K.FLAY "EVERY WHERE IS SOME WHERE" VS. CANDELILLA "CAMPING" VS. LAURA SCHEN "METAMORPHOSIS": WAS FRAUEN WOLLEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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K.FLAY "EVERY WHERE IS SOME WHERE" VS. CANDELILLA "CAMPING" VS. LAURA SCHEN "METAMORPHOSIS": WAS FRAUEN WOLLEN

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Oberflächlich betrachtet hat es den Anschein, dass wir tatsächlich in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben. Doch im Kleinen entdecken wir, dass manche Vorurteile noch immer bestehen - in Form positiver Diskriminierung.

So wird im Falle von Kristine Meredith Flaherty immer wieder gerne betont, dass sie im Besitz zweier Universitätsabschlüsse in Soziologie und Psychologie ist, die sie an der Stanford University gemacht hat. Ob das in erster Linie etwas mit ihrer Musikkarriere, die sie unter dem Alias K.Flay stetig aufbaut, zu tun hat, sei mal dahingestellt. Unterschwellig beeindruckt den einen oder andere männliche Schreiber wohl ihre selbstbestimmte Art. Dabei sollte es doch eigentlich kein Thema mehr sein, dass man als Künstlerin ernstgenommen werden möchte.

Beeindruckend ist lediglich die Tatsache, dass K.Flay - vulgär ausgedruckt - mehr Eier in der Hose als manch anderer Kollege ihrer Zunft besitzt. Zu spüren bekam das ihr ehemaliges Label RCA, als sie kurzerhand den Vertrag mit der Plattenfirma aufgelöst hat, nachdem diese sich weigerte, ihr erstes Album "Life As A Dog" auf den Markt zu bringen. Für die (wir vermuten mal überwiegend männliche) Chefetage war K.Flay nur die hochtalentierte Produzentin ansprechender Mixtapes. Doch ihre persönlich gefärbten Songs würde keinen interessieren. Im Nachhinein dürfte sich RCA noch gepflegt ins Hinterteil beißen für diese Überheblichkeit. Nach den ersten Erfolgen mit dem Debüt ist mit "Every Where Is Some Where" nun ein Monster von einem Nachfolger in die Läden gekommen, das zwischen urban-bedohlichem HipHop, rumpeligem Rock und verdreckter Elektronik jede pittoreske Weiblichkeit negiert und gleichzeitig ein neues Frauenverständnis in den Pop-Zirkus einführt.

Dabei klingt sie geradezu unschuldig beim ersten Hören. Der Opener "Dreamers" wirkt tatsächich geradewegs so, als schaue K.Flay mit großen Augen und voller Hoffnung auf die Wunder der Welt. Dieses rosige Gefühl weicht bereits bei "Giver"einer dunkleren Grundstimmung, die sich irgendwo zwischen der sinistren Opulenz eines "Kingdom" von Dave Gahan und dem schwarzen Abgrund von Nine Inch Nails' "Closer" aufhält. "Blood In The Cut" macht letzendlich deutlich, dass K.Flay nicht mit Samthandschuhen angefasst werden will. Schließlich macht sie das bei sich selbst (und anderen) auch nicht. In diesem Song lässt sie das Scheißgefühl, von seinem Freund betrogen zu werden, ungefiltert raus. Zunächst noch mit unterschwelligen Melodiebögen aus dem Frequenzkeller, im Refrain dann mit satten Gitarrenriffs, die wie eine schallende Ohrfeige ins Gesicht daherkommen.

Auch wenn der alternative Funk-Pop in "Hollywood Forever" noch einmal den Wunsch nach einem problemlosen Leben äußert, verharrt K.Flay nicht in einer persönlichen Befindlichkeitsstudie, sondern blickt mit Sorge auf die Welt. "The President Has A Sex Tape" mag als Titel eher ironisch klingen, aber ihre Worte sind explizit. "The Immigrant Died At Sea, First They Come For You, Then They Come For Me" diagnostiziert sie unter bluesigen Rhythmen und einer vor sich hinwürmelnden Basslinie. Vor allem bei "It's Just A Lot" tut sich ein Abgrund auf - im positiven Sinne. Es ist der poppigste Song auf "Every Wehre Is Some Where", gleichzeitg aber auch der deprimierendste, wenn man sich den Text anhört, der von einem unüberwidnbaren Skeptizismus durchzogen ist.

