SOMMERSONGS FÜR FORTGESCHRITTENE: SOPHISTISCH SCHWITZEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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SOMMERSONGS FÜR FORTGESCHRITTENE: SOPHISTISCH SCHWITZEN

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Sonne macht, laut dem allseits bekannten Slogan für Gothic-Umhängetaschen, albern. Das ist nicht von der Hand zu weisen, denn so ganz klar ist dem Autor auch nicht, warum er sich dafür entschieden hat, Sommerhits, die eigentlich gar keine sind, aufzulisten. Vielleicht, weil ihm das regelmäßig ausgestrahlte "Despacito" von Luis Fonsi, der notabene diesjährige Gassenhauer für die Gartengrillparties der Republik, mittlerweile derart gehörig auf den Keks geht, dass er in seiner Verzweiflung nach etwas substantiellerem gesucht hat. Natürlich wurde er auch fündig.


PLATZ 5: THE STRANGLERS "ALWAYS THE SUN" (1986)
Anfangs noch der Punkszene zugerechnet, wurde schnell klar, dass The Stranglers viel mehr drauf hatten, als ein paar Akkorde herunterzuschrubbeln. Das 1981 erschienene "Golden Brown" mit ungewöhnlicher Cembalo-Melodie im noch ungewöhnlicheren 6/8- beziehungsweise 7/8-Rhythmus lieferte den Beweis. Fünf Jahre später enterten die "Würger" ein weiteres Mal die Hitparaden mit "Always The Sun". Es ist ein typisch britischer Song, gewürzt mit einer feinen Prise Ironie und schwarzem Humor. Vordergründig besingen sie, fast schon in hippieesker Art, dass wir alle unter der einen Sonne leben, und sie scheint für uns alle gleich. Das zunächst unspektakuläre Video bringt an den entscheidenden Stellen aber kleine zynische Pfeilspitzen unter. "Who has the fun? Is it always a man with the gun?", fragt Hugh Cornwell und zückt eine Pistole, mit der er auf eine antik wirkende Sonnendarstellung zielt und abdrückt. Oder noch deutlicher: "Who gets the job of pushing the knob? That sort of responsibility you draw straws for, if you're mad enough" (zu deutsch: Wer bekommt den Auftrag, den Knopf zu drücken? Diese Art der Verantwortung, für die du Streichhölzer ziehst, wenn du verrückt genug bist). Cornwell drückt dazu auf einen roten Knopf und alles erstrahlt explosionsartig hell. Die Andeutung des nuklearen Infernos ist in dieser Zeit nicht unüblich. Genesis' "Land Of Confusion", das sich explizit mit diesem Thema auseinandersetzt, erschien im gleichen Jahr (und auch hier drückte Präsident Reagan als Gummipuppe auf einen roten Knopf). Nur tendieren The Stranglers bei "Always The Sun" nicht zur apokalyptischen Posiererei, sondern nehmen dem Stück durch einen federleichten Refrain mit glockenhellem Background-Gesang die Schwere. Denn was sind wir Menschen doch nur kleine Würmchen mit nichtigen Problemen im Vergleich zur unfassbaren Dimension, die unser Fixstern besitzt.

PLATZ 4: LANA DEL REY "SUMMERTIME SADNESS" (2012)
Sommer, Sonne, Glücklichsein? Nicht bei Lana Del Rey. Selbst der größte Gothic-Fan und Hasser radiotauglicher Musik wird versteckt zugeben müssen, dass diese Frau etwas warhaft düsteres umgibt. Dabei bleibt "Summertime Sadness" in seiner Aussage sehr vage. Geht es um eine verflossene Liebe? Oder eine zerbrochene Freundschaft? Und begeht am Ende das lyrische Ich sogar einen typischen Shakespeare-Suizid, um mit dem/der "Seelenverwandten" im Jenseits wieder vereint zu sein? Das Lied lässt viele Schlussfolgerungen zu, die je nach mentalem Gemütszustand des Rezipienten positiver oder negativer ausfallen. Im besten Fall hängt die Protagonistin einer wunderbaren Zeit einer Zweisamkeit hinterher, die ihr aber gleichzeitig diese "Summertime Sadness" beschert. Im schlimmsten Fall jedoch ist die Hauptperson von dieser einstigen Liebe so besessen, dass sie ihrem eigenen Leben ein Ende setzen will. Hinweis auf letztere Lesart des Songs bietet auch das Video zu "Summertime Sadness". In verwackelt-körniger Super-8-Optik sehen wir Lana und eine Freundin, wie sie gemeinsame Momente verbringen, aber auch, wie die vermeintlich beste Freundin von einer Brücke stürzt. Die Sängerin tut schließlich das gleiche, und die Zeile "Got my bad baby by my heavenly side, I know if I go, I'll die happy tonight" wirkt wie der feste Entschluss, auf der "anderen Seite" endlich der "Sommertraurigkeit" zu entfliehen. Dass der Song zudem mit einer, einem Totengeläut nicht unähnlichen, Melodie beginnt, lässt einem glatt den Cocktail an der Strandbar gefrieren.

