FEEDING FINGERS: "ICH VERSUCHE, MEINE KÜNSTLERISCHE FLAMME AM LODERN ZU HALTEN" - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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FEEDING FINGERS: "ICH VERSUCHE, MEINE KÜNSTLERISCHE FLAMME AM LODERN ZU HALTEN"

Im Gespräch

Über "Do Owe Harm", dem neuesten Album von Feeding Fingers erfahren wir nicht so viel. Worum es geht und welche Intention hinter dem surrealistisch-kryptischen Werk stecken, lässt Justin Curfman, Weltenbummler und kreativer Kopf der Experimental-Post-Punker, bewusst im Dunkeln. Dafür zeigt sich der Amerikaner äußerst gesprächig, wenn es um mikrotonale Musik geht, auf der "Do Owe Harm" basiert. Seine Begeisterung für diese Form der Musik ist so ansteckend, dass man seinen Ausführungen und Klangbeispielen einfach folgen muss.

Hallo Justin und vorweg Gratulation zu einem außergewöhnlichen Album: "Do Owe Harm" beschäftigt sich mit so genannter xenharmonisher Musik. Wie bist Du auf diese Sparte gekommen?

Danke, es freut mich, dass Dir das Album gefällt. Auf xenharmonische Musik bin ich vor vielen Jahren gestoßen. Ich war noch ein Teenager und habe damals viel über Komponisten wie Charles Ives, Julian Carrillo, Harry Partch und andere gelesen, allesamt Pioniere der mikrotonalen Musik, die mit Viertelton-, Zwölfton- und anderen Systemen arbeiteten. Der Begriff "xenharmonisch" wurde allerdings erst im ausgehenden 20. Jahrhundert vom Komponisten Ivor Darreg eingeführt. Es sollte ein Oberbegriff für die gesamte Musik darstellen, die nicht in den üblichen Tonleitern geschrieben wird.

Wann hast Du Dich dazu entschlossen, ein mikrotonales Album aufzunehmen?
Als ich am vorherigen Feeding-Fingers-Album "Attend" arbeitete, habe ich mir das Ziel gesteckt, auch ein Lied zu schreiben, das auf ein xenharmonisches Tonsystem aufbaut. Um 2014 herum habe ich dann angefangen, mich tiefer in die Materie einzuarbeiten. In dieser Zeit ist mir Wendy Carlos' Album 'Beauty In The Beast' aus dem Jahre 1986 in die Hände gefallen. Für den Titelsong nutzte sie ihre "Alpha Tonleiter", was das Stück wirklich myteriös und bezaubernd wirken lässt. Also habe ich mich entschlossen, ein Lied, in dieser Tonart zu schreiben. Das Ergebnis war der Song "Where All Of These Towns And Choices End". Tatsächlich hat es mir so viel Freude bereitet, Musik zu machen ohne vom gängigen Notensystem limitiert zu werden. Der Entschluss ist dann schnell gefasst worden, das nächste Feeding-Fingers-Album als Studie über mikrotonale/xenharmonische Musik anzulegen. Ich wollte einfach weiter in diese klangliche Vielfalt eintauchen. Und jetzt, einige Jahre später, haben wir "Do Owe Harm".

Grob überrissen, umfasst xenharmonische Musik die Töne, die sich zwischen unserem "traditionell" temperierten (Halb)tonschritten befinden. Welchen Eindruck hinterließ dieser "fremde" Sound, als Du ihn zum ersten Mal gehört hast?
Mein erstes Zusammentreffen mit dieser Musik hatte ich, als ich Ivan Wyschnegradsky's "24 Preludes in Quarter Tone System" gehört habe. Für all diejenigen, die nicht wissen, worüber wir reden, empfehle ich, sich nicht zu sehr auf unser Blabla zu konzentrieren, sondern einfach mal reinzuhören. Dieses Stück habe ich das ersten Mal mit hoher Lautstärke gehört, sodass ich zeitweilig etwas desorientiert war und mir auch übel wurde. Es ist faszinierend, mitanzusehen, wie das Hirn die Anstrengung unternimmt, die einzelnen Noten nach oben oder unten zu korrigieren, um sie wieder "stimmig" klingen zu lassen. Das muss man einfach mal versuchen. Ich denke, es sagt viel darüber aus, wie unser Gehirn versucht, ob bewusst oder unbewusst, unsere Wahrnehmung zu etwas "angenehmen" zu formen, selbst wenn die Reize überaus abstrakt sind.