Während sich die Amerikanerin also mit aller Macht in die Emotionen stürzt und sie bis zur Schmerzgrenze auslebt, bringt ein weibliches Post-Punk-Quartett aus München eine neue Sachlichkeit in das Genre: Candelilla. Ihr drittes Album "Camping" destilliert sämtliche Gefühle, verteilt sie auf eine Petrischale und beobachtet, was passiert. Sängerin Mira Mann seziert dabei Körper wie eine Forensikerin und gibt im, teilweise hastigen, Telegramm-Stil ihre Eindrücke wieder. So wird die "Hand" biologisch betrachtet: "33 Muskeln, 27 Sehnen" donnert es wie eine unumstößliche Gewissheit. Und was man damit alles machen kann: "Überprüfen, Verwalten, Berechnen (...)". Nur kurz zeigt sie eine Gefühlsregung. "Berühre meine Hand", fordert sie den unbekannten Gegenüber auf. Ob er es erwidert, bleibt offen.

Der kantig-dröhnende Sound rückgekoppelter und schräg angeschlagener Gitarren verweigert jede emtionale Annäherung an das Leben. Selbst im etwas zutraulicheren "Ruhig draußen" mag der leidenschaftliche Funke nicht entfacht werden. "Ich mag deinen Körper. Er hat eine schöne Oberfläche (...) du sendest News, die mich interessieren". Diese Zeilen sind schon der größte Zuspruch an die inneren Regungen; Liebeslyrik klingt definitiv anders. Selbst das Erforschen anderer Pärchen wie in "Pool" wird zu einem enttäuschenden Akt. "Lust und Langeweile. Sie sagen nichts und verstehen sich."

Geradezu kriegerisch bricht "Intimität" jene besungene Vertraulichkeit auf. Intim ist nur noch das Wort, das aber unter Miras gleichtönigem, aufrührerischen Ausrufen seine lexikalische Semantik verliert und zum reinen Laut wird, das, wiederholt ausgesprochen, sich dem musikalischen Konzept untergeordnet hat.

Alles, was auf "Camping" geschieht, nimmt das Albumcover vorweg: Vor klinisch weißem Hintergrund halten zwei Hände eine gallertartige Masse, einer Innerei nicht unähnlich, vor die Kamera. Was wird da einem zur Schau gestellt? Unweigerlich fängt man an, das hautfarbene Etwas zu begutachten - und nimmt damit die gleiche Rolle wie Mira ein, die ebenfalls alles, was um sie herum geschieht, mit analytischem Blick auffängt.

Das Album wirkt distanziert und kühl, ist aber bei genauerer Betrachtung eigentlich ein ausgelassenes Spiel der Gruppe auf mehreren Ebenen. Denn es spielt einserseits mit den Erwartungen der Hörer, die mit vagen Versatzstücken eines weiblichen Popgenius konfrontiert werden (und im einzig englischsprachigen Song "Transformer" die größten Zugeständnisse daran macht). Andererseits ist das Werk auch ein Spiel mit der Sprache an sich. Und zwar sowohl in gesprochener als auch in geschriebener Variante: Im Booklet laufen die Strophen nicht ordentlich linksbündig, sondern verteilen sich zu unterschiedlichen Gruppen auf den ganzen Seiten, was mehrere Lesarten geradezu initiiert.


"Camping" ist intellektuelle Kunst. Wie ein moderner Schwarz/Weiß-Arthouse-Streifen auf ARTE. Es wird angedeutet, metaphorisch verschleiert, träumerisch ausgeblendet, aus unmöglichen Perspektiven Situationen kurzzeitig belichtet. Diese Radikalität erinnert an solche ikonischen Bands wie Nichts oder der ebenfalls als All-Girl-Band gestarteten X-mal Deutschland, die sich in der damals formierenden Gothic- und Independent-Szene schnell etablierten.

Ein wenig von dieser schwarzen Noblesse lässt sich auch bei Laura Schen ausmachen. Vielleicht ist es die beschwörende wie betörende Stimme der Berlinerin, die etwas zutiefst Melancholisches, ja, geradezu Morbides beherbergt. Musikalisch hingegen bläst sie auf ihrem dritten, in Eigenregie veröffentlichten Album "Metamorphosis" zu einem elektronischen Sturmlauf. Im Vergleich zum ebenfalls anspruchsvollen aber weitaus poppigeren Vorgänger "Electronic Bubbles", verdingt sich die Sängerin nun komplett in einen vertracktes Synthesizer-Korsett, das sie wie einen Stachelpanzer einhüllt.

