ASP: "WIR ERFORSCHEN DAS UNBEKANNTE UND DAS FREMDE - AUCH DAS UNS FREMD GEWORDENE IN DER MITTE"
In deinem aktuellen, zweiteiligen Album-Zyklus "Verfallen" ist das einstige Leipziger Nobel-Hotel "Astoria" der Hauptschauplatz einer gruseligen Geschichte. Wie ist es zu dieser Idee gekommen?
Asp: Die Idee stammt von Kai Meyer. Vor einigen Jahren reifte die Idee, endlich einmal ein gemeinsames Projekt zu verwirklichen. Durch unsere gemeinsame Vorliebe für phantastische Literatur und Gothic Novels lag es nahe, dass wir in irgendeiner Form eine Schauergeschichte erzählen würden. Wir beide waren überzeugt davon, dass es eine feine Abwechslung wäre, eine gute Horrorstory zu verfassen, die auch in Deutschland spielt. An dieser Stelle betone ich immer, dass wir das nicht aus einer verschrobenen Deutschtümelei heraus machen, sondern aus dem Grund, dass es einfach eine tolle Sache ist, einen nachvollziehbaren Ort als Schauplatz zu benutzen. Leipzig ist eine tolle Stadt und das "Astoria" kannten wir beide. Kai war schon immer sehr begeistert davon, und so schrieb er die Kurzgeschichte "Das Fleisch der Vielen"; der Grundstein war gelegt!
Inwieweit wird dieser Ort im zweiten Teil "Fassaden" noch eine Rolle spielen?
Er spielt nach wie vor eine der Hauptrollen in diesem Horror-Kammerspiel. Es wird alles ganz anders, als im ersten Teil. Zumindest enthält die Story einige sehr verrückte Twists, wenn ich mir diese Bemerkung als Schöpfer erlauben darf.
Heutzutage ist das "Astoria" tatsächlich ein verfallener Ort inmitten der Stadt. Hast Du das Gebäude schon mal besichtigt? Wenn ja, wie war das für dich?
Das Gebäude von innen zu besichtigen ist derzeit nicht erlaubt, lautet die offizielle Antwort.
Die Zukunft dieses leerstehenden Hotels ist ungewiss. Was wäre Dein Wunsch für das "Astoria"? Wiedereröffnung? Abriss?
Das ist so unglaublich schwer zu sagen. Eine Wiedereröffnung wäre natürlich toll. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Chance auf eine erfolgreiche Sanierung des Gebäudes mit jedem weiteren Jahr ständig sinkt. Die Kosten, die ein derart marodes Bauwerk nach sich ziehen, um es instand zu setzen und wieder zu neuem Leben zu erwecken, sind so unfassbar groß. Da bräuchte es mittlerweile ein Wunder. Es ist schade, da es so ein geschichtsträchtiges Haus ist. Und ich fürchte, wenn es abgerissen wird, dann würde vermutlich ein neues, modernes Gebäude dort hingeklotzt werden, dessen ästhetischer Wert vermutlich auch nicht viel höher wäre als das verfallene "Astoria". Du siehst, ich bin ein Architektur-Pessimist. Nun kommt noch meine, aus dem Dunkel geraunte, Meinung: Es sollte nie wieder geöffnet werden! Nie! Vor allem nicht nachts. Es ist gut so wie es ist. Es ist gut, dass das "Astoria" schläft. (bitte an dieser Stelle ein verrückt-diabolisches Kichern vorstellen, liebe Leser!)
Generell üben verfallene Gebäude auf die Menschen eine besondere Anziehungskraft aus. Was glaubst Du, ist der Grund dafür?
Die Begründung dafür ist recht vielschichtig. Wir erforschen das Unbekannte und das Fremde – auch das uns fremd gewordene in unserer Mitte. Wie ein großes, leeres Hotel, das einmal voller Leben gewesen ist und nun wie ein Alien-Raumschiff mitten in der Stadt liegt. Verlassene Gebäude sind nicht nur ein Symbol des Verfalls, sondern auch ein Symbol für Leere. Ist diese Leere vielleicht das, was Menschen mit Emotionen und Energie zu füllen versuchen? So wie die Natur das Vakuum verabscheut gibt entsteht auch ein Horror Vacui in uns, das wir nicht zulassen wollen. Wir wollen das Unbelebte beleben, wenn wir es nicht begraben können. Entstehen auch aus diesem Grunde Geistergeschichten und Spukhaus-Legenden? Drängt es uns deshalb dazu? Wir können diese Leere möglicherweise weniger gut ertragen, als ein unheilvolles Grauen, welches jene Leere bewohnen könnte.
Vielleicht ist es aber auch ein positiveres Element in uns. Wir sehen eine Ruine und eine Vergangenheit. Alles ist vergänglich, sogar Gebäude aus massivem Stein werden irgendwann vergehen. Aber in diesem Moment kann man auch spüren: Ich bin da. Vielleicht strahlen deshalb Friedhöfe auch so einen Frieden aus, nicht nur, weil es still dort ist, sondern weil man durch die Vergänglichkeit anderer tiefer seine eigene Existenz empfinden kann.
Gibt es einen "verlassenen Ort", den Du besonders schätzt?
Unzählige. Zum Beispiel "Dun Aengus" auf Inishmore. Uralte Ruinen mag ich am liebsten. Aber momentan brauche ich eine Pause von leeren Gebäuden. In "Astoria" habe ich mich so vertieft, es wollte mich gar nicht mehr rauslassen …
Hast Du Erinnerungen an ein altes Gebäude, das es vielleicht schon gar nicht mehr gibt, mit dem Du aber viel verbindest?
Nein. Ich habe eher eine Bindung zu Lebewesen, was das angeht. Oder zu Orten in der freien Natur.
Die Menschheit baut auf und reißt wieder ein, um etwas neues zu erschaffen. Wie siehst Du den Drang nach Modernisierung?
Gegen Modernisierung habe ich nichts. Solange diese dazu dient, ressourcenschonenderen, umweltverträglicheren und gesünderen Wohnraum zu erschaffen, bitte immer gerne! Da ist noch Luft nach oben. Wenn es nur darum geht, neue, hässliche Bürokomplexe in die ohnehin schon zugepflasterte Welt zu klatschen: Nö! Ästhetisch machen wir meiner Meinung nach echt keine großen Fortschritte. Man merkt: Ich bin ein heimlicher Öko. Ein schwarzgrüner Gutmensch, wie ich mir neulich mal an den Kopf werfen lassen durfte. Es war als Beleidigung gemeint, ich hab es als Kompliment genommen.
Was hältst Du vom romantischen Bild eines Dichters, der in den alten Ruinen verweilt, um Inspiration für seine Kunst zu erhalten? Kannst Du Dich damit identifizieren?
Wenn eine Kaffee-Maschine in greifbarer Nähe ist, schreib ich notfalls auch in einer Ruine. Im Ernst: Mir persönlich genügt auch ein leeres Blatt Papier als Inspiration, ich brauche kein leeres Bauwerk.
Hattest Du auch schon mal die Idee gehabt, in einem verfallenen Gebäude oder vor einer mittelalterlichen Ruine ein Konzert zu geben?
Immer mal wieder. Aber meistens scheitert es an den Auflagen, die bei baufälligen Bedingungen unweigerlich auf einen warten. Aber zumindest die bewohnbaren Burgen sind immer mal wieder dabei, wie zum Beispiel am 8. Juli auf der Festung Königstein bei Dresden. So etwas hat immer ein ganz besonderes Flair!
|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 16.3.16 | KONTAKT | WEITER: INTERVIEW MIT ENNO SEIFRIED >
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