2/23: THE TEARS OF OZYMANDIAS, CREATING.PARADISE, LIKE MINT, FIOR, PURPUR - WIE ES EUCH GEFÄLLT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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2/23: THE TEARS OF OZYMANDIAS, CREATING.PARADISE, LIKE MINT, FIOR, PURPUR - WIE ES EUCH GEFÄLLT

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2023
Au in der Hallertau ist ein Gebiet nördlich von München und bekannt für seinen Hopfenanbau. In dieser Gegend also, wo sich Hase und Fuchs "guade Nacht" sagen und man eher Schützenfeste und Stubenmusi vermutet, hat sich The Tears Of Ozymandias gegründet, die mit der bayerischen Postkartenidylle nicht viel gemeinsam haben - zumindest musikalisch. Denn das erste, selbstbetitelte Album ist klassischer Gothic-Rock vom Allerfeinsten. Sie verfolgen dabei einen höchst konservativen Ansatz, der sich stark an den frühen Sisters Of Mercy anlehnt, als diese noch mit einem Drumcomputer ihre dystopischen Visionen untermalten. Auch bei The Tears Of Ozymandias ist die Rhythmussektion eine rein elektronische, zusätzliche Synthiespielereien runden die sonst von schrammeligen Gitarren dominierenden Stücke ab und verleihen ihnen hie und da sogar einen Shoegaze-Moment. Dazu trägt sicherlich auch der helle Gesang bei, der ganz, ganz entfernt sogar an Morrissey erinnert. Wer da singt, kann allerdings nicht ausgemacht werden. Die Band hält sich mit Informationen sehr zurück. Man weiß nur, dass zwei Benjamins The Tears Of Ozymandias gegründet haben aus der Asche ihrer früheren Band Path Of Samsara. Diese konnte sich durch einen in einen Doom-Metal tendierenden Psychedelic-Rock eine kleine Fangemeinde erspielen. Nun ist man auf der dunkleren Seite der Musik angelangt und hat die emotionale Kälte der Rockmusik für sich entdeckt. Keine schlechte Idee. Denn ihr Gespür für die richtigen Sounds und Refrains ist ungetrübt. Stücke wie "Zero Point", "Still The Same" oder "Slow Death" besitzen einen hohen Wiedererkennungswert, der ihnen zukünftig hoffentlich viele neue Anhänger beschert.

Nach zwei Benjamins folgen nun zwei Bjoerns. Muehlnickel heißt der eine, Bindrich-Honert der andere. Zusammen bilden sie das Elektro-Projekt creating.paradise, das im vergangenen Jahr seinen 25. feierte. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass das Hamburger Projekt immer noch pfeilgerade unter dem Radar der Gazetten und auch Labels segelt. UNTER.TON war bereits 2020 schwer angetan vom Album "Grand Day Out", das eine feine düsterelektronische Ästhetik besitzt, die sich an Bands wie Covenant oder Front Line Assembly anlehnt. Auf der nun aktuellen EP "Machineries Of Lies" arbeiten sie diesen Retro-Gedanken weiter aus. Dekonstruierte DAF-Sequenzen fallen im Titelsong mit einem schleppenden, weil tonnenschweren Rhythmus zusammen. Der klare Gesang wird nur leicht angezerrt und fügt sich gut in das Klanggerüst. Der Stealth Mix entpuppt sich dabei als der knalligere, der unverhohlen auf die Tanzfläche schielt, während die Original-Version mit dezenteren Beats den Track insgesamt mehr in der Schwebe lässt. "The Running" ist eine B-Seite im besten Sinn. Dieser Song steht "Machineries Of Lies" in nichts nach. Tatsächlich erinnert die Mischung aus marschierenden Vierviertelbeats, kühlen Synthiesequenzen und den melodiösen Gesang an Seabound. Am Ende wirkt "So True" als perfekter Cliffhanger, denn der Titelzusatz "Prelude" deutet darauf hin, dass wir es hier nur mit einem Vogeschmack auf einen Song zu tun haben. Dieser macht aber schon gewaltig Lust auf mehr. Wird langsam Zeit, dass creating.paradise nun endlich mal den großen Moment für sich beanspruchen. Wenn nicht mit der EP, dann mit der hoffentlich bald erschienenden neuen Langrille.