PLATZ 3: NINA HAGEN BAND "HEISS" (1978)
Bevor die Neue Deutsche Welle in den pubertären Modus schaltete und mit "Prima Klima" und "Sommersprossen" eher an piefige Schwimmbadatmosphäre erinnert, erzählte Nina Hagen bereits Jahre zuvor, was sie macht, wenn ihr heiß ist. Unter ihrer "kalten Brause" steht sie und verschafft sich Erfrischung. So weit so gewöhnlich. Doch bereits ihre mit Nachdruck gestellte Frage zuvor, "Warum sind denn nicht alle so heiß?", lässt den Rückschluß zu, dass es nicht unbedingt nur die Sonne ist, die Frau Hagen etwas zu schaffen macht. Ja, es klingt fast so, als habe sie vor dem Duschen gehen noch eine kleine verbotene Substanz zu sich genommen. Denn ein "Herr Wichsmann" kommt plötzlich aus dem Wasserhahn, dann gesellt sich ihr "Boyfriend" eine Strophe später dazu, und schon bald knistert es gewaltig zwischen den dreien. Hier vermischt sich Halluzination mit schwüler Text-Erotik: Herrn Wichsmann "tropfte ab der Schweiß" und Hagens Boyfriend geht es auch nicht besser, "denn ich schwitze auf der Ritze" lamentiert er. Schließlich erreicht das Finale pornöse Ausmaße: "Dann lagen wir auf der Veranda, über'nander. Die Sonne brannte uns're heißen Köpfe durcheinander." Am Ende hebt Frau Hagen ab und fliegt los - keiner weiß, wohin. Ob es eine Anspielung auf einen Orgasmus nach diesem psychedelisch flotten Dreier ist oder das ultimative Glücksgefühl des Drogentrips beschreibt, mag jeder für sich entscheiden. Dass der Song aber so gut funktioniert, liegt nicht nur an der gewohnt schrillen Art von Mama Deutschpunk. Vielmehr ist es das sich anschleichende, flirrende Keyboard-Intro, das so statisch wie ein windstiller und wolkenfreier Sommernachmittag ist und in einen schleppenden Rhythmus inklusive hinterhergeschleiften Gitarren übergeht. Obwohl kein handelsüblicher Reggae, haben die Musiker, die später als Spliff auf der guten Seite der NDW stehen sollten, einen extrem entspannten Song für die Hundstage eingespielt, der stets herrlich eine Spur zu bekifft klingt, um als Punk durchzugehen.

