18/23: B.ASHRA, IGOR YALIVEC, BRUEDER SELKE - UNTER WASSER UND ÜBER DEN WOLKEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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18/23: B.ASHRA, IGOR YALIVEC, BRUEDER SELKE - UNTER WASSER UND ÜBER DEN WOLKEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2023
2023. Das wärmste Jahr seit Beginn der meteorolgischen Aufzeichnungen, krisengeschüttelt unter anderem durch die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, gesellschaftspolitisch zunehmend national-konservativ, auch und vor allem in Deutschland. Dieses Jahr war herausfordernd, euphemistisch umschrieben. Da tun entspannte Klänge, die helfen, sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren, wirklich Not. Schließen wir die Fenster in die Welt und öffnen wir jene zu unseren Gedanken und Emotionen.

Momente der inneren Ruhe sind für Bert Olke alias B. Ashra Haupttriebfeder seiner Kunst. Das macht ihn zum gern gesehenen Gast bei UNTER.TON. Denn sein Ambient-Sound hebt sich wohltuend von den austauschbaren Möchtegern-Meditativmusikern. "Aurora", eines seiner neuen Werke, zeigt den Musiker auch als perfekten Performer. Die Platte basiert auf einem Live-Set, das er auf dem "Open Ear Ambient Festival" irgendwo im Nirgendwo der fränkischen Schweiz spielte. Umgeben von fast unberührter Natur hat er dort seine sphärischen Sounds gespielt, die er aus den Geräten rauskitzelte. Je nach Song, die bereits früher veröffentlicht worden sind, wurden die Synthesizer nach dem klassischen Kammerton A gestimmt oder nach den Schwingungen von Molekülen und Planeten. "Red Spot" hat beispielsweise die Schwingung von Jupiter als Vorlage, "Green Dose" basiert auf den Schwingungen des THC-Moleküls, jenem berauschenden Stoff der Cannabis-Pflanze. Die knapp zweistündige tönerne Reise entführt den Hörer in ein musikalisches Wunderland, das versucht, im Einklang mit der Natur zu stehen. Ohne Beats und forderndes Schlagwerk, sondern nur auf die Quintessenz tragender Synthieflächen und verspielter Synthesizer-Töne reduziert, lässt "Aurora" erahnen welchen ganzheitlichen Ansatz B. Ashra mit dieser Performance verfolgt hat und wie sehr seine Musik Teil unserer Umwelt sein kann. Fast schon kitschig schön beginnt "Aurora" denn auch mit Vogelgezwitscher, um die Grenze zwischen elektronischer, ergo: künstlich erzeugter, Musik und natürlichen Klängen aufzulösen. Ein schwebendes, schwereloses Album, in das man eintauchen und sich verlieren möchte.

Zeitgleich hat der umtriebige Musiker auch ein Album mit neuen Stücken veröffentlicht. "Dark Moments" setzt an der selben Stelle an wie "Aurora", verläuft aber doch ganz anders. Erneut werden die Umlaufbahnen von Planeten, insbesondere Erde, Neptun und Merkur als Basis für die weiten Klanglandschaften genutzt, allerdings steht das "Dark" im Albumtitel sowie das submarine Cover für eine nur schwach erforschte Gegend unseres Planeten: den tiefsten Tiefen des Ozeans. Dort, wo das Licht nicht mehr hinreicht und der Mensch aufgrund des immensen Drucks ohne spezielles Gerät nicht überleben kann, beginnt die Reise von "Dark Moments", in denen dunkle Drones die bedrohliche Schönheit der Tiefsee beschreiben. Auch wenn "Mercury Drone" sich zwar auf Merkur bezieht, also jenen Planeten, welcher der Sonne am nächsten ist und auf dem es mit einer Tagestemperatur von über 400 Grad kein Wasser gibt, muten Töne, die Walsgesängen ähneln, dennoch wie ein Soundtrack für eine Unterwasserexkursion an. Auch "Indian Summer", das sich in seiner ganzen Atmosphäre eher an der Oberfläche aufhält, besitzt immer noch durch die wuchtig und gleichzeitig sparsam eingesetzten Trommeln einen Hang zum Tiefseetauchgang. Im Gegensatz zum oben besprochenen Live-Mitschnitt "Aurora", bei dem die Klänge federleicht in der Luft flirren, geht "Dark Moments" gaaaaanz weit runter und saugt auch noch das letzte bisschen Helligkeit aus, um am Ende von nichts als Dunkelheit umgeben zu sein. "Musik für Tiefseetaucher" beschreibt B. Ashra das, was auf dem mittlerweile 17. Album des Berliners zu hören ist. Hier scheint es allerdings, als würde man nicht mehr an die Meeresoberfläche zurückkehren.

