WOLFGANG FLÜR "MAGAZINE 1" VS. ROBERT SCHROEDER "SPACES OF A DREAM VS. H/P "PROGRAMMA" : DER MENSCH-MASCHINE GEFÄLLT DAS! - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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WOLFGANG FLÜR "MAGAZINE 1" VS. ROBERT SCHROEDER "SPACES OF A DREAM VS. H/P "PROGRAMMA" : DER MENSCH-MASCHINE GEFÄLLT DAS!

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Sicherlich wird Kraftwerk vor allem durch das Wirken ihrer beiden Gründungsmitglieder Ralf Hütter und dem 2020 verstorben Florian Schneider-Esleben definiert. Doch Wolfgang Flür hat einen entscheidenden Beitrag für die einzigartige Klangästhetik beigetragen. Er ist es nämlich gewesen, der mit seinem selbst gebauten elektronischen Schlagzeug das markante Rhythmusgerüst für die Kraftwerk-Songs generierte. Gerade Alben wie "Mensch-Maschine" (1978) und "Computerwelt" (1981), zweifelsfrei die vielleicht einflussreichsten Alben der Gruppe überhaupt, leben von Flürs Rhythmusideen.

Das Auseinanderdriften zwischen ihm und den Rest-Kraftwerklern Mitte der 1980er (nach dem noch einmal beeindruckeden Album "Electric Café") war fast schon eine logische Konsequenz. Hütter und Schneider sahen sich als die Protagonisten, der Rest, ergo Flür, war Staffage, obwohl sie besonders ihm viel zu verdanken hatten - vor allem sein technisches Know-How war für die Band sehr gewinnbringend.

Wolfgang hat sicherlich darunter gelitten, und noch das vorherige Album "Eloquence", das auch schon wieder knapp sieben Jahre zurückliegt, scheint in Teilen eine Abrechnung mit seiner Vergangenheit zu sein. Doch jetzt, mit Mitte 70, wirkt der Musiker endlich von den düsteren Schatten seiner Vergangenheit befreit. Zumindest macht das aktuelle Werk "Magazine 1" nicht mehr den Anschein, als muss der Mann sich noch mal künstlerisch mit seinem alten Arbeitgeber auseinandersetzen.

Vielmehr ist das Album ein deutlicher Schritt in Richtung Zukunft. Der Techno-Pop vereint das beste aus früher und jetzt. Ganz markant wird dies bei "Night Drive" deutlich, das den Flür'schen Rhythmusklang mit aktuellen Soundsästhetiken kreuzt. Darüberhinaus bringt er mit "Best Buy" auch eine humoristische Kapitalismus- und Konsumkritik aufs Tablett.

Ohne Zweifel: Wolfgang hatte sichtlich Spaß, an "Magazine 1" zu arbeiten. Der Hörer indes darf sich nicht nur auf Flürs superber Elektronik freuen, sondern auch auf eine unglaubliche Riege von Gastmusikern, darunter Claudia Brücken (ex-Propaganda), Midge Ure (Ultravox), den Techno-Größen U96, Carl Cox und Juan Atkins, sowie das Projekt Maps, das mit "Say No" ein klangliches Pendant zu "Computerwelt" gelungen ist, um vielleicht doch noch eine Parallele zu Kraftwerk zu ziehen.

"Magazine 1" bleibt allerdings ein sehr eigenständiges Werk, in dem sich das Wissen aus rund fünf Jahrzehnten elektronischer Popmusik mit dem Wunsch nach Fort- und Weiterführung paart und dabei auch den Humor nicht außer Acht lässt. Ein ganz eigenes Album eines wahren Künstlers, der mehr als nur eine Mensch-Maschine war.

Im Gegensatz zum mechanischen Klang aus Düsseldorf, zielte die Musik der so genannten Berliner Schule auf einen weitaus transzendentaleren Ansatz. Während am Rhein mit druckvollen Beats an der Popmusik der Zukunft geschraubt und gefriemelt wurde (und nebenbei neue Stilrichtungen wie EBM hier ihren Anfang genommen haben), hat man sich in der Mauerstadt auf einen eher geschmeidigen, von breiten Synthieflächen umgarnten, epischen Elektronikklang verständigt, der vor allem von Bands wie Tangerine Dream und dem Musiker Klaus Schulze favorisiert wurden.

Letztgenannter war auch das große Vorbild von Robert Schroeder, der sogar seinen Sohn nach seinem Idol benannte und es zudem schaffte, Schulze als Taufpaten zu gewinnen. Mittlerweile aber darf sich Schroeder, dessen hohe Veröffentlichungsschagzahl bewundernswert ist, selbst als einen "Godfather of Berlin School" nennen, wenn er will.