Ich kann mir vorstellen, dass es nicht sehr einfach ist, diese Töne auf den Synthesizern, Gitarren et cetera zu spielen. Welche Vorbereitungen sind von Nöten, um die Maschinen und Instrumente mikrotonal erklingen zu lassen?
Ich will das an einem sehr sehr einfachen Beispiel verdeutlichen, damit ich weder zu laienhaft noch zu akademisch klinge. Sichrlich werden die Pedanten mich dafür mit Verachtung strafen, wie sie es immer machen. Aber es ist wirklich einfach. Bei Saiteninstrumenten wie Gitarre, E-Bass und so weiter hast du zwei Optionen, um in die mikrotonalen Ecken und Verstecke zu gelangen. Entweder baust du mehr Bundstäbchen zwischen den Halbtonschritten ein oder du entfernst alle vom Griffbrett. Eine traditionelle Gitarre hat beispielsweise zwölf Bundstäbchen pro Oktave. Um mehr als zwölf Töne zu spielen, muss man also mehr Bundstäbchen innerhalb dieser Oktave installieren, um die Intervalle immer weiter zu teilen. Oder man macht genau das Gegenteil und entfernt alle Bundstäbe und spielt die Gitarre auf dem flachen Griffbrett wie man es von der Violine oder Cello her kennt und was dir theoretisch erlaubt, jeden Ton zu spielen, den du willst - natürlich in Abhängigkeit von der Länge des Bretts und der Saite. Synthesizer kann man, je nach der Hard- und Software, ganz individuell tunen, indem Du einen Ton oder Hertzfrequenz einer Taste zuordnest. Das lässt sich unter anderem mit der Software 'Scala' ermöglichen.

Wie sah das Tuning bei Deinen Instrumenten konkret aus?

Ich nutze den Gitarrenkörper einer Stratocaster, bei dem ich die Hälse wechseln kann. Für diesen Gitarrenkorpus habe ich einen bundlosen Hals selbst gebastelt. Ich verwende ihn hauptsächlich für das Spielen von Melodien. Außerdem habe ich einen 22-Ton-Gitarrenhals, der von Ron Sword von metatonalmusic.com entworfen wurde. Er kommt hauptsächlich zum Einsatz bei Akkorden. Je nach dem, woran ich gerade arbeite, wechsle ich die Hälse. Auch benutze ich einen bundlosen Bass. Was die Synthesizer anbelangt, spiele ich auf einem Korg Monologue, der eine mikrotonale Funktion besitzt - zufälligerweise kam dieses Gerät gerade zu der Zeit auf den Markt, als ich anfing, am neuen Album zu arbeiten. Das Timing hätte also nicht besser sein können. Ich habe auch noch einen Roland Gaia und unzählig andere Hard- und Software. Das unabkömmlichste Tool allerdings, das ich über die ganze Zeit für meine Kompositionen genutzt habe, war eine Serie mikrotonaler Synthesizer von Jacky Ligon von xen-arts.net

Du wurdest auch von einem deutsche Saxofonisten, Philipp Gerschlauer, unterstützt. Wie bist Du mit ihm in Kontakt getreten?
Ich habe von 2010 bis 2015 in Deutschland gelebt. Während meiner Zeit dort hörte ich viel Jazz von verschiedenen deutschen und österreichischen Bands und Solisten. Ich fand Phillips Arbeit sehr interessant. Er ist spezialisiert auf mikrotonale Musik. Ich hörte seine Arbeit mit seiner microtonal Jazz Band Besaxung sehr oft während meines Studiums der mikrotonalen Musik - nicht nur von einem akademischen Standpunkt aus, sondern auch zum Vergnügen und als Inspiration. Ich wollte direkt mit ihm zusammenarbeiten. Aber als ich anfing, das Album zu realisieren, war ich bereits nach Italien gezogen. Also habe ich die Musik in Italien geschrieben und aufgenommen und wir haben über das Internet kommuniziert. Er nahm das Saxophonsolo für "Hate Yourself Kind" in Deutschland auf und schickte es mir nach Italien.

