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6/18: RODNEY CROMWELL, JOHAN BAECKSTRÖM, MONOVIBES, IN GOOD FAITH, SEADRAKE, OUL - ENTDECKE DIE MOOGLICHKEITEN!

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2018

Kraftwerk haben's mal wieder vorher gewusst. "Ich bin der Musikant mit Taschenrechner in der Hand". Als sich Hütter und Konsorten anno 1981 diese Zeilen aus der Zirbeldrüse gedrückt haben, steckte die Halbleitertechnik in den Kinderschuhen und der mobile Elektronik-Musiker, den die ELektro-Popper in "Taschenrechner" besingen, ging noch als Science-Fiction durch. Doch die Zukunft haben wir eingeholt: Mittlerweile kann man(n) mit Apps auf dem Smartphone ganze Synthesizer-Fuhrparks simulieren. Aber ob nun klassicher Moog-Kasten oder imitierende Computer-Programme: dem bestehenden Charme modifizierter Sinustöne tut dies kein Abbruch.

Letzten Endes liegt es nur daran, wie pointiert die Sounds eingesetzt werden. Da darf es dann auch mal ordentlich retro zugehen wie bei Rodney Cromwell. Immerhin pflegt er auf seiner EP "Rodney's English Disco" einen eleganten Rhythmus, den er sich von einer Original Boss DR-55 Trommelmaschine zieht. Und auch sonst belässt es der Brite bei einem verschlankten Lo-Fi-Arrangement, das aber durch eine intensive Melodieführung nicht den Hauch von Langeweile aufkommen lässt. Diese "englische Disco-Mucke" ist erwartungsgemäß wenig glamurös, dafür aber hintergründig humoristisch, wie auch schon das herrlich abstruse Cover belegt. Cromwell lässt eine Zeit wieder aufleben, in der Synthesizer soeben ihre ersten große Auftritte im Pop-Zirkus mit Bravur absolvieren. Man hört Kraftwerk'sches Fiepen, denkt vielleicht an das schrullige "Popcorn" von Hot Butter oder erinnert sich an das frühe Meisterwerk "Architecture & Morality" von Orchestral Manoeuvres In The Dark und fragt sich mit leiser Wehmut, warum all dies schon wieder so lang her ist. Rodney Cromwell gelingt es, mit seinen Stücke die spannende Atmosphäre früher Synthie-Pop-Nummern, als die Freude über die neuen Klänge mehr wogen als ihre fehlerfreie Wiedergabe, in die Erinnerung zurückzurufen. Die wavigen Gitarren in "Barbed Wire" und "Dreamland" offenbaren zudem eine weitere Komponente in Cromwells Spiel, das sich nicht nur auf einen Stil beschränken will. Mit insgesamt vier Songs, die jeweils noch einmal ansprechend geremixt wurden, gewährt die EP einen neugierig machenden Einblick auf zukünftige Veröffentlichungen.


Ebenfalls mit einer großen Portion Damals-Feeling ausgestattet ist "Utopia" von Johan Baeckström. Während sich jedoch bei Rodney Cromwell der Blick auf die ganz frühen Elektronik-Pop-Tage richtet, referieren die fragil-melodiösen Nummern des Schweden auf den ersten großen Peak, den dieses Genre zu Beginn der 1980er erlebt hat. New Romantic wurde diese Zeit getauft, und wenn man es nicht besser wüsste, könnte man "Utopia" als verschollenes Album aus dieser Zeit glatt durchwinken. Mehr noch: In Wahl und Arrangements der Klänge würde es auch nicht weiter verwundern, wenn man dieses Album Vince Clarke zuschustern würde. Auch wenn Musiker Vergleiche wenig goutieren, muss man Baeckström einfach als Clarke-Schüler bezeichnen. Man höre sich einfach nur "Better Stories" an, denke sich die Stimme von Alison Moyet dazu, et voilà: ein Yazoo-Song, wie er perfekter nicht sein kann. Auch "Ask Me Why" oder "I Can Read Your Mind" zitieren ganz ungeniert jene Sounds, die so typisch für den introvertierten Engländer zu jener Zeit gewesen sind und mit denen er auch das erste Depeche-Mode-Album "Speak And Spell" veredelte. Im Grunde genommen ist "Utopia" ein ganz klassisches Schweden-Elektro-Album, und Baeckström, der bereits als Teil von Daily Planet seine Vorlieben für den unverfälschten Elekronikklang erfolgreich ausgelebt hat, sprüht auf diesem Werk nur so vor Ideen. Dass es am Ende mit "Into the 80s" auch noch eine opulente Hommage an jene güldene Dekade gibt, will ihm keiner verübeln. Baeckströms Liebe für diese Musik scheint in der Tat grenzenlos zu sein.

