"NO SONGS TOMORROW - DARKWAVE, ETHEREAL ROCK AND COLDWAVE 1981-1990": DER MELODISCHE HAUCH VON VERGÄNGLICHKEIT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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"NO SONGS TOMORROW - DARKWAVE, ETHEREAL ROCK AND COLDWAVE 1981-1990": DER MELODISCHE HAUCH VON VERGÄNGLICHKEIT

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Es muss eine ganz komische Stimmung gewesen sein, damals, Anfang der 80er Jahre. Ein Gefühl von Auf- und Zusammenbruch zu gleichen Teilen macht den Zauber dieser Dekade zu ihrem Beginn aus. Vielleicht war diese, der heutigen Zeit nicht ganz unähnliche, gefühlte Orientierungslosigkeit inmitten von Kaltem Krieg, saurer Regen und - speziell hierzulande - Mauerstadt der Grund, warum sich einige komplett der Welt versagten und ein Leben in melancholischer Isolation lebten. Nun, zumindest war das die zu erreichende Außenwirkung. Musikalisch jedenfalls hat sich aus den diffusen Post-Punk-Regularien ein Sound entwickelet, der sich an die Hoffnungslosigkeit eines Ian Curtis und der Theatralik von Bauhaus anlehnt, aber vor allem mittels elektronischer Instrumente eine neue, gleichsam distanziert und kühle Atmosphäre schafft, in dem jeder sich selbst überlassen war. Coldwave, oder Darkwave, nannten die Gazetten das Ganze dann später.

Die Begriffe wurden zum tönernen Aushängeschild der sich herauskristallisierenden Gothic-Szene und steht sinnbildlich auch für die Zerrissenheit einer Jugendbewegung, die bei aller Anti-Haltung auch immer mit einem Pike die Tür zum Massengeschmack offen hielt. Deswegen bietet die wieder einmal großartig gelungene Zusammenstellung "No Songs Tomorrow" des Cherry Red Labels einige sehr bekannte Namen. Allen voran natürlich The Cure, denen es gelungen ist, über Jahrzehnte hinweg, melancholisches Lebensgefühl und Charttauglichkeit so zu verquicken, dass die Gothic-Gralshüter keinen Ausverkauf witterten und Otto Normalverbraucher ein bisschen morbide Mystik in ihr Leben integrieren konnte, um sich damit vielleicht interessant und besonders zu machen (Depeche Mode glückte dieser Spagat ebenso).

Auf der üppig bestückten und einmal mehr liebevoll kuratierten Zusammenstellung haben The Cure die Rolle des Türstehers dieser Compilation. "The Funeral Party" aus dem 81er Album "Faith" eröffnet "No Songs Tomorrow" und steht exemplarisch für einen neuen Sound, der sich aus schleppenden Rhythmen und flirrenden Synthesizern zusammenbaut und damit eine fast schon sakrale Stimmung beschwört. Natürlich fing alles wieder einmal in England an, doch die Cold-, respektive Dark-Wave-Szene breitete sich wie ein samtschwarzer Teppich binnen kürzester Zeit über die ganze Welt aus. Der Universalität dieses Genres will der Sampler Rechnung tragen, indem er sich markante Nummern oder ikonische Bands aus verschiedensten Erdteilen präsentiert.

Deutschland ist dabei mit ein paar wunderbaren Evergreens vertreten, die nur noch selten auf digitalen Tonträgern zu finden sind. Days Of Sorrow aus Dortmund haben ihr traumhaftes Stück "Wild World" von 1990 bereitgestellt, und - fast schon erwartbar - sind auch Xmal Deutschland mit von der Partie, jedoch nicht mit dem naheliegenden "Incubus Succubus", sondern "Sickle Moon", einer Single aus ihrer Spätphase, als die Band um Sängerin Anja Hüwe auch in Englisch zu singen begann, um sich einem größeren Publikum zu öffnen. Ansonsten gibt es ein Wiederhören mit den französischen Siouxsie-Soundalike Kas Product ("Tina Town"), dem schwedischen Hoffnungslosromantiker Lars Falk (immer noch zeitlos schön: "See My Friend Fall"), die bis heute auftretenden Kirlian Camera aus Italien ("Blue Room"), Clan Of Xymox aus den Niederlanden ("Louise") und die New Yorker Requiem In White ("A Prodigal Son").

Wie sehr die Verquickung zwischen Pop und Indie (auch wenn es den Begriff noch nicht gab, beziehungsweise erst im Entstehen war) gelang, zeigt unter anderem "Heat" von Soft Cell. Der Song war auf dem 1983er Album "The Art Of Falling Apart", der sich stilistisch von der kinky Elektronik ihres, maßgeblich die 80er beeinflussenden, Albums "Non Stop Erotic Cabaret" weit entfernte. Die epochal-dunkle Grundstimmung dieser Nummer ist kommt einem Abstieg in den Hades gleich, ist wie das Gemälde eines Hieronymus Bosch. Auf der anderen Seite stieg eine Band wie Fra Lippo Lippi aus Norwegen aus den musikalischen Nebelschwaden in den Pop-Olymp auf. Hört man sich das schummrige, 1983 veröffentlichte "Now And Forever" an, kann man sich gar nicht vorstellen, dass die Band nur drei Jahre später mit "Shouldn't Have To Be Like That" einen astreinen Pop-Song offerieren würde.

Aber auch das ist Dark Wave: eine Stilrichtung, die sich den großartigen Melodien in keiner Weise verschließt und damit auch immer mit einem kajalgeschwärzten Auge über den Tellerrand der Subkultur blickt und dem Mainstream mit einer Wimper zuwinkt. Das ist vielleicht auch der Grund, warum aktuelle Bands wie Boy Harsher, She Past Away, Actors oder Grey Gallows den Darkwave-Gedanken weitertragen können und damit - zumindest in überschaubarem Rahmen - veritable Erfolge feiern können: Eine gute Melodie überdauert die Zeit. Ob diese fröhlich in Dur vor sich hinträllert oder, wie bei "No Songs Tomorrow", in molllastige Abgründe driftet, spielt dabei keine Rolle.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 28.05.24 | KONTAKT | WEITER: SNOW TRAIL VS. MANTAROCHEN>

Webseite:
www.cherryred.co.uk

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COVER © CHERRY RED RECORDS

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