GRUSELKABINETT "TRÄUME IM HEXENHAUS": ALLES GRUSELIGE ZUM GEBURTSTAG - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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GRUSELKABINETT "TRÄUME IM HEXENHAUS": ALLES GRUSELIGE ZUM GEBURTSTAG

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Da können DVDs und Blu-Rays noch so verheißungsvoll schimmern oder Videospielekonsolen kraftmeierisch ihre Prozessoren auf Hochtouren laufen lassen: Die besten "Special Effects" erschafft immer noch die eigene Phantasie!

Es benötigt lediglich einen kleinen Funken, um das zerebrale Lichtspielhaus auf wundersame Weise zu illuminieren. Vielleicht ist dies der Grund, warum das Hörspiel immer noch – und in den letzten Jahren besonders – erfolgreich Käufer aller Altersgruppen rekrutiert.

N
icht nur Kinder lieben vorgelesene Geschichten!

Freilich: Die Sujets haben
sich mit den Jahren doch merklich verschoben. So waren es einst knuffige Heile-Welt-Abenteuer der Marke Benjamin Blümchen oder Flitze Feuerzahn, die uns die Zeit vor dem Schlafengehen versüßten. Einige Jahre später genossen wir als Teenager die wohldosierte Spannung, die uns die Kriminalgeschichten von "TKKG" und "Drei ???" kredenzten. Letztgenannte Reihe füllt übrigens bis heute ganze Hallen: Die Live-Lesungen sind ein wahres Happening; ihre Sprecher regelrechte Rockstars.

Auf der Welle des scheinbar nicht versiegenden Hörspiel-Hypes surften in den letzten Jahren weitere Serien erfolgreich mit. Einige stehen dabei ganz in der Tradition des Pulp-Fiction, jener hierzulande abschätzig als Trivialliteratur bezeichneten Gattung.

Doch der konstruierte Schauer, den die verpönten "Groschenromane" von Anno Tobak einst verbreiteten, erreicht in der Vertonung nicht selten eine zweite, nuancenreichere Dimension.


"John Sinclair" ist so ein Beispiel: Über 1000 Folgen des Geisterjägers sind seit Beginn Ende der 1970er Jahre auf Papier gedruckt worden;
über 100 davon haben ihren Weg in ein gespenstisch-schönes Hörspiel gefunden.

Ebenfalls die Hundert voll gemacht hat aktuell die "Gruselkabinett"-Reihe, die sich an verschiedenen Klassikern der Schauer- und Science-Fiction-Romantik erfolgreich abarbeitet.

Bram Stokers "Dracula", Theodor Storms "Schimmelreiter" oder Edgar Allen Poes "Untergang des Hauses Usher" sind nur einige der Geschichten, die unter der Regie von Marc Gruppe und Stephan Bosenius ein neues Leben eingehaucht bekommen.

Zum Geburtstag nun also nur das Beste, respektive das Schrecklichste: "Träume im Hexenhaus" wurde von keinem Geringeren als H.P.Lovecraft erdacht, einem der vielleicht bekanntesten Schriftsteller gediegener Horror-Literatur des 20. Jahrhunderts.


Die Geschichte stammt aus seiner produktivsten Phase - einige Jahre vor dem Todesjahr
1937, als Lovecraft für das Pulp-Magazin "Weird Tales" herrlich obskure Prosa verfasste, die Genregrenzen aufbrach und verschiedene wissenschaftliche Felder wild miteinander vermischte.

Eine Inquisitions-Szene aus dem 17. Jahrhundert markiert den Startpunkt der Handlung: Keziah Mason wird der Hexerei beschuldigt; bei ihrer Vernehmung präsentiert sie allerdings Erkenntnisse von höchst moderner Natur: Die Frau experimentiert mit dem Raum-Zeit-Kontinuum. Dabei hat sie das Tor zur vierten Dimension entdeckt, das ihr gleichzeitig die Flucht aus dem Kerker ermöglichte.

1927, genau 230 Jahre nach diesem Vorfall, zieht der Student Walter Gilman in das Dachgeschoss jenes Hauses, das Keziah bewohnte, um mehr über sie zu erfahren – aller Warnungen des Kommilitonen Frank Elwood, dem spleenigen Mieter Mazurewicz und seinem Professor Upham zum Trotz.