Und noch einmal Schweden: Dieses Völkchen kann sich wirklich nicht vor außergewöhnlich spannenden Gruppen retten. Man möchte gerne wissen, woran das liegt. Am Wetter? Am Essen? Fürs erste muss man es aber einfach akzeptieren, dass Moog, Roland, Oberheim und andere Elektronikinstrumente bei den Nordeuropäern gut aufgehoben sind. Die Jungs von Monovibes aus Göteborg haben mit ihrer neuen EP "Floors" allerdings eine ganz eigentümliche Spannung in die elektronische Klangerzeugung eingebaut. Ob es daran liegt, dass die Band während der Studioarbeiten sich wie eine Rock-Band verhalten haben? Laut Pressetext sollen nämlich Gustaf Fredrik Nero, Niklas Hugosson und John Lönnmyr richtige Sessions absolviert haben; die drei spielten zusammen mit ihren Instrumenten in langen Aufnahme. Von wegen bloß am Computer sitzen und die Spuren baukastenartig zusammenlegen! Ob das geholfen hat, "Through Your Eyes" beispielsweise so dicht klingen zu lassen (eine Qualität, die man zuletzt auf Depeche Modes Klassiker "Songs Of Faith And Devotion" in annähernder Perfektion erleben konnte)? Jedenfalls will "Floors" einen auch auf die selbigen ziehen. Dafür sorgen brummelnde Basslinien wie bei "Crash And Burn", die von zackigen Beats nach vorne gepeitscht werden, während sich die Dynamik in "Back In Control" aus stringenten Strophenmelodien und dem völlig gegenpolig angelegten, harmonisch aufgehübschten Refrain speist. Im Vergleich zu den früheren Songs - Monovibes existieren auch schon sieben Jahre - scheinen sie endlich eine Ahnung davon zu haben, wo ihr Weg hinführen könnte. "Floors" jedenfalls ist zu Ende gedachter Elektro-Pop.

Doch ehrlicherweise muss gesagt sein, dass solche und andere Vorschusslorbeeren wie beispielsweise Newcomer-Presie und dergleichen mehr heutzutage keinen selbstverständlichen Erfolg garantieren. Glücklich schätzen kann sich schon, wer bei einem halbwegs vernünftig organisierten Label unterkommt. So darf sich In Good Faith aus dem nidersächsischen Salzgitter der tatkräftigen Unterstützung des Labels Echozone gewiss sein. Das mag das berühmte Zünglein an der Waage sein, dass diese Band mehr Aufmerksamkeit erhält als andere. Berechtigt wäre eine größere mediale Präsenz auf jeden Fall, denn "Trinity" ist im besten Sinne anachronistisch. Verorteten sich die vorher besprochenen Bands noch eher in der klassischen Synthie-Pop-Ecke, schlägt das Trio um den ausdrucksstarken Sänger Kai Németh den Bogen zu Future-Pop-Helden wie VNV Nation oder Culture Kultür, zitiert aber in "The Pick-Up Artist" auch mal kurz die markanten Beats von New Orders "Blue Monday" und zeigt sich bei "Shadows" sehr angetan von Depeche Mode und ihrem umherschleichenden "It's No Good". Überhaupt kommt man nicht umhin, In Good Faith mit den großen Namen Dave Gahan und Martin Gore zu vergleichen. Das liegt nicht zuletzt an Kai selbst, der mit seinem röhrenden Organ aber mittlerweile das bietet, was man bei den letzten Sangesdarbietungen vom DM-Frontmann vermisst hat: ein virbierendes Timbre. Da sieht man auch darüber hinweg, dass In Good Faith sich unbedingt an "Love Will Tear Us Apart" von Joy Division vergreifen mussten. Wobei sie auch dort noch dank dynamischen Arrangements eine einigermaßen gute Figur machen. Wie gesagt: eine breitere Fanbasis und mehr mediale Präsenz wäre wünschenswert.

