

Die Musiker Nightcrawler und Ben Bekeschus sind nicht nur formidabel im Erstellen eigener Stücke, sondern verstehen sich auch blendend auf das Neuabmischen fremden Materials. Ersterer hat diverse Songs von Bands des Cold Transmission Labels durch seine Rechner laufen lassen, während Ben auf "Duchströmungen 4" sein Können im Bereich entspannter Ambient-Dub-Mucke zum Besten gibt. Als Spiralectric interpretiert er ebenfalls Songs anderer Projekte.
"Es wird immer weitergehen. Musik als Träger von Ideen". Die Zeile aus Kraftwerks Stück "Techno Pop" steht nach wie vor felsengleich für die ständige Kontinuität musikalischer Evolution. Denn trotz einer begrenzten Menge an Möglichkeiten harmonischer Tonvereinigungen, sind immer wieder neue und ungehörte Klänge zu vernehmen. Das nebulöse Projekt Dorcas und die norwegischen Årabrot zeigen auf ihren Alben, wie sich Passion und Innovation liebevoll umarmen und zwei meisterhafte Langrillen entstehen ließen.
Für reine Discomusik viel zu intellektuell, für stilles Rezipieren im Kämmerlein viel zu energiegeladen. So präsentieren sich Jakob Häglsperger alias Kalipo, Steffen Linck aka Monolink und Joel Gibb mit seinem Projekt The Hidden Cameras. Ihre Alben verquicken adrenalininduzierte Tanzelektronik mit durchdachten Texten und tiefergehenden Betrachtungen, sodass nicht nur die Beinmuskulatur beansprucht wird, sondern auch der Denkapparat in Gang kommt. Diskothek und Diskurs schließen sich nicht aus.

Wenn Tim Scott McConnell alias Ledfoot seine zwölfsaitige Gitarre nimmt und anfängt zu singen, geschieht das nicht mit großer Show oder übertriebener Selbstdarstellung, sondern in aller Unaufgeregtheit. Doch was der Mann, den ein wenig die Aura eines Schurken aus einem Westernfilm umgibt, singt, ist an teilweise schmerzlicher Wahrheit nicht zu überbieten. "Plain Simple Honesty" legt den Finger in die Wunde unserer Gesellschaft, bleibt aber auch in der Selbstbetrachtung schonungslos.
Melancholisch-düster, aber auch tanzbar-eingängig präsentieren sich diese fünf Kurzbesprechungen, angefangen mit einer feinen Ansammlung rarer Maxi-Versionen der kultigen Psyche bis hin zu den bewusst anachronistisch gehaltenen Tracks vom noch relativ jungen Raskolnikov. Und wieder einmal wird deutlich: Die seit Dekaden bestehende Schwarze Szene kommt - musikalisch gesehen - immer wieder zu ihren Wurzeln zurück. Warum auch etwas reparieren, was sowieso funktioniert?
Ob sie Kinder der Nacht sind? Jedenfalls produzieren Laura Schen, S Y Z Y G Y X und Dina Summer Songs, deren dichte Atmosphären wahlweise zum rituellen Stammestanz zur Geisterstunde oder als Beschallung in Düsterdiskotheken herhalten können. Dabei begibt sich Laura Schen in die Welt der Zahlenmystik, während S Y Z Y G Y X über die lustvollen Sünden singt. Am Ende bringen Dina Summer mit ihrer zweiten Remix-Scheibe zu ihrem aktuellen Album "Girls Gang" die Leiber zum Schwitzen.

Mal wieder ein bisschen Heimatkunde: In den vergangenen Wochen sind einige feine Alben veröffentlicht worden, die nicht nur die Schönheit der deutschen Sprache offenlegen, sondern zwischen Innerlichkeit und gesellschaftlichen Statement die lyrischen Möglichkeiten ausloten, die sich fernab von massenkompatiblen "reim dich oder ich fress' dich"-Strategien bewegen. Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nah liegt? Fünf Alben nicht nur für den Deutsch-Leistungskurs.
ENSEMBLE ÉLITAIRE "RAS DWA TRI" VS. ROTERSAND "DON'T BECOME THE THING YOU HATED: SCHÖN EINFACH, EINFACH SCHÖN
Die Bedeutung von Alben ist in der Streamingkultur auf ein klägliches Minimum geschrumpft. Umso schwieriger wird es für Musikerinnen und Musiker, seine Hörer über die Länge eines Longplayers bei der Stange zu halten. Dafür braucht es mehr als nur einen Überraschungsmoment. Das Ensemble Élitaire und Rotersand zeigen, wie es geht: mit unorthodoxen Texten (erstere) und unvorhergesehenen Stilerweiterungen (letztere) - und natürlich mit dem Gespür für funktionierende Songs.
FERNANDO'S EYES "CENTER OF YOUR WORLD" VS. FEU FOLLET "SWAMPS OF SADNESS": EINZEL- UND GEMEINSCHAFTSARBEIT
Normalerweise ist Fernando Honorato als Vorsteher seiner Gruppe Principe Valiente bekannt. Nun hat er sich erstmals ohne fremde Hilfe an ein Album gewagt, das stilistisch gesehen gar nicht so weit von seiner Hauptband weg ist. Das französische Projekt Feu Follet hingegen liebt die Zusammenarbeit mit anderen Musikern. Sie schaffen auf ihrem neuesten Longplayer den fast schon unmöglichen Spagat zwischen Vielschichtigkeit und Wiedererkennung.