COBOL PONGIDE "KOSMODROM" VS. LUCKYANDLOVE "HUMAURA": MENSCH BLEIBEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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COBOL PONGIDE "KOSMODROM" VS. LUCKYANDLOVE "HUMAURA": MENSCH BLEIBEN

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Der Mensch strebt zu den Sternen - und das seit Anbeginn. Jede noch so frühe Kultur besaß Visionäre, die wissen wollten, was "da oben" vonstatten geht. Das moderne Zeitalter liefert nun auch die technischen Möglichkeiten, um den Weltraum wenigstens in Teilen zu entschlüsseln. Für den Italiener Cobol Pongide übt der Kosmos eine große Anziehungskraft aus, die er in seinem vierten Album "Kosmodrom" philosophisch durchdenkt.

Das "Kosmodrom", die russische beziehungsweise chinesische Bezeichnung für den Weltraumbahnhof,  steht dabei als Synonym für das stetige Hinarbeiten der Menschheit zu den Sternen hin - "per aspera ad astra". Pongide, selbst ein großer Fan von der Science-Fiction-Literatur eines Philipp K. Dick (sein Werk "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" sollte die literarische Vorlage für Ridley Scotts Kultstreifen "Balde Runner" werden) oder Stansilaw Lem ("Sterntagebücher", "Solaris"), versteht sich aber nicht als unkritischer Euphoriker, der das Streben nach Leben im All in Gänze gutheißt.

Ganz im Gegenteil: Der seit rund zwei Dekaden andauernde Wettlauf einiger Superreiche, um die Vormachtstellung im Weltraumtourismus inklusive interplanetarer Reisen zu erhalten, lehnt der Musiker rigoros ab. Und wie rigoros, zeigt sich in seinen außermusikalischen Aktivitäten. Denn Cobol hat kritische Essays zu diesem Thema bereits veröffentlicht. Nun packt der Mann diesen Skeptizismus in insgesamt 17 Stücke, die vor allem im Grundgedanken des Punk fußen. Dabei wird es nicht mal Pongides primäres Ziel gewesen sein, anarchisch zu klingen. Sein musikalischer Fuhrpark lässt jedoch nichts anderes zu.

Denn der Italiener komponiert mit antiken elektronischen Mitteln wie dem Commodore 64 und Spielzeug-Keyboards aus den 80ern. Dieser rohe Sound wird mit klapprigen Drum Machines unterfüttert, sodass "Kosmodrom" irgendwo zwischen Geniale Dilletanten wie Der Plan, kunstvolle Revolutionäre wie Devo und Altelektronik-Nerds wie Welle:Erdball verortet werden kann. Cobols ungekünstelter, leicht alerter Gesang, der teilweise proklamierend die Texte wie Manifeste vorträgt, besitzt die richtige Energie, um aus den eher schrulligen Songs eine Kampfansage zu machen.

Es bleept und klonkt, dass es nur so eine Art hat. Besonders bei der Single-Auskopplung "Lada Vaz!" (die russische Autofirma dient als Sinnbild für die hehren Ziele in der Erfüllung von Jahresplänen im Kommunismus) kommt auch Cobols Gespür für durchdringende Melodien und eingängige Songstrukturen voll zur Entfaltung. Ansonsten bewegt sich der Musiker konstant in seinem eigenen musikalischen Kosmos, der wie bei "Team Yucatan" auch klanglichen Witz versprüht.

Der durchweg unkonventionelle Sound von Cobol Pongide steht momentan solitär in der Musiklandschaft, ebenso sein philosophisch-kritischer Ansatz, den Weltraum von futuristischen Verheißungen zu lösen und sie mit der derzeitigen bitteren Realität zu konfrontieren. Auch wenn alle Songs auf italienisch eingesungen sind, kommt keine Urlaubsstimmung auf. Auch wenn man Cobol nicht unbedingt versteht, kommt man nicht umhin, seine passionierte Arbeit anzuerkennen.

