LEICHTMATROSE "DU, ICH UND DIE ANDERN": BITTERSÜSSE POP-PRALINEN
Es ist ein Phänomen unserer Zeit: Freund oder Freundin eröffnen einem die waghalsige Idee, sich einfach mal für eine Weile zu trennen. "On/Off-Beziehung" nennt man so etwas heutzutage.
Man will die Partnerschaft "auf Eis legen", den "Markt sondieren", weil da diese diffuse Angst herrscht, "etwas zu verpassen". Nur, um nach dieser Experimentierphase vermeintlich geläutert zurückzukommen – mit der ach so wundersamen Erkenntnis, dass das, was man gemeinsam hatte, eigentlich doch ganz schön war.
An diesem Punkt des Wiedersehens beginnt mit "Dalai Lama" das sarkastischste Album des Jahres: "Du, ich und die andern" von Leichtmatrose.
Übrigens: Das tibetanische Oberhaupt findet sich in diesem Song eher unter den Fußnoten. Der Mann, der die Liebe medienwirksam propagiert, verkommt zum oberflächlichen Gesprächsthema der beiden Protagonisten; mausert sich zum traurigen Sinnbild einer sowieso zum Scheitern verurteilten Beziehung, in der Liebe offensichtlich nicht mehr vorhanden ist.
Die Rückkehr wird beim Verlassenen von gemischten Gefühlen begleitet: Er würde ihr, die wie selbstverständlich an der Haustür um Einlass bittet, am liebsten "in die Fresse hauen". "Die Anti-Aging-Creme Zieht Wieder Ein", so sein beißend-spöttischer Kommentar. Und doch sehnt er sich nach dieser Lebenslüge: "Erzähl Mir, Dass Du Niemals Wieder Gehst - Und Dass Du Mich Verstehst".
Das Herz ist angefressen, aber es schlägt noch; der Blick mit einem leichten Schulterzucken ganz unverkrampft nach vorn gerichtet. Alles ist möglich; nur bloß nicht zurück. So verheißungsvoll mutet auch das Albumcover an.
Es dürfte daher kein Zufall sein, dass nachfolgend "Ich hab' dich bloß geliebt" zu hören ist. Die höchst gelungene Coverversion eines Chansons des Schweizer Liedermacher Stephan Sulke verschiebt den Fokus einer fast identischen Szenerie. Hier ist es der Mann, der wortgewandt den Freier mimt, aber dennoch immer an seine Angebetete denkt, während andere Frauen ihn betören.
Innere Zerrissenheit. Das ist zweifellos das Lieblingsthema des Leichtmatrosen Andreas Stitz, das er auf seinem zweiten Album Breite mal Länge mal Tiefe abschreitet.
Viele Stücke auf "Du, ich und die Andern" leben von dieser Ambivalenz zwischen Verstand und Gefühl und legen den Menschen als irrational handelndes Wesen offen. So emotional und auch musikalisch subtil wie in "Besser Nicht" hat der Leichtmatrose sein Sujet bisher allerdings selten getroffen.
Von einer geschmeidigen Pianofigur ausgehend, bauen sich die Zweifel über Sinn und Unsinn der Liebe auf. Bis der Musiker schließlich im Refrain unter sägenden Dubstep-Sequenzen explodiert. "Vielleicht, Vielleicht. Doch Warten Kann Ich Nicht. Weil Warten Mich Zerbricht". Diese fast schon kafkaeske Hoffnungslosigkeit fördert unerwartete Sinnbilder zu Tage: "Ich Sitz Hier Beim Vogel, Der Immer Noch Scheißt, Was In Seiner Sprache 'Ich Liebe Dich' Heisst."
Solch grandiose Ausdrucksformen sucht man in der hiesigen Pop-Szene aktuell vergebens. Gut, dass es mit Andreas Stitz wohl doch noch jemanden gibt, der sich nicht vom fahlen Schein stereotyper Bilder blenden lässt, sondern seine eigenen Visionen stilsicher realisiert.
Ebenso liegt dem Mann mit dem dezent larmoyanten Timbre auch das Spiel mit der musikalischen Erwartungshaltung seiner Hörer. Der Leichtmatrose setzt nämlich auf melodienverliebte Pop-Arrangements – eine zuckersüße Hülle, in die er seine bitterbösen Texte geschickt verpackt. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den Plattenhändler Ihres Vertrauens.
Es muss aber nicht immer die Beziehungskiste sein: "Sternenstaub" beispielsweise lässt unter fluffiger Schlagzeug-Programmierung und einem pathetischen Refrain die Minuten bis zum Weltuntergang herunterlaufen.
Und in "Jonny fand bei den Sternen sein Glück" geht es um die scheinbar grenzenlose Freiheit junger Erwachsener, die sich dem Rausch hingeben und schließlich daran zu Grunde gehen.
Beim Leichtmatrosen liegen sowohl Euphorie als auch Melancholie nah beieinander.
Denn: "Oh Jonny, Es War Niemals Einfach, Anders Zu Sein." Gesellschaftlicher Ungehorsam wird hier zum Leistungssport in den Disziplinen saufen, koksen, huren. Dass da manch einer auf der Strecke bleiben muss, ist irgendwie vorprogrammiert. Doch die Fanfaren und das ekstatische "Frei" im Refrain machen die Zweifel vergessen – vorerst.
Freunde anspruchsvoller Schlager-Melodeien wissen natürlich, dass es diesen "Jonny" schon einmal gab – und zwar vor rund 45 Jahren. Bei Juliane Werding wurde der Protagonist allerdings nicht nur umgetauft, sondern auch deutlich verständnisvoller besungen. Wo "Am Tag, als Conny Kramer starb" den Drogen-Konsum auch als gesellschaftliches Problem anprangert, ist für Leichtmatrose Andreas, der in einem anderen Leben übrigens in der Suchtberatung tätig ist, der Rausch Ausdruck einer individuellen Freiheit – natürlich mit all ihren Konsequenzen.
Wie schon beim Debüt "Gestrandet", unterstützt ihn auch dieses Mal sein väterlicher Freund Joachim Witt, der mit ihm das Kriegsdrama "Hier drüben im Graben" eingesungen hat.
Erfreulicherweise hält sich der "Goldene Reiter" der Neuen Deutschen Welle angenehm zurück und pfropft dem Frontmann nicht seine Ideen auf. Vielmehr ermutigt er den Leichtmatrosen, seinen eigenen Weg zu finden. Ganz so, als würde Witt nur im Studio sitzen und seine Hand auf den Rücken des Sängers legen.
Denn im Vergleich zum Vorgänger, bringt "Du, ich und die anderen" viel mehr musikalisches Selbstbewusstsein mit.
Schon damals schien bei Andreas Stitz, der stimmlich durchaus an seinen Namensvetter Dorau erinnert, ein größeres Talent durch. Allerdings wirkten die provokanten Texte noch nicht zu einhundert Prozent mit der Musik verschmolzen.
Jetzt hat der Leichtmatrose endlich die perfekte Symbiose gefunden: "Du, ich und die andern" ist ein grandioses, inkommensurables Album. Melancholisch, verspielt, ironisch – und in schmerzlichstem Maße wahrhaftig.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 10.10.15 | KONTAKT | WEITER: POST PUNK MADE IN AUSTRIA - X-BELIEBIG VS. CHICK QUEST >
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