3/25: TACET TACET TACET, FEDERICO ALBANESE, CHANDEEN, THE ULTIMATE DREAMERS, LASSE WINKLER - NEUE TÖNE FÜRS NEUE JAHR - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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3/25: TACET TACET TACET, FEDERICO ALBANESE, CHANDEEN, THE ULTIMATE DREAMERS, LASSE WINKLER - NEUE TÖNE FÜRS NEUE JAHR

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025
Im Lateinischen bedeutet "tacet" soviel wie "es ist still". In der Musik wird der Ausdruck benutzt, wenn beispielsweise ein Geigensolo in der Notenschrift vorgesehen ist. Das restliche Orchester spielt dann "tacet" - es ist stumm. Bein Tacet Tacet Tacet geht es hier allerdings alles andere als leise zu, auch wenn das Projekt des Musikers Francesco Zedde nicht gerade mit dem tönernen Vorschlaghammer zu Werke geht. Dennoch ist das dritte Album "Fickle" ein auf seinen Weise eindringliches Werk. Der Mann hat über einen Zeitraum von sechs Jahren seine Stücke wachsen lassen - ebenfalls sechs an der Zahl. Das bedeutet also pro Lied ein Jahr Zeit. Klingt vielleicht etwas unrealistisch, ist aber aufgrund der Vielschichtigkeit seiner Stücke durchaus nicht ganz abwegig. Auf "Fickle" sucht der Italiener mit Wahlheimat Utrecht in den Niederlanden nach dem Unausgesprochenen in der Musik. Seine Nummern sind ein Konglomerat  aus verschiedenen Soundtexturen, die sich überlagern, auf das kommende Stück verweisen oder einfach nur sich selbst genügen. Vor allem seine Vorliebe für frickelige Rhythmusfetzen (bei "Unfocus" großartig auf die Spitze getrieben) zeichnen "Fickle" aus. Ansonsten sucht Zedde breite, leicht am Ton vorbeischrammende Flächen, die ein großes Geheimnis in sich tragen. Für diese Langrille ist Zedde auch nach Island gereist, um Fieldrecordings zu machen. Die schroffe Landschaft scheint ihn nachhaltig beeinflusst zu haben. Schließlich besitzen seine Stücke eine gewisse Schwere, die perfekt mit der dortigen Landschaft harmonieren könnte. Oder anders ausgedrückt: Würde man bei den zwischen Dark Ambient und Drone pendelnden Songs auf einmal weite, karge Natur, umgeben von Wasser und Polarlichtern, vor seinem geistigen Augen haben, war das sicherlich von Zedde so gewollt.

Landschaftsbilder spielen auch beim italienischen Pianisten Federico Albanese eine entscheidende Rolle. Für sein aktuelles Werk "Blackbirds And The Sun Of October" steht ein besonderer Ort Pate: Montferrato im Piemont. Über lange Zeit wohnhaft in Berlin, kehrt der Italiener damit in seine alte Heimat zurück. Das Album entstand dort unter dem Eindruck der Rückkehr und auch der Frage nach Herkunft und Erbe. Die goldenen Farben der untergehenden Sonne auf dem Cover finden sich in den warmen, fließenden Pianolinien, die der Musiker immer wieder aufleben lässt. Jubilierend und mit freudig erregten Geigen angereichert ("The Prince And The Emperor") oder auch von elektronischen Beats und Flächen durchzogen ("Bloom") lotet Albanese einen neoklassischen Soundtrack aus, der nicht von ungefähr an Yann Tiersen oder auch Nils Frahm erinnert. Sein Klangbild bleibt dabei aber stets von einer hohen Eigenständigkeit geprägt. Im Zentrum steht natürlich das Piano, dem der Italiener wunderbar warme Töne entlockt, welche die Idee der Landschaftsmalerei in Noten transferiert. Auch bei ihm sind sie deutlich zu sehen: die sanft geschwungenen Hügel, von der Sonne umschmeichelt, sowie die alten Städtchen der Region. Wie bereits der Vorgänger "Bevor And Now Seems Infinite", so will auch "Blackbirds And The October Sun" sich erinnern: an die Kindheit vielleicht, an die Zeit vor dem selbst gewählten Ausflugs in die deutsche Hauptstadt. In Federicos Stücke findet sich liebevolle Erinnerung und Achtsamkeit gegenüber seiner eigenen Wurzeln wieder. Darin besteht seine kompositorische Stärke.