Der Mensch steht ebenfalls bei Luckyandlove aus Los Angeles im Mittelpunkt und stets in Relation mit der ihm umgebenden Technik, die gleichermaßen Fluch und Segen sein kann. Das Duo jedenfalls bekennt sich klar pro Humanismus und lieferte bereits mit ihrer Single "I Am Human" ein flammendes Plädoyer für ein Leben frei von technologischer Unterjochung. "Cut the wire" heißt es daher parolengleich in einem Song, das aber nicht in rumpelig-punkigen Klängen daherkommt, sondern in satten Disco-Sounds, bei denen Goldfrapp und Robyn Pate gestanden haben könnten.

Dieses Lied eröffnet auch das dritte Album "Humaura", dessen Begriff laut der Band den emotionalen Zustand des menschlichen Geistes, der frei von technischer Kontrolle ist, umreißt. Also die reinen Gedanken, die sich nicht durch unsere technologisierte Welt denken lassen. Ein spannendes Konzept, denn der Einfluss der Technik wirkt sich auch auf unsere Vorstellungen, Ideen und Handlungen aus.

Um nun aber nicht in vertrackt philosophische Höhen zu steigen und dabei die Bodenhaftung zu verlieren, sollte der Blick (oder besser noch das Ohr) auf den Inhalt des Albums gelegt werden. Dort zeigt sich das Duo Loren Luck und April Love vor allem daran interessiert, einen gehaltvollen Electro-Pop auf die Beine zu stellen, das vor allem den klanglichen Überfluss propagiert. Bereits die brodelnden Bässe bei "I Am Human" lassen erahnen, dass das Zweiergespann gerne Schicht für Schicht ihre Kompositionen zu transzendenten Tanznummern aufbauen.

So wird auch bei "Feelz So Good" die Bassfigur am Kochen gehalten, in der die klanglichen Visionen eines Giorgio Moroder nur kurz durchscheinen. Doch LuckyandLove sind vollkommen selbstständig in ihren Sounds und brauchen sich gar nicht hinter vermeintlich großen Namen verstecken. Mühelos gelingt es ihnen, unterschiedliche Stimmungen aufzubauen. "Name Of Love" mag das strahlende Paradebeispiel dafür sein: Zunächst schleppt  sich der Song bedrohlich-lasziv durch die Gegend, ehe unvermittelt ein astreines Dunkeldisco-Segment eingebaut wird. Dieses Spielchen weiderholt sich gegen Ende ein zweites Mal und bricht die konventionellen Songstrukturen geschickt auf.

"Humaura" profitiert aber nicht nur von einem differenzierten Klangbild, sondern auch von intelligenten Texten, in denen sich das Individuum im Kontext der Technik verhält. "Secret Is Out" beginnt in einem Club, "Name Of Love" verankert die Szenerie in der U-Bahn einer Stadt. Die Stories selbst: altbekannt. Unerfüllte Liebe, Einsamkeit, Sehnsüchte. Doch obgleich die Themen nicht zwingend innovativ sind, bildet das gedankliche Fundament der Verzahnung von Mensch und Technik einen spannenden Aspekt, der sich durch alle Songs zieht - mal mehr, mal weniger offensichtlich.

Sowohl bei Cobol Pongide als auch bei Luckyandlove steht der Mensch im Vordergrund, der mit den heutigen technologischen Hürden zu kämpfen hat, um weiterhin Mensch bleiben zu können. An der Oberfläche bilden die beiden Alben kurzweiliges Tanzvergnügen im elektronischen Sektor. Wer tiefer gräbt und sich die Stücke bewusst anhört, erlebt zwei zeitgenössische Longplayer, in denen sich das große Dilemma unserer Zeit, Mensch versus Technik, reflektiert und höchst unterschiedlich widerspiegelt.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 07.10.25 | KONTAKT | WEITER: DINA SUMMER "GIRLS GANG REMIXES VOL. 3">

Webseite:
www.cobolpongide.net

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COVER © DISCHI DUREVOLI RECORDS (COBOL PONGIFE), SOUTHERN RECORD DISTRIBUTIONS (LUCKYANDLOVE)

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