5/25: THE UNDERGROUND YOUTH, MIEN, SOPHIA BLENDA, THE BIRTHDAY MASSACRE, EGOAMP - BILDER IM KOPF - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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5/25: THE UNDERGROUND YOUTH, MIEN, SOPHIA BLENDA, THE BIRTHDAY MASSACRE, EGOAMP - BILDER IM KOPF

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025
Die in Berlin ansässigen The Underground Youth sind ein Phänomen. Die Band um den aus Manchester stammenden Sänger Craig Dyer verfolgt seit ihrer Gründung 2008 einen eigenen Sound und Veröffentlichungsansatz. Die ersten Werke wurden über Bandcamp für lau angeboten; zudem unterlegte der Musiker verschiedene Szenen von Filmen des Regisseurs Jim Jarmusch mit seinen Songs. Mittlerweile hat sich The Underground Youth eine solide Fangemeinde erspielt, die auf "Décollage" einige Überraschungen erleben wird. Zwar bleibt die Band ihrem schummrigen, von Post Punk und Shoegaze dominierten Klang treu, brechen diesen aber auf. Der Titel bezeichnet zwar einerseits eine Form der Kunst, kann aber auch mit "abtrennen" übersetzt werden - was die Band auf musikalischer Ebene macht: Sie lösen sich sanft von ihren alten Strukturen und wandeln sie in neue um. So wird das mittlerweile zwölfte Album zu einem Grenzgänger zwischen psychedelischer Durchdringung und betrübender Melancholie. Stücke wie "From The Ashes Of Our Age" oder "Father" zitieren zudem en passant Trip-Hop-Manierismen. Damit positioniert sich "Décollage" irgendwo zwischen Lee Hazlewood, Massive Attack und Nick Cave, bleiben aber ihren eigenen Wurzeln treu. Dyers Organ veredelt dabei die Nummern, ganz gleich, ob diese cool vor sich hingrooven wie bei "I Was There" oder wie eine verkatertes Pogues-Stück klingen ("Your Beloved Hollywood"). The Underground Youth haben einmal mehr ein spannendes Werk ersonnen, das sich einer strikten Kategorisierung entzieht und das Projekt weiterhin als Unikat in der Musiklandschaft erstrahlen lässt.

Auch Mien, Labelmates von The Underground Youth, präsentieren neues Material. Dabei ist "Miien" zwar das zweite Album der Jungs aus Austin und Montreal, aber das erste, das sie auf Fuzz Club veröffentlichen. Jene Plattenfirma war anscheinend vom Debüt "Mien" derart beeindruckt, dass sie das Vierergespann unbedingt unter die Fittiche nehmen wollte. Sieben Jahre nach dem Erstling folgt nun endlich der Nachfolger, der dem Terminus "Psychedelic" eine neue Lebendigkeit und Frische verleiht. Mit verfremdetem Gesang und einer ansteckenden Lust am Wall Of Sound bringt die Gruppe immer wieder überraschende Momente ins Spiel. So ist "Silent Golden" zunächst ein stoisch vor sich hinpluckender Song, der im Refrain ausbricht und rasende Synthesizer zum Besten gibt, ehe sich am Ende das Stück in seine Bestandteile auflöst und einen dezent orientalischen Klang übrig lässt. Doch "Miien" ist nicht nur ein drogeninduzierter Trip in Richtung außerkörperliche Erfahrung. "Mirror" beispielsweise zeigt sich, bei aller Verkifftheit, auch deutlich dem Pop zugewandt. "How Could You Run" könnte aufgrund der satten, sphärischen Elektronik auch so manchem Synthie-Pop-Fan gefallen. Dass es übrigens stilistisch so bunt zugeht, liegt auch an den Mitgliedern selbst, die aus ganz unterschiedlichen Richtungen gekommen sind. Und es muss wohl Schicksal gewesen sein, dass man sich über den Weg gelaufen ist. Denn Mien besitzen ein Klangverständnis, das sie von anderen Kollegen aus dieser Sparte abgrenzt. Dem Vierergespann zuzuhören, gleicht einem Gleitflug in der obersten Atmosphäre der Erde, kurz vorm Eintritt in den Weltall. Unbestritten eine großartige Scheibe.

Innerhalb weniger Jahre hat sich Culk als Liebling der Presse gemausert - vor allem wegen Sophie Löw alias Sophia Blenda. Die Sängerin besitzt eine unverwechselbare Stimme und Gesangstechnik. Leicht vernuschelt, stets der Welt entrückt, trägt sie mit angerautem Organ ihre persönlich gefärbten Texte derart intensiv vor, dass das zerebrale Lichtspielhaus in Aktion tritt. Allerdings sind die Geschichten äußerst bitter: "Die Summe der Vereinzelung" ist eine zwischen cineastischen Klängen und intimen Kammer-Pop-Balladen pendelnde Anklage gegen die teilweise arrogante bis diskriminierende Haltung gegen die FLINTA*-Gemeinde. Denn wie viele "Einzelfälle" braucht es in Summe, um zu erkennen, dass es gar keine Einzelfälle sind? Unter dieser Prämisse gräbt sich Sophia Blenda mit ihren Stücken tief in unser Bewusstsein. Dabei greift sie wie bei der Vorabsingle "Sad Girl Summer" prominente Musikerkolleginnen wie Lana Del Rey oder Billie Eilish auf, deren dunklen Texte mittlerweile fesitvalkompatibel geworden sind. Schmerz wird instagramable. Eine ungute Entwicklung, die Sophia Blenda messerscharf beobachtet. Ihre sprachgewaltigen Geschichten verursachen Bauchschmerzen, wenn man sich mit ihnen näher beschäftigt. So wie bei "70s Interior", einem Song über sexuelle Gewalt und dem Umgang der Opfer mit dem Erlebten. "Deine Wahrheit" ist die metaphorische und doch klare Antwort auf die unsäglichen Diskussionen zu den Ereignissen bei Rammstein-Konzerten. In jedem ihrer Songs treffen wir eine reflektierte und reflektierende Künstler; "Die Summe der Vereinzelung" ist ihr starkes, poetisches Statement für Toleranz, Respekt und Liebe über alle Grenzen hinweg.