Selbst wenn "The Last Glimpse Of Your Life" sehr dramatisch und wenig positiv klingt, so sind doch die Songs, die Chandeen dieses Mal kredenzen, von einem unbändigen "joie de vivre" durchzogen. "I See Things Clear Enough" beispielsweise präsentiert das musikalische Projekt von Harald Löwy in einem ganz neuen Licht. Mit schmissigem Indie-Rock und der angezerrten Stimme ihrer neuen Chanteuse Christiane Richter entfernt sich das Projekt von seiner im Dark Wave angesiedelten Klangästhetik. Auch "Coming Of Age" bedient sich ungehemmt im Brit-Pop-Fach. Dieser Freiheit geht auch eine Bewusstwerdung Löwys voraus, der seinem Projekt eine neue Facette verleihen wollte. Dafür hat Chandeen erstmals mit dem schwedischen Produzenten Joakim Lindberg gearbeitet, der maßgeblich an der überraschend ungewohnten Ausrichtung des Projekts gearbeitet hat. Vor allem die Sängerin wird zur zentralen Figur in diesem neuen Gefüge. Ihre Texte, laut Löwy allesamt persönlich gefärbt, singt sie mit einer Intensität und ohne falschen Pathos. Trotz der vielen neuen Klänge, finden sich auch die melancholischen Momente, die Chandeen groß gemacht haben. "Somebody Else (Monster & Dolls)" oder "Broken Soldiers" erinnern an die intensiven ruhigen Stücke, wie sie beispielsweise auf dem immer noch überragenden "Echoes" von 2003 zu hören sind. Doch seitdem hat sich einiges geändert. Chandeen will nicht einer bestimmten Gruppe von Menschen gefallen, sondern nur sich selbst. Dass es dafür dann auch in komplett andere musikalische Richtungen geht, ist da nur legitim. "The Last Glimpse Of Your Life" wirkt organisch gewachsen und wie die logische Konsequenz aus der Vergangenheit einer sich selbst stets treu gebliebenen Gruppe.

Für die belgischen The Ultimate Dreamer sind die letzten Jahre von stetig wachsendem Erfolg geprägt. Dabei hat die Band bereits in den mittleren 1980er Jahren angefangen, ihre Idee eines tristen Rocksounds zu verwirklichen. Mit den Wiederveröffentlichung der alten Tapes als "Live Happily While Waiting For Death" begann der zweite Frühling der Band, der mit "Paradoxical Sleep" nun weitere schwarze Blüten trägt. Auf der Bandcamp-Seite bieten die Jungs gleich mehrere Bezeichnungen ihrer Kunst an: Post-Punk, Doom-Pop und Cold Wave umreißen dabei ganz gut den klanglichen Kosmos der Band, die sich vor allem dadurch auszeichnet, Versatzstücke aus der Geschichte der Gothic-Szene zu nutzen, um am Ende einen dennoch unikaten Sound entstehen zu lassen. Schon "Digging" mit seiner Synthielinie, die fatal an "Love Like Blood"von Killing Joke erinnert, verweist auf die musikalische Sozialisation der Gruppe, die aber ein paar Stücke später in "Energene" überraschend den minimalen, reduzierten Techno-Sound für sich entdeckt. Während viele aktuelle Produktionen dem Bombast und tönernen Gigantismus frönen, erinnert "Paradoxical Sleep" daran, wo die ganze Gothic-Sache begonnen hat: in den Hinterhöfen und Industriebaracken, fernab von irgendwelchen Stadien oder großen Hallen. Dennoch ist das Album keine simple DIY-Veranstaltung. The Ultimate Dreamers haben sich mit Len Lemeire (Implant, 32Crash) einen versierten Mann ans Mischpult geholt. Er hat es geschafft, das nostalgische Moment der Band einzufangen, ohne die Platte altbacken klingen zu lassen. "Paradoxical Sleep" zeigt The Ultimate Dreamers auf dem Zenit ihres Schaffens und ist das bislang beste Album ihrer Karriere.

Dieser Mann ist rastlos. Songwriter, Sänger, Film- und Theatermusiker und auch noch Technoproduzent - anscheinend muss nur irgendwo ein Instrument, egal ob akustisch oder elektronisch, rumstehen - schon ist Lasse Winkler am Spielen. Welche wahnwitzigen und gleichzeitig genialen Nummern sich dieser Mann aus der Zirbeldrüse zieht, kann man bei seinem Album "Verdammt Nochmal", das er 2023 unter seinem Pseudonym Acud herausbrachte, sehr gut festmachen. Unter lässigen Nudiscosounds präsentiert der Mann aus Berlin teilweise verschrobene Lyrics, die einem Peterlicht zur Ehre gereichen würde. Von dieser Abgewichstheit ist auf "Weltflucht" nichts mehr zu hören. Lasse ist hier wieder der Singer/Songwriter, der auf seiner neuesten Langrille tief in die deutsche Lyrikwelt eintaucht. Der Albumtitel basiert auf das gleichnamige Gedicht der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler; Lasse trägt das intensive Poem unter fuzzigen Gitarrenläufen (eingespielt von Andreas Spechtl von Ja, Panik) und einer stoischen Synthiebasslinie vor. Else hätte es gefallen! "Weltflucht" vereint verschiedene alternative Musikrichtungen, die sich der Stimmung der einzelnen Lyrics anpassen. Dass in "Erde" der Acud-Sound wieder aufploppt, ist dem Thema des Stücks geschuldet. Daher gelingt Lasse Winkler das Kunststück, trotz einer ausufernden Stilmelange ein homogenes Album zu erschaffen, das nicht einen Moment lang die Spannung verliert. Bei "Weltflucht" vibriert die Luft, und Lasses manierierter, heller Gesang on top macht das Album unwiderstehlich.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 18.02.25 | KONTAKT | WEITER: DECENCE VS. THEE HYPHEN>

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