Aus diesem tönernen Kokon sendet Laura Schen ihre Gedanken in die Welt hinaus - es sind Gedanken eines sensiblen, weiblichen Wesens. Die Musikerin ist sich zu jeder Zeit ihres Geschlechts bewusst, lässt aber keine plumpe Projektionen männlicher erotischer Phantasien zu. In Stücken wie "The Upside Down" agiert sie wie ein ätherisches Wesen, das hinter sägenden Sequenzen und leicht angezerrtem Drumprogramming sonderbar schleierhaft, gleichwohl aber auch anziehend wirkt. Ihre Unnahbarkeit, das Nicht-Erfassen-Können ihrer doch so starken Präsenz bleibt ein mysteriöses Rätsel, das man aber bereit ist, nicht zu lösen, sondern einfach hinzunehmen, um sich von dieser Magie bezirzen zu lassen.


Unweigerlich tappen die männlichen Vertreter der Spezies Mensch dabei in die Vorurteilsfalle. Denn wird bei so einem extrem maschinellen Sound nicht sofort ein technikaffiner, vielleicht leicht nerdiger Musiker dahinter vermutet? Wie die amerikanische Wahlhamburgerin Erica Ghosthorse alias Unter Null spielt auch Laura Schen mit den Stereotypen, die in den Gegen- und Subkulturen unbestritten vorhanden sind. Hinter all den Knarzen, Zischen und Dröhnen verbirgt sich ein weibliches Wesen, die beobachtet und auch beobachtet werden will. "A Woman", wie eines ihrer programmatischen Songs lautet, ist Laura Schen durchaus.

Die Frau als sensible Künstlerin, als Mittlerin für Emotionen, erhält in diesem Album eine neue Qualität. Scheinbar absichtlich wendet sie auf dem Cover auch von der Kamera weg, gibt ihre weiblichen Reize nicht offenkundig preis, ihr Gesicht ist nur im Profil zu sehen. Sie verharrt in künstlerischer Pose, einer Tanztheaterszene nicht unähnlich. Das in strengem Schwarz/Weiß gehaltene Bild scheint zu uns zu sprechen: "Schau genau hin, hier passiert gleich etwas Großartiges". Das Versprechen, das auf dem Cover gegeben wird, löst das Album mühelos ein.

Wenn die Hauptstädterin singt, scheint es, als ob die Hölle gefrieren würde. Wie die Kollegen von Klangstabil oder die frühen Covenant umgeben die Songs auf "Metamorphosis" eine lähmende Kälte. Die äußere Welt wirkt wie gefangen in einem Eisblock, während die charismatische Musikerin noch voller Leben steckt. Aus dieser Ambivalenz speist sich die Dynamik für ein Album, das über elf Songs hinweg nie Langeweile zu versprühen oder redundant zu werden droht. Der Albumtitel impliziert es: In der Natur finden Metamorphosen meistens in einer katatonischen Hülle statt.

Laut, schrill, atonal, mechanisch: K.Flay, Candelilla und Laura Schen geben sich nicht mit dem Image eines blassen Pop-Püppie zufrieden, das sich männlichen Schönheitsidealen devot unterwirft und mit zuckersüßen Balladen oder ausdruckslosen Tanznummern wie viele andere in die unendlichen Weiten der Belanglosigkeit abdriften. In einer Zeit, in der konservative Kräfte immer größeren Zuspruch erhalten und wieder fragwürdige Geschlechterrollen entworfen werden, die man vor rund 30 Jahren glaubte, zerschlagen zu haben, sind diese drei Werke klare Statements selbstbestimmter Weiblichkeit und die wohltuenden Farbbomben auf ewiggestrige Frauenbilder.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 02.05.17 | KONTAKT | WEITER: IM PROFIL: JOHAN ANGERGÅRD>

Webseite:
www.kflay.com
www.candelilla.de
www.lauraschen.bandcamp.com

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COVER © NIGHTSTREET/INTERSCOPE (K.FLAY), TROCADERO/ZICKZACK (CANDELILLA), LAURA SCHEN

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