Man darf es schon als ein kleines Wunder bezeichnen, dass Igor Yalivecs neuestes Album "Etudes" derart positiv ausgefallen ist. Schließlich hat der Mann aus der Ukraine die vielleicht schlimmsten Monate und Jahre seines Lebens hinter sich - und leider auch bevor. Die Grausamkeit des Krieges blendet der Musiker allerdings komplett aus seinen Kompositionen aus. Allerdings bieten Stücke mit Namen wie "Melancholia", "Liberty" und "Emergency" zumindest die Vorlage, die kunstvoll geklöppelten Stücke auch als abstrakten Kommentar zur Lage der Nation zu verstehen. Letztgenannter Song bringt mit seinen sirenenartigen Tönen so etwas wie einen leisen Unfrieden in die sonst so umschmeichelnden Drones und Flächen. Seine freischwebenden Nummern sind aber in der Regel ein Festhalten des Moments, ein Gewahrwerden des Hier und Jetzt. Und an manchen Tagen, wenn die Panzer und Gewehre für einen kurzen Moment still stehen, könnte man sich auch an der Gegenwart erfreuen. Dann jubilieren die Synthesizer wie in "Liberty" und rollen wohlig-warme Soundteppiche aus, die so leichtfüßig durch den Raum schweben, dass sie das traurige Leben vergessen machen, das sicherlich auch Igor momentan leben muss. Es ist sicherlich nicht leicht, "Etudes" nicht im Kontext eines Künstlerlebens im Krieg zu deuten. Und es sicherlich auch nur menschlich, wenn der Schrecken einer militärischen Aktion im eigenen Land auch die Kunst beeinflusst. Der Musiker bleibt aber in dieser Hinsicht vage und will einfach nur mit seinen teilweise meidtativen Klängen die Schönheit der Töne einfangen. Ein Stillleben in Noten, perfekt umgesetzt.

Das Kräftemessen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion erreichte in den 50ern und 60ern des letzen Jahrhunderts einen ersten Höhepunkt, als beide Seiten versuchten, den Weltraum zu erobern. Sehr zur Verwunderung der ganzen Welt war es das kommunistische Regime, die mit Sputnik nicht nur den ersten Satelliten in den Himmel schoss, sondern kurze Zeit später auch erste Lebewesen. Die Hündin Laika dürfte wohl das bekannteste Tier sein, das aber während des Experiments 1957 verstarb. Drei Jahre später waren es die beiden Hündinnen Belka und Strelka, die in den Orbit geflogen und auch wieder wohlbehalten zurückgekommen sind. Die Experimental-Komponisten Brueder Selke, bestehend aus Daniel und Sebastian Selke, haben sich diesem Thema gewidmet und daraus eine Live-Performance gemacht. Wer nun denkt, dass die beiden Männer sich den klassischen sphärischen Sounds widmen würden (und diese vielleicht auch noch mit russischer Folklore vermengen), liegt falsch. Durch die anspruchsvollen Kompositionen, bei denen das Cello zwar als Hauptinstrument fungiert, aber immer unterschiedlich bearbeitet wird (gezupft, geloopt,...), vermeidet das Brüderpaar, zu sehr in den musikalischen Kitsch abzudriften. In Stücken wie "Wendepunkte" öffnet sich der Kosmos vor dem geistigen Auge als ein bedrohlicher, aber gleichsam faszinierender Raum. Der Titelsong präsentiert eine nervöse Arpeggiolinie, über die sich das Cello immer nur wie im Vorbeihuschen meldet. Das macht die Besonderheit der Gebrüder aus: In ihren klassischen Strukturen bauen sie experimentelle, avantgardistische Versatzstücke ein und öffnen Türen zu neuen Klangwelten, die noch kein Mensch gehört hat.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 08.12.23 | KONTAKT | WEITER: CULK VS. MIBLU>

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