Der Schriftsteller vermengt nicht ungeschickt klassische Geisterhaus-Gruselei mit fortschrittlichen Science-Fiction-Elementen, wenn er Gilman in seinen Wahnvorstellungen Außerirdische und ferne Galaxien sehen lässt.


Sein mit anderen Schriftstellern erdachter Cthulhu-Mythos spielt natürlich auch hier wieder eine Rolle: In der Gestalt des Dämonenfürsten Azathoth, den die Hexe in Gilmans Halluzinationen zum Leben erweckt.

Lovecraft'sche Geschichten zeichnen sich durch eine gewisse Verspieltheit aus, die sie für eine Vertonung geradezu prädestiniert.


Doch auch hier lauern gefährliche Stolperfallen: Die Erzählungen als auditives Kammerspiel zu inszenieren, führt oftmals dazu, dass die Szenerien ins Banale und ihre Protagonisten in die Eindimensionalität abrutschen.

Die Schöpfer dieser Reihe sind sich dieser steten Untiefen jedoch bewusst.

Deswegen gerät "Träume im Hexenhaus" nicht zu einem dünn-seichten Horrortainment, sondern bleibt über die rund 60 Minuten Spielzeit atmosphärisch – und natürlich gruselig.

Dass dies so gut gelingt, liegt in erster Linie am hochwertige Stab der ausgesuchten Sprecher, die sich als Synchronstimmen bekannter Hollywood-Größen längst im kollektiven Gehör festgesetzt haben.


So gibt Hasso Zorn
, dessen von Lebensweisheit gezeichnetes Organ unter anderem für den Hollywood-Star Eli Wallach in dessen letzten Filmen zum Einsatz kam, die Erzähl-Passagen in fast ruhig-dokumentarischem Duktus. Sie bilden das kontemplative Pendant zu den lebhaften Einspielungen.

Dagmar von Kurmin
, die fast schon zum Sprecher-Inventar des "Gruselkabinetts" gehört, brilliert dabei abermals: Sie gibt der mutmaßlichen Hexe Keziah ein mystisches, aber nicht klischeehaftes Flair, während Hannes Maurer als stets nervös und unsicher wirkender Student Walter zwischen Neugier und Abscheu hin- und herpendelt. Dieses Wechselspiel steigert er gekonnt gegen Ende des Plots; unterstützt von Geräuschen und (synthetischen) Orchestereinspielungen cineastischer Provenienz, die eine gesteigerte Liebe zum Detail erkennen lassen.

An manchen Stellen wirken die klanglichen Untermalungen angesichts der dunklen Story zwar ein wenig zu "lieblich" arrangiert; zum Finale hin jedoch, wenn Walter nicht mehr zwischen Halluzination und Realität unterscheiden kann, gehen Sprache und Musik eine schlüssige, spannende Verbindung ein.

Der eigentliche Schreck ergibt sich beim "Gruselkabinett" aber nicht nur aus dem Dargestellten, sondern vor allem auch aus dem Weggelassenen: Dort, wo die Sprecher stumm bleiben und die Sprache eine Lücke hinterlässt, beginnt der Kopf zu arbeiten.


Das Unausgesprochene birgt in diesem Moment mehr Fürchterliches in sich als das Offensichtliche. Und das ist,
im wahrsten Sinne des Wortes, phantastisch.

Marc Gruppe und Stephan Bosenius besitzen nach 99 Folgen Gruselkabinett nicht nur die nötige Erfahrung, sondern auch das gewisse Quäntchen Chuzpe, um die Literaturvorlage nach ihren eigenen Wünschen umzuschreiben.


"Träume im Hexenhaus" markiert nun einen ersten dunklen Meilenstein, an dem sich die Macher in Zukunft messen lassen werden. Schließlich ist die Liste der klassischen Horror-Erzählungen bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Anlässlich des Jubiläums wirft der Titania Verlag übrigens auch einen Blick hinter die Kulissen: Auf der beiliegenden Bonus-DVD wird der Werdegang eines Hörspiels ausführlich dokumentiert; spannende Interviews mit verschiedenen Hörspielsprechern inklusive. Nicht nur für Fans dieser Serie ein schaurig-schönes Geschenk von den Geburtstagskindern!


||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 03.07.15 |  KONTAKT | WEITER: JEAN DELOUVROY "JEAN DELOUVROY" >




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