Wie schwer oder einfach ist es, xenharmonische Lieder zu schreiben?
Meiner Meinung nach ist es weder einfacher noch schwerer, Songs in xenharmonischer Stimmung zu schreiben. Als Künstler finde ich diese Art des Komponierens aber wesentlich befriedigender im Vergleich zur traditionellen Variante. Ich genieße es einfach, mit diesen "Farben" zu arbeiten. Es gibt mir das Gefühl, etwas neues zu entdecken und das weckt meine Abenteuerlust.

Wie entsteht so einen Song?
Die Art und Weise, wie ich xenharmonische Songs schreibe, dürfte ziemlich verwandt sein mit dem, was andere als 'Polytonalität' bezeichnen. Ich schreibe einen Song komplett in einer gewissen Stimmung, die ich mir zuvor ausgesucht habe. Das habe ich mir wahrscheinlich indirekt von Brian Enos 'Oblique Strategies' abgeschaut. Ich beschränke mich selbst auf ein paar Parameter, mit denen ich arbeite. Noch vor Beginn habe ich eine Auswahl an Stimmungen oder gleichwertige Teilungen der Oktave (engl. "Equal Divisions of the Octave" [EDO]). Ich kann diese Stimmungen auf kleine Papierstücke schreiben, in eine Schachtel werfen und dann einfach zufällig eine Stimmung herausziehen. Nehmen wir mal an, ich ziehe aus dieser Box ein Papier auf dem '15-EDO' steht. Nun muss ich also einen Song schreiben mit 15 Teilschritten innerhalb der Oktave: Akkordfolge, Melodien, Harmonien und so weiter. Dann spiele ich Drums, Percussion, Bass und Gesang ein. Wenn ich am Ende merke, dass einige Passagen etwas zu schwer verdaulich für die Hörer wird, füge ich noch ein paar Parts nach gängigen Hörgewohnheiten ein, um das Klangbild etwas runder zu gestalten. Ein Ergebnis ist 'Arrive a Leech', das in eben dieser Stimmung 15-EDO komponiert wurde.

Welche Reaktionen erwartest Du von den Menschen, wenn sie "Do Owe Harm" hören?
Mein Anliegen ist es, dass die Menschen genauso viel Spaß beim Hören meiner Musik besitzen wie ich bei der Arbeit daran. Ich möchte die Freude teilen, die ich empfinde, wenn ich etwas - manchmal auch mit unkonventionellen Mitteln - kreiere. Aber es geht mir nicht darum, das jedem unter die Nase zu reiben und zu sagen 'Seht her, was ich erschaffen habe'. Am besten ist es, wenn sich der Hörer einfach zurücklehnt, die Songs genießt, sich daran erfreut und möglicherweise auch etwas Neues für sich entdeckt - selbst wenn er nicht genau benennen kann, was es ist.

Soweit mir bekannt, ist "Do Owe Harm" das erste Post-Punk-Album im xenharmonischen Stil. Tatsächlich passt die beklemmende Atmosphäre dieses Genres aber sehr gut mit dieser Musikart zusammen. Siehst Du Dich da nicht auch ein bisschen als Pionier?
Da gebe ich dir recht: Diese Art von Musik evoziert ein bestimmtes Gefühl von Klaustrophobie, Technophobie, 'Andersartigkeit' und so weiter. Das verwirrende Moment ist es, was dem Post-Punk-Ethos entspricht - zumindest in seinen frühen Tagen. Post Punk ist ein musikalischer Auswuchs fetischistisch-dystopischer Science-Fiction-Stories von Nachkriegsautoren wie Burroughs, Ballard und anderen. Vielleicht ist mein Album das erste xenharmonische, das dieses kleine Fleckchen der Musiklandschaft beheimatet, aber es gibt weitaus mehr Künstler, die sich nicht davor scheuen, mikrotonale Musik mit Elementen aus Pop, Rock, Metal, Jazz und anderen Stilen zu kreuzen. Elaine Walker (ZIA), Brendan Byrnes (ILEVENS), Ron Sword (Last Sacrament) und Sean Archibald (Sevish) sind nur einige Namen, die mir dazu einfallen. Ich sehe mich von daher nicht als Pionier, sondern versuche lediglich, meine künstlerische Flamme am lodern zu halten, indem ich neue Möglichkeiten auslote, um Musik zu machen. Das letzte, was ich anstrebe, ist dasselbe Album zweimal zu schreiben.