Von den Knöpfchendrehern zu einer Saitenzupferin aus dem Erzgebirge, die aber in der pulsierenden Metropole Berlin ihr Zuhause gefunden hat. Susi Wittig, wie Like Mint bürgerlich heißt, hat sich auf ihrer sechs Songs umfassenden EP "I Wish I Was Awake" ganz entgegengesetzt zum hektischen Lifestyles der deutschen Hauptstadt positioniert. In ihren Songs dominieren warme Indie-Folk-Strukturen, die fast ausnhamslos ohne Schlagwerk auskommen. Kombiniert mit Susis elfengleichem Organ schweben die Lieder im Raum und hüllen ihn mit feiner violetten Gaze ein. In ihren Songs besingt Like Mint die Reifeproszesse, die man als junger Mensch durchläuft. Auch für die Musikerin sind die vergangenen drei Jahre dank Corona sicherlich nicht die einfachsten gewesen, aber sie haben anscheinend grundlegende Denkprozesse in ihr ausgelöst, die sie nun auf "I Wish I Was Awake" dem Hörer in intimer Atmosphäre preisgibt und somit auch dem Publikum die Möglichkeit gibt, über ihre eigene Entwicklung zu reflektieren. "Diese Platte handelt davon, wie man eine eigene Stimme findet und auf Zeiten zurückschaut, in denen man sie noch nicht hatte", erklärt sie selbst. Unsicherheiten, die in dem einzigen deutschsprachigen Song "Die Angst" verhandelt werden, berühren ebenso wie die Zuversicht in "Constantly Growing". Susi Wittig scheint auf ihrer EP ein Stück mehr zu sich gefunden zu haben. Ihre gegenwärtige Ausgeglichenheit führt zur liebevollen Betrachtung ihrer sicherlich steinigen Wegstrecke bis dahin. Damit hat sie eine der schönsten Mini-Alben des letzten Jahres kreiert, das eigentlich viel mehr Zuspruch und Beachtung verdient hätte. Ein wunderbares Kleinod voller magischer Momente.

Während es bei Like Mint sehr introvertiert zugeht, lassen Fior aus Baden-Württemberg die Nyckelharpa, Dudelsäcke, Drehleier und manch anderes antikes Instrumentarium erklingen, um ihren Mittelalter-Folk auf ihrem in Eigenregie produzierten Album "Manuskript" authentisch erklingen zu lassen. Tatsächlich mag man gar nicht glauben. dass Fior aus dem Süden des Landes stammen. Die geesamte Atmosphäre des Albums hat etwas sehr Norddeutsches. Tatsächlich stammt ein Mitglied Quartetts, Rick Krüger, vom flachen Land. In seinem komponierten Song "Nordseeluft" wird die Reise in seine Heimat thematisiert - allerdings ohne Text, sondern nur mittels romantisierender Musik. Ansonsten basiert "Manuskript", wie der Titel es schon andeutet, auf drei Schriften: der Tanzmusiksammlung Dahlhoff, die erst kürzlich widerentdeckt wurde, dem Dantz Büchlein Dreyßer sowie der Handschrift des Heinrich Nicol Philipp. Sie alle stammen aus dem 18. Jahrhundert und haben eine Hundertschaft alter Stücke auf Papier verewigt. Sie dienen wie ein Blick durch ein Zeitportal, in das Fior nun eingestiegen ist. Die teilweise kurzen Originallieder kreuzen sie beispielsweise mit Gedichten, wie bei "Allgemeines Wandern", ein Poem von Joseph von Eichendorff. Man merkt dem Quartett die Liebe zur alten Musik an, die sie authentisch und ohne viel Schnickschnack dem Hörer präsentieren. In Zeiten großer Verunsicherung und Orientierungslosigkeit avanciert "Manuskript" zu einer Trost spendenden Platte, die einen wegträumen lässt in eine andere Zeit, in der sicher nicht alles leichter oder besser, aber vielleicht überschaubarer war.


Zum Schluss bleiben wir weiter im Folk-Fahrwasser und und kommen zu PurPur, einer Formation bestehend aus Gabria, die zuletzt mit ihrem Solo-Album "Gesungenen Geschichten" für Aufsehen sorgte, und ihrer Zwillingsschwester Leonora. Ihre fünfte CD "PurPuresque" ist eine Sammlung kontemplativer Coverversionen, die sich angenehm von den Originalen abheben. Der Zweigesang zwischen den beiden Musikerinnen ist so gut ausbalanciert, das jede Stimme für sich strahlt und gemeinsam eine Kaskade an Emotionen evozieren. Auch wenn das für manch einen hochgegriffen wirkt, aber man ist an die wundervollen Harmonien der beiden Abba-Chanteusen Agnetha und Frida erinnert, obgleich die Stimmfarben natürlich gänzlich anders gelagert ist. So hauchen sie Americas "The Last Unicorn" neues Leben ein. Mehr noch erinnert dieses Lied an den traurigen Zeichentrickfilm "Das letzte Einhorn" als es das Original zu schaffen vermag. Ihr unbestrittenes Meisterstück ist aber "The Rose", eines der schönsten Nummern von Bette Midler aus dem Jahre 1979. Sie haben das Stück als A-Capella-Version umgebaut und damit die wunderbare poetische Kraft des Stücks herausgearbeitet. PurPur ist da ein großer Wurf gelungen, der wie das Original zu Tränen rührt. "PurPuresque" gelingt es, den Songs ihren Kern zu lassen, sie aber nach ihren musikalischen Vorlieben umzumodeln. "The Bard's Song" von Blind Guardian oder auch "Nothing Else Matters" von Metallica werden dabei vom testosterongeschwängerten Klang befreit und in einer neuen (weiblichen) Innerlichkeit zugeführt. Dazwischen gibt es mit "Kuolema Tekee Taiteilijan" oder "Naré" exotisches Liedgut zu entdecken, das PurPur für unsere Ohren angenehm aufbereiten. Eine rundum gelungene Platte.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 24.01.23 | KONTAKT | WEITER: ROBERT SCHROEDER VS. LA MACHINE>

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