Beeindruckend ist und bleibt aber, wie gesagt, seine in den letzten Jahren vielen Releases. Das letzte Werk "Pyroclast" ist nicht mal ein Jahr her, da wird mit  "Spaces Of A Dream" ein weiteres Kapitel aufgeschlagen. Diesmal entführt uns Schroeder in die Weiten des Weltraums, die bekanntermaßen unendlich sind. Und so verschafft uns auch das neue Werk des Musikers Unendlichkeit - durch einen ganz einfachen, aber dennoch wirkungsvollen Trick: Die Instrumentale gehen perfekt und nahtlos ineinander über. Es ist ein Non-Stop-Album, quasi ein einziger Song, der über 50 Minuten nicht nur die Weite des Weltalls, sondern auch die Weite unserer Seele offenbart.

Auch wenn es sich um einzelne Songs handelt, so funktioniert das Album nur in seiner Gesamtheit, weswegen es jetzt mühsam wäre, einzelen Abschnitte dieses Opus magnum herauszuheben. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass "Spaces Of A Dream" sich sowohl klassischer Chill-Out-Regularien bedient, als auch in manchen Momenten der Rhythmik etwas mehr Raum zugesteht. Dennoch: Zum Tanzen regt "Spaces Of A Dream" nicht wirklich an, was auch schon der Titel  verrät. Es geht hier ums träumen - weg von der Realität und hinein in eine imaginäre, eine fantasievolle Welt, in der alles möglich scheint.

"Spaces Of A Dream" klingt dabei nicht verstaubt. Andererseits ist es auch jederzeit erkennbar, dass wir es hier mit einem Werk zu tun haben, dessen Komponist schon einiges musikalisches Wissen besitzt.

Welche Interessens- und Wissensgebiete das etwas nebulöse französische Projekt h/p ihre Favoriten nennen, ist nicht ganz so eindeutig. Ihr erstes Album "Programma" jedoch lässt die starke Vermutung zu, dass auch sie sich in ihren Kompositionen den klassischen Elektronik-Pop-Strukturen verpflichtet fühlen. Das Album besteht aus zehn Songs, die alle aus analogen Instrumenten entstanden sind.

Oder wie es der Werbetext so schön sagt: "(...) sound returning from the era of the beginning of machines. Those without memories or computers." Schließlich ist die Spannung in der Musik eine andere, wenn sie ohne Zwischenstufen direkt auf die Bänder eingespielt, anstatt im Trial-And-Error-Verfahren am Heimrechner erstellt werden. Die Dynamik alter Electro-Pop-Songs der Prä-Sampler- und Midi-Schnittstellen-Ära fängt "Programma" daher auch perfekt ein und führt sie uns wieder ins Bewusstsein zurück.

Wobei das Projekt wohl eine große Inspirationsquelle besessen hat. Und das ist nicht Kraftwerk, sondern eher Ultravox in seiner frühen Phase mit Midge Ure, respektive des ersten Solo-Albums "Metamatic" von John Foxx. Man höre sich nur mal "The Alarmist" an: Die pluckernden Beats und stakkatohaften Sounds erinnern fatal an "Sleepwalk", während "Black Tea" die fiebrige Basslinie von "The Thin Wall" übernommen hat, und die spröde Klangästhetik des Titelsongs erinnert an "Mister X". Wobei damit dann doch noch der Brückenschlag zu Kraftwerk vollzogen werden kann, hat Ultravox Drummer Warren Cann diesen Song seinerzeit als Hommage an die Düsseldorfer Techno-Pop-Pioniere erdacht.

Doch bei allen Zitaten und Querverweisen auf den New Romantic der frühen Achtziger, besitzt "Programma" natürlich noch genügend eigene Ideen, um nicht als dumpfes Plagiat verrissen zu werden. Geschickt eingebaut sind diese Verweise allerdings schon, weil sie den Hörern erfolgreich triggern. "Programma" ist ein nostalgischer, etwas wehmütiger Blick zurück auf eine Zeit, in der die elektronische Musik eine Innovation nach der anderen hervorbrachte und einen fast schon naiven Futurismus heraufbeschwörte. Synthesizer griffen die Zukunft vorweg, so dachte man.

Mittlerweile ist man da auch schon weiter. Songs werden sogar von Algorithmen, also so etwas wie einer künstlichen Intelligenz, komponiert. Eine fast schon erschreckende Entwicklung. Da sind die Stücke von Wolfgang Flür, Robert Schroeder und h/p um ein Vielfaches angenehmer. Denn wenn sie auch wie Mensch-Maschinen agieren, ist da - und nicht nur im Namen - immer noch der Mensch, der die Maschine beherrscht. Und nicht umgekehrt.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 03.03.22 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS "ZEITGEIST CHROME VOL. 01">

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COVER © CHERRY RED RECORDS (WOLFGANG FLÜR), SPHERIC MUSIC (ROBERT SCHROEDER), BOREDOM PRODUCT (H/P)

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