieder waren nämlich seit Anbeginn von einem Retrofuturismus durchzogen: Poröse Beats, sägende Italo-Disco-Basslinien, jede Menge Bleeps und Clonks, dazu intoniert Sängerin Darkleti die Texte mit androider Gleichgültigkeit. Celluloide haben eine Stelle innerhalb der Musik besetzt, die wenig später von anderen Bands wie Client oder La Roux weitergedacht und mittels Sängerinnen wie Robyn weltweit Bewunderung fand.

Auf "Silences We Shared" machen wir Bekanntschaft mit Versionen, die sich zwar nicht zu weit von den Originalen entfernen, aber dennoch einen etwas anderen Blick auf das Songmaterial erlauben. Durch die Liner-Notes im Innenteil des CD-Schubers erhalten wir kleine interessante Einblicke zu den Geschichten der jeweiligen Versionen. So ist beispielsweise der "elektrisch mix" von der schnieken Up-Tempo-Nummer "I Stay With You" ursprünglich für den 2006 veröffentlichten "Elektrisch!" Sampler vorgesehen gewesen. Die Band hat sich in letzter Instanz aber dann doch für eine andere Nummer entschieden. Gut, dass man diese Mischung nicht in die ewigen digitalen Jagdgründe geschickt hat.

Auch "I Missed You (Complete Mix)" gehört der Bandmeinung nach auf "Silence We Shared". Zum einen, weil der Albumtitel auf eine Textzeile dieser Nummer referiert, zum anderen, weil die Band diese Version sogar stärker favorisiert als die Albumfassung. Diese sei nämlich viel zu straff und zu kurz komponiert gewesen und gebe dem Stück nicht den Raum, den es verdient. Hört man sich beide Versionen im Vergleich an, versteht man sofort, was gemeint ist. Der elegische Track wird langsam und detailreich aufgebaut und endet mit einem atmosphärisch dichten Finale, das sich in voller Größe entfalten kann.

In dieser Reihenfolge: Will Gregory Moog Ensemble, Novocibirsk und Celluloide erleben wir auch so etwas wie einen Schnelldurchlauf der Geschichte elektronischer Musik, angefangen von den Einsätzen der neuen Töne in der Klassik, hin zu den ersten ungelenken Versuchen von Musikern, die sich, vom Punk und der Kunst beeinflusst, die synthetische Musik als neues avantgardistisches Ausdrucksmittel ausgesucht haben, bis zur Anpassung der Töne in ordentliche Rhythmen im Viervierteltakt. In jedem Moment bleiben Moog und seine unzähligen Mitstreiter jedoch besondere Tongeneratoren und immer auch außergewöhnlich.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 09.07.2024 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 7/24>

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COVER © MUTE (WILL GREGORY MOOG ENSEMBLE), PRODUCTION B (NOVOCIBIRSK), BOREDOMPRODUCT (CELLULOIDE)

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