PLATZ 2: PETERLICHT "SONNENDECK" (2001)
Im Grunde genommen besitzt "Sonnendeck" einen mindestens genauso nichtssagenden Text wie Hape Kerkelings "Hurz". Dennoch schaffte es Peterlicht, mit diesem 2001 veröffentlichten Song die perfekte Gefühlsbeschreibung einer Spaßgesellschaft am Vorabend ihres Endes durch die Terroranschläge vom 11. September zu skizzieren. "Und wenn ich nicht hier bin, bin ich auf dem Sonnendeck, bin ich, bin ich, bin ich, bin ich". Das klingt nach "Da Da Da" in der Version 2.0, hübsch verpackt mit Schleife drum rum. Denn die aufgeräumten Synthesizerkläng sowie der naiv kindliche Sprechgesang des "unsichtbaren" Musikers, lassen bei aller augenscheinlicher Nonsensefassade ein Gefühl von Freiheit für den kleinen Mann von der Straße erahnen. Es ist ein Song "für schwitzende Journalisten, gedrückte Angestellte und andere Büropflanzen", wie es Thomas Gross in einem Artikel für die Zeit treffend formulierte. Im Gegensatz zu den heutigen Deutsch-Pop-Barden, die wahlweise vom "Sommer in Schweden" (Revolverheld: "Lass uns gehen") träumen, oder froh sind, wieder auf der heimatlichen "B 96" (Silbermond) zu cruisen, wählt Peterlicht die Phantasie als Ort der Zerstreuung. Er ist ja nicht nur auf dem Sonnendeck, sondern auch im Solarium, im Aquarium, ja, sogar am Radar. Der eigene Geist wird zum urlaubsreien Navigationssystem. Und dieses folgt einer immanenten Logik: "Alles was ist, dauert drei Sekunden. Eine Sekunde für vorher, eine für nachher, eine für mittendrin." Am Ende fliegen die Sekunden, fliegt letzten Endes auch der Hörer, ins blaue Meer. Ob man in diesem Stück, parallel zu Nina Hagens "Heiß", einen verklausulierten Drogentrip herauslesen kann, ist angesichts des faszinierenden und hochphilosophoschen Oeuvres von Pterlicht wohl nicht der Fall. Vielmehr ist es das unbekümmerte Spiel mit der eigenen Sprache, welches Peterlicht mit einer schlafwandlerischen Sicherheit beherrscht, und das höchstens durch ein zu langes Sonnenbad etwas abstruse Wege eingeschlagen hat.

PLATZ 1. SUNLOUNGER "ANOTHER DAY ON THE TERRACE" (2007)
Um die Jahrtausendwende begann die Hochphase der Chill-Out Sampler und die ganze Republik fühlte sich auf einmal so unbeschwert wie die in weiß gekleidete Frau aus der Raffaelo-Werbung. Angeführt von den schon damals unverschämt teuren "Buddha Bar"- und "Café Del Mar"-Samplern, ging der entspannte Lounge-Sound um die Erde und vermittelte selbst dem weit im Innern eines Kontinents beheimateten Erdling so etwas wie maritime Leichtigkeit. Doch Sunlounger, das Brainchild des deutschen Trance-DJs Roger Shah, ist schon immer eine Spur anders, obgleich sich sein Downbeat-Electro natürlich hervorragend zum abschalten eignet. Während die meisten Projekte jedoch oftmals mit jazzig angehauchten Easy-Sounds aufwarten und eher wie eine sehr dekadente Musikkulisse für schmierige New-Economy-Parties klingen, besitzen die Kompositionen von Sunlounger eine existenzielle Note, wirken wie auf sich selbst zurückgeworfen. "Another Day On The Terrace" aus dem gleichnamigen Debüt des Halbpakistaners beginnt klischeehaft mit einem leichten Wellenrauschen, auf dem sich perfekt flächige Sounds ausbreiten. Sofort entstehen vor dem geistigen Auge Bilder von weißem Strand, türkisem Meereswasser und einem strahlend blauen Himmel. Aber da ist noch mehr: Es ist diese leicht ins Moll kippende Melodieführung, die, gepaart mit einem tänzelnden Gitarrenspiel, einem suggeriert, dass wir das Leben genießen und uns nicht vom immer währenden Alltagsstress geißeln lassen sollten. Es ist ein sonnendurchflutetes "carpe diem", wohlwissend, dass auch der schönste Sommer mal ein Ende hat. So wohnt in den Stücken von Sunlounger auch immer die Ahnung des Endes inne. Deutlich wird dies bei anderen Nummern, in denen der Musiker auch mit Gesangslinien operiert. Hier wird nich von Strandspaziergängen oder dergleichen mehr, sondern immer wieder von Verlust gesungen. "Another Day On The Terrace" ist gleichwohl Kontemplation und Meditation und ein Bewusstwerden darüber, dass wir nur für einen kurzen Moment auf dieser Erde weilen dürfen. Also genießen wir sie, verdammt noch mal - egal zu welcher Jahreszeit.

||TEXT: DANIEL DRESSLER|DATUM: 03.07.17 | KONTAKT|WEITER: PILOCKA KRACH VS. SOULWAX >

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COVER © Sony (Stranglers, Peterlicht), Interscope/Polydor (Lana Del Rey), CBS (Nina Hagen), Armada/Nova MD (Sunlounger)

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