Deine Stimme erinnert ein bisschen an Robert Smith. Ist der Sänger von The Cure eine Art Idol für Deine Musikerlaufbahn gewesen?

Das wurde mir schon oft gesagt, dass unsere Stimmen ein ähnliches Timbre besitzen, aber ich kann nicht wirklich behaupten, dass er einen großen Einfluss auf mein Schaffen hat. Ich kenne nichts mehr von den Sachen, die er in den letzen 18 Jahren gemacht hat.

Die drei Wörter des Albumtitels - "Do Owe Harm" - besitzen in ihrem Zusammenschluss eine etwas melancholische Attitüde. Was wolltest Du damit ausdrücken?

Ich weiß es nicht. Frag' mich noch mal in zehn Jahren danach.

Einige Stücke haben mich bereits beim Lesen überrascht: "A Happy Lust For Alphabets", "Hate Yourself Kind", "In Hallways Feared From Birth". Sie haben eine sehr surrealistische Note, eine geradezu Breton-esken Stil...
Ich habe André Breton gelesen, sowie Jacques Bataille, Guillaume Apollinaire, Louis Aragon, Paul Eluard und alle anderen natürlich auch. Les décadents français, les surréalistes français. Aber ihre Methoden und meine sind gar nicht so ähnlich. Als ich jünger war, erweckten sie natürlich in mir einen naiven, blauäugigen Enthusiasmus. Jedoch ich kann nicht sagen, dass ich sie bewusst zu übernehmen versucht habe. Mein Schreibprozess unterscheidet sich schlussendlich doch sehr von dem, was sie gemacht haben. Das auszuführen ist aber höchstwahrscheinlich sehr langweilig und uninteressant.

Auch das rätselhafte (und ebenso surrealistisch wirkende) Cover mit dem Felsen und der planetenähnlichen Kugel ist Teil des Videos zu "Fontanelle". Wurde es nur aus ästhetischen Gründen genutzt oder steckt da mehr dahinter?
Das stimmt. Das Bild ist ein Standfoto des Videos, das Steven Lapcevic gedreht hat. Er begleitet uns schon lange Zeit als kreativer Mitarbeiter und ist so etwas wie das vierte Mitglied der Band. Das Bild ist der Versuch, eine gewisse visuelle Kontinuität zwischen Album und Video herzustellen. Natürlich steckt auch noch mehr dahinter. Aber das werde ich nicht verraten.

Dein aktuelles wie auch Deine Alben davor belegen, dass Du ein sehr freigeistger Musiker bist, der sich keinen stilistischen Grenzen unterwirft. Ist dieses Studium der mikrotonalen Musik also ein einmaliges Projekt gewesen oder kannst Du Dir vorstellen, noch mal in diesem Stil eine Platte zu machen?

Ich werde mikrotonale Musik sicherlich als weiteres Element in meine zukünftigen Arbeiten einfließen lassen. Ich brenne schon darauf, neuen Musik zu machen, sobald unsere Tournee im April zu Ende ist. Wir werden sehen, was da kommen wird.

||INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 25.01.18 | KONTAKT | WEITER:  FEEDING FINGERS "DO OWE HARM">

Webseite:
www.feedingfingers.net


FOTOS © STEVEN LAPCEVIC

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