Nach mehr als 25 Jahren immer noch relevante Alben zu veröffentlichen, ist sicherlich keine Selbstverständlichkeit. Dass dies bei The Birthday Massacre der Fall ist, hat mehrere Gründe. Da ist zum einen Sängerin Chibi, die eine markante Stimme besitzt, welche immer wieder hervorsticht und das Markenzeichen der Band bildet. Doch auch der TBM-Sound, eine Mischung aus Synthie-Melodien von größter Verspieltheit und breitbeinigem Hard-Rock, besitzt eine Zeitlosigkeit. Beziehungsweise: Das, was heutzutage im Synthwave-Genre groß gefeiert wird, haben The Birthday Massacre in Teilen bereits Jahrzehnte vorweggenommen. Mit "Pathways" schlagen die kanadische Gruppe keine unerwarteten Wege ein, entdecken sich aber selbst ein weiteres Mal neu. Schon das Albumcover weicht von den früheren Bebilderungen der Longplayer ab. Statt dunkelviolettem Fantasyszenerien, sind realistische Orte (in diesem Fall der Parkplatz vor einem Motel) kaum übernatürlich - doch lohnt sich ein genauer Blick auf das Bild. Musikalisch jedoch zeigt sich The Birthday Massacre erneut voller Spielfreude. Ob nun süße Elektronik bei "The Vanishing Game" oder bratziger Gitarrenbearbeitung im Titelsong: "Pathways" geht wieder einmal in die Vollen, wobei die extremen kompositorischen Ausschläge, in denen Chibi mit heiserem Timbre eine gruselige Atmosphäre aufbaut, seltener geworden sind. Dafür ist eine neue Nachdenklichkeit über Werden und Vergehen sowie der Frage nach Erinnerung in "Sleep Tonight" ausfindig zu machen. Chibi und ihre Jungs sind erwachsener geworden. Doch das rocken und rollen haben sie nicht verlernt. Sie sind und bleiben überaus fähige Musiker und die Frontfrau eine sehr gute Geschichtenerzählerin und Gefühlsvermittlerin.

Geht es um Filme im Allgemeinen, sind EGOamp nicht weit. Das Projekt um Chefdenker Asmodi Caligari zieht ihre Inspirationen aus den verschiedenen cineastischen Werken, die als Grundlage für die dann doch wieder persönlich gefärbten Songs sind. Bestes Beispiel ist "The Crucible". Das Stücke, ursprünglich auf dem 2023 erschienenen Werk "Cinéaste" beheimatet, referiert auf den gleichnamigen Film mit Winona Ryder und Daniel Day-Lewis (zu deutsch: "Hexenjagd") von 1996, hat aber Cybermobbing zum Thema  -  was wiederum für die Zeitlosigkeit des ursprünglichen Theaterstücks von Arthur Miller spricht. Auf der EP "Petite Cinéaste" erhält dieser Song nun gesonderte Aufmerksamkeit. Mit einem treibenden Electro-Shufflebeat, der an Covenants "Like Tears in The Rain" (aka "Der Leiermann") erinnert, ist dieses Stück natürlich wie prädestiniert für die Tanzflächen der Republik. Neben der 7"-Version reüssieren auch die anderen Varianten des Stücks. Doch heimlicher Star auf "Petite Cinéaste" sind eigentlich zwei andere: "Christine" im Faster Lane Remix verpasst dem Originalsong - Remixnomen est omen - mehr Bpms und transformiert das an Jean Michel Jarre erinnernde Stück in einen perfekten Trancereißer, bei dem die überlagernden, in Hall gepackten Arpeggiolinien wie ein dichter Klangteppich über einen hinwegfegen. Schließlich zeigt EGOamp mit dem exklusiven Song "2001", dass sie nicht nur über eine eigenes Sounddesign verfügen, sondern auch ziemlich gut Bescheid wissen, was verfängt und was nicht. "Petite Cinéaste" ist wie die kleine Zugabe, die manche Filme nach dem Abspann besitzen - sie runden einen Streifen meistens noch ab. Genau das macht "Petite Cinéaste" als sinnvolles Addendum zu "Cinéaste".

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 18.04.25 | KONTAKT | WEITER: YANN TIERSEN "RATHLIN FROM A DISTANCE/THE LIQUID HOUR">

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