NIGHT IN ATHENS "WASTED REFLEKTIONS" VS. KALTE NACHT "U R G E": WENN ES DUNKEL WIRD AUF DER AKROPOLIS
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Jetzt tauchen wir tief in die Musikgeschichte ein: Nikkie Van Lierop dürfte nur den eingefleischten Fans elektronischer Musik bekannt sein. Die belgische Musikerin wurde als "Queen of the New Beat" bezeichnet und war Sängerin bei den legendären Lords Of Acid. Vor allem ihre beschwörenden Gesänge, wie sie auf "Inner Light" von Phantasia (1991) zu hören sind, zählen immer noch zu den ausdrucksstärksten (und wurden im Laufe der 90er immer wieder von anderen Projekten gesampelt).
Von ähnlicher Strahlkraft ist auch die Stimme der Sängerin von Night In Athens, die sich unter diesem Pseudonym versteckt und mit "Wasted Reflektions" ein herausragendes Album veröffentlicht hat. Gleich "Pale Rose" lässt den Hörer in eine dunkle Coldwave-Szenerie eintauchen, ehe Night In Athens mit ihrem kraftvollen Organ ihre Texte nicht einfach nur singt, sondern sie wie eine Hohepriesterin gen Himmel zu schmettern scheint. Bisweilen überschlägt sich das Organ sogar, was den unmittelbaren Charakter ihrer Darbietung nur verstärkt. Man hat das Gefühl, der Künstlerin dabei zuzuhören, wie sie ihre Poeme nicht nur vorträgt, sondern direkt er- und mit jeder Faser ihres Körpers auslebt.
In Kombination mit einem hypnotisierenden, repetitiven Electro-Sound, wie er geradezu programmatisch im Titelsong abgespielt wird, kommen Erinnerungen an die frühen Tage der elektronischen Klangerzeugung wieder hoch. "Your Shadow" mit seinem bittersüß-sehnsüchtigen Sound setzt den Kontrapunkt zur lasiven Stimme, bei der man auch Anleihen am tonlosen und doch so überragenden gesang einer Amanda Lear denken muss.
An anderer Stelle, namentlich bei "Words Unspoken", gibt sich Night in Athens einem klassisch-nebulösen Dark Wave inklusive schüchtern-melancholischem Gitarrenspiel von Henrik Sandor hin. Und auf einmal zeigt sich die Musikerin von einer ganz anderen, nach innen gekehrten Seite, aber mit der gleichen Glaubwürdigkeit wie bei den expressionistischen Stücken.
Wie man es auch dreht und wendet: Bei Night In Athens dreht sich alles um die Sängerin. Ihre Darbietungen sind alles andere als erwartbar und vor allem voller greifbarer Emotionen. Sie bildet den Dreh- und Angelpunkt ihrer Kompositionen und wirkt so mysteriös wie anziehend. "Wasted Reflektions" bildet eine große Ausnahme und einen unerwarteten Höhepunkt in diesem Veröffentlichungsjahr.
Während Night In Athens aber gar nicht aus Athen kommt, wie es der Projekttitel uns weismachen will, sind Kalte Nacht tatsächlich aus selbiger Stadt. Und ihr energischer, vibrierender Post-Punk ist wie geschaffen für die Nächte in der griechischen Metropole - wenn man sich vor allem in den dunklen Hinterhöfen aufhält und nicht an den touristischen Orten.
Bereits auf ihrem selbstbetitelten Album haben Nikos Konstandinidis, der Mann an den Tasten und seine ausdrucksstarke Chanteuse Myrto Stylou ein großes Feuerwerk dunkelschillernder Knallersongs gezündet. Vor allem in der Nummer "Inmost Desire" kulminiert das komplette Können des Duos. Auf knapp vier Minuten bezieht sich Kalte Nacht, natürlich auch aufgrund der sonoren Stimme Myrtos, einerseits auf Sängerin wie Siouxsie Sioux oder Lene Lovich, die in Sachen female-fronted Post Punk Pionierarbeit geleistet haben, aber in den Arrangements ihrer Stücke ganz klar im Hier und Jetzt verortet sind, andererseits auf die druckvoll arrangierten Stücke der neuesten Post-Punk-Bewegung.
"U R G E" heißt dieneue Scheibe und bindet brodelnde Analogsounds sowie treibendes Schlagzeug an Stylous fiebrige Texte. Bereits das extrem rhythmische "Runaway", das zu Beginn leichte Ähnlichkeiten mit Depeche Modes ebenfalls sprödem "Photographic" besitzt, ist der legitime Nachfolger von "Inmost Desire" und wird sicherlich für volle Tanzflächen in der Bundesrepublik sorgen. Auch das getriebene und buchstäblich atemlose "The Last Breath" positioniert Kalte Nacht als ernstzunehmende Coldwaver, die sich weiterentwickelt haben und mittlerweile eine ganz eigene Ästhetik besitzen, deren Zauber man sich kaum entziehen kann.
Und wenn "Where The Deep Seas Meet" mit geflüsterten griechischen Worten beginnt, um anschließend in einen elegischen Sound überzugehen, der so schön wie eine Marmorstatue ist, wird einem bewusst, dass hier keine Note aus Zufall den Weg in die Lieder gefunden hat. Kalte Nacht hat ihre Songs durchdacht, behutsam und gewissenhaft arrangiert und somit eine neue Welt erschaffen, die zwar immer noch im Post-Punk-Universum verhaftet ist, aber dennoch ziemlich solitär dasteht.
Mit ihrem zweiten Album "U R G E" hat das Duo ein Albumgeschaffen, dass von Anfang bis Ende perfekt durchdacht ist und der Hörerschaft es geradezu aufzwingt, auf "repeat" zu drücken, um sich der ganz eigenen Magie Kalten Nacht zu ergeben.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 12.07.24 | KONTAKT | WEITER: WILL GREGORY MOOG ENSEMBLE VS. NOVOCIBIRSK VS. CELLULOIDE>
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Cover © Danse Macabre/Al!ve (Night In Athens), Cold Transmission (Kalte Nacht)
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