Diese haben Seadrake bereits sicher, wenngleich der Name zuvor nirgends aufgetaucht und "Isola" so gesehen tatsächlich ein Debüt ist. Wirft man jedoch einen Blick auf das Personal dieses internationalen Projektes, werden sich bei dem einen oder anderen die Gesichtszüge schlagartig aufhellen. Rickard Gunnarsson aus Stockholm, dessen Vater sogar bei ABBA als Bassist angestellt war, hat sich mit Statemachine und Lowe einen guten Ruf in der Elektro-Pop-Branche erspielt. Hilton Theissen, ein Südafrikaner, platzierte sein Baby Akanoid geschickt im Trance-Pop-Sektor und Mathias Thürk konnte kurzweilig mit der Band Minerve sogar den alteingesessenen Landsmännern von De/Vision oder Camouflage Konkurrenz machen. Unter dem Moniker Seadrake bringen sich diese drei musikalischen Schwergewichte glänzend ein und machen "Isola" zu dem erwartbaren perfekten Klangerlebnis, das über einen klaren Spannungsbogen verfügt und beim finalen "Soulsharer" ins Transzendentale abhebt. Dazwischen schaut noch Seabound-Sänger Frank M. Spinath vorbei und veredelt "Lower Than This (Someday)" mit seinem unverwechselbaren Organ. Das Album ist ein auf klangliche Perfektion ausgerichtetes Werk, auf musikalischen Hochglanz hin poliert und für die große Geste konzipiert. Stücke wie "What You Do To Me" oder "On The Run" vermitteln dem Hörer - auch dank kleiner Stromgitarren-Einlagen - ein wesentlich organischeres Bild wohlgefälliger Elektronik. Wenngleich der Synthesizer immer noch vorherrschendes Instrument ist, klingt "Isola" weitaus weniger steril. Ihre Liebe zu den nach Moll-Akkorden sehnenden Melodien haben sie aus ihren früheren Arbeitsplätzen für dieses wuchtige Werk natürlich herübergebracht.

Von Grund auf melancholisch und am Leben zweifelnd ist Allen B. Konstanz - zumindest was sein musikalischer Werdegang angeht. Als Mitglied der Gruppen Ewigheim und The Vision Bleak, beide für Gothic-Rock klassischen Gepräges bekannt, hat er bereits unverkennbare schwarze Duftmarken gesetzt. OUL ist sein neuestes Projekt, und dieses Mal ist er alleine. Das merkt man auch: Sein erstes Solo-Album "Antipode" nutzt die Elektronik als Hilfsmittel, um seine mondiale Tristesse tanzbarer zu machen (und das gelingt vor allem bei "Let It Flow Again" ganz zauberhaft). Deutlich ist dem Musker anzumerken, dass er sich von den übrproduzierten Grufti-Spektakeleien entfernen will. Keine ausufernden Streicherpassagen, keine cineastischen Endzeitszenarien werden hier feilgeboten. Und doch entsteht in der Simplizität seiner Kompositionen so etwas wie Erhabenheit und Grandezza. Dieser basiert auf eine ausgeklügelte Melodieführung. Schon "The Apocalypse" bringt in unheilvoller Manier die "kalten Töne für dunkle Herzen", wie es der Pressetext etwas eindimensional, aber dennoch recht pointiert beschreibt. Noch radikaler in seiner Ausformung wird OUL bei "My Elegy": Sie basiert fast ausschließlich auf nur einer fließenden Tonfigur, die sich verschiedenartig arrangiert präsentiert und in seiner Redundanz gleichzetig introspektive Tendenzen annimmt. Seiner Stimme ist es zu verdanken, dass man sich bei "Antpode" etwas an die Blutengel-Werke um die Jahrtausendwende erinnert fühlt. Wobei OUL sich nicht verleiten lässt, dutzendfache Kopien von sich selbst anzufertigen. Dass Allen B. Konstanz seine musikalische Prägung in der klassischen Gothic-Rock-Ära der 80er Jahre erhalten hat, ist spätestens bei "With A Fire" nicht mehr zu verleugnen. Die Chöre, das reduzierte, wiewohl druckvolle Gitarrenspiel: da hören wir doch deutlich "This Corrosion" von den Sisters Of Mercy an die Eisentür klopfen. So ganz kann Allen B. Konstanz dann doch nicht aus seiner Haut.

||TEXT: DANIEL DRESSLER| DATUM: 18.06.2018 | KONTAKT | WEITER: IM GESPRÄCH - PURWIEN UND KOWA>

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Webseiten:
rodneycromwell.bandcamp.com
johanbaeckstrom.bandcamp.com
www.facebook.com/monovibesgbg
www.ingoodfaith.de
www.seadrakemusic.com
www.oul-official.com

Covers © Happy Robots Records (Rodney Cromwell), Progress Productions (Johan Baeckström), Monovibes, Echozone/Soulfood (In Good Faith), Megahype Records (Seadrake), Golden